Einen neuen Vorschlag zur Lösung der ukrainischen Kirchenkrise hat der emeritierte
Grazer orthodoxe Theologe Grigorios Larentzakis unterbreitet. Larentzakis plädiert
dafür, in der Ukraine alle Einmischungsversuche der Politik beiseite zu lassen und
einen genuin kirchlichen Weg zu beschreiten, wie er gegenüber dem Pressedienst der
Stiftung Pro Oriente betont. Sein Vorschlag: ein Zusammenschluss aller Christen byzantinischer
Tradition zu einer unabhängigen - autokephalen - Kirche.
Dabei sei ihm bewusst, so Larentzakis, dass viele Politiker in der Ukraine und außerhalb
ihrer Grenzen nicht verstehen, dass die Kirche nach ihren eigenen Gesetzen leben muss,
die keine „vergänglichen politischen Gesetze sind, sondern spirituelle, unverletzliche“.
Sein Ansatz gehe deshalb weit über die üblichen, aus dem Kleingeld des politischen
und geopolitischen Alltags geborgten Vorstellungen über „Kämpfe“ zwischen Konstantinopel
und Moskau usw. hinaus.
Der Blick von Larentzakis richtet sich auf die gesamte ukrainische Christenheit byzantinischer
Tradition: Die autonome ukrainisch-orthodoxe Kirche des Moskauer Patriarchats (die
einzige derzeit von der Weltorthodoxie anerkannte Jurisdiktion), das „Kiewer Patriarchat“
(an dessen Spitze „Patriarch“ Filaret steht, einst russisch-orthodoxer Bischof in
Wien, dann Metropolit von Kiew und Aspirant auf den Moskauer Patriarchenstuhl), die
„autokephale ukrainisch-orthodoxe Kirche“ (die auf Bestrebungen der 1920er Jahre zurückgeht),
die ukrainischen Eparchien der Diaspora in Nordamerika (die dem Ökumenischen Patriarchat
zugeordnet sind) und die ukrainische griechisch-katholische Kirche (die auf der Union
von Brest des Jahres 1596 beruht). Der Ansatz des aus Kreta stammenden Grazer orthodoxen
Theologen besteht nun darin, dass er eine Einigung aller fünf Jurisdiktionen anpeilt.
Dabei ist ihm bewusst, dass eine solche Einigung der Zustimmung sowohl des Moskauer
Patriarchen als auch des römischen Papstes bedarf.
Wenn dies gelänge und eine umfassende ukrainische Kirche der byzantinischen Tradition
die Autokephalie mit allen Rechten erhielte, würde das zum einen die volle Kirchengemeinschaft
mit der Gesamtorthodoxie bedeuten, womit ein großes innerorthodoxes Probleme beseitigt
wäre. Zugleich würden auch die besten „hoffnungsvollen Voraussetzungen“ auf dem Weg
zur „vollen Communio mit Rom“ geschaffen, so Larentzakis. Denn dann wäre auch einer
der gravierendsten Stolpersteine auf dem Weg zur Einheit zwischen katholischer und
orthodoxer Kirche aus dem Weg geräumt: der „Uniatismus“.
Eine umfassende ukrainische Lösung könnte Vorbildwirkung auch für andere Kirchengebiete
erlangen, ohne alte und neue Wunden aufzureißen oder das Grundrecht auf Religionsfreiheit
in Frage zu stellen, befindet der orthodoxe Theologe.
Er räumt ein, dass seine Vision auf den ersten Blick utopisch erscheinen mag; was
ihm trotzdem den Mut gebe, diesen Weg vorzuschlagen, sei die tiefe Gläubigkeit und
Frömmigkeit der Menschen in der Ukraine, „die trotz der grauenhaften Prüfungen, von
denen ihre Heimat ab 1914 betroffen war, nie ihr Gottvertrauen verloren haben“.
Larentzakis sieht in der ukrainischen Problematik eine schmerzliche Streitfrage, die
nicht nur die Einheit der „Kirche von Kiew“ torpediert, sondern auch die der ganzen
Orthodoxie bedroht. Daher müsse gehandelt und der mühsame Weg der geduldigen, spirituell
geprägten synodalen Unterhandlung beschritten werden.
Dass Konstantinopel dabei eine besondere Rolle und Verantwortung zukommt, ist für
den dem Ökumenischen Patriarchat zugehörigen und aus der Schule von Chalki kommenden
Theologen selbstverständlich. Larentzakis zitiert die Worte des Ökumenischen Patriarchen
Bartholomaios I. in dessen Ansprache an in der Georgskathedrale im Phanar versammelte
ukrainische Journalisten am 2. Juli dieses Jahres: „Wir beten für Frieden in der Ukraine.
Unsere Hoffnung ist, dass der brudermörderische Krieg aufhört. Die Geschichte der
Ukraine sollte für das ukrainische Volk heute eine Lehre sein, damit die Fehler der
Vergangenheit nicht wiederholt werden.“
Die historische Bekehrung zum Christentum möge aus vor allem politischen Gründen erfolgt
sein, aber die Annahme der Religion diente dazu, die Bedingungen für Frieden und Stabilität
zu schaffen, damit Kultur und geistliche Entwicklung aufblühen konnten, erinnerte
der Patriarch. Und das gelte auch für heute. „Einheit und Frieden sind für das Volk
und die Kirche der Ukraine überaus erwünscht und essenziell“, so Larentzakis mit den
Worten von Patriarch Bartholomaios.
Die Ukrainer hätten - wie alle anderen Ostslawen - die Taufe von der Mutterkirche
Konstantinopel empfangen, erinnert Prof. Larentzakis weiter. Das Ökumenische Patriarchat
in Konstantinopel sorge sich deshalb „wie eine Mutter“ um die Christen am Dnjepr.
Aber das Patriarchat wolle das zweifellos nicht „gegen irgendjemand“ tun, sondern
nur in brüderlicher Eintracht „mit allen, die für die Christen der byzantinischen
Tradition in der Ukraine Verantwortung tragen“.
Im zweiten Jahrtausend seien - etwa mit der Proklamation des Moskauer Patriarchats
im 16. Jahrhundert - autokephale orthodoxe Kirchen entstanden, denen die Autokephalie
(Selbständigkeit) vom Ökumenischen Patriarchat eröffnet wurde, so der Grazer Theologe.
(kap 29.10.2017 sk)
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