2017-09-07 16:30:00

Papst mahnt Kolumbien zum unaufhaltsamen Einsatz für Frieden


Franziskus hat Kolumbien eindringlich ermahnt, bei der Suche nach Frieden jetzt „keine Ruhepause“ einzulegen. Es sei „viel Zeit mit Hass und Rache“ vertan worden, jetzt brauche es eine „Anstrengung“ aller Kräfte. Das sagte er am Donnerstag bei seiner ersten großen Rede in Bogotà. Der lateinamerikanische Papst ist nach Kolumbien gekommen, um zur Umsetzung des Friedensabkommens zwischen der Regierung und den FARC-Rebellen zu ermuntern. Das Abkommen hat letztes Jahr einem jahrzehntelangen, blutigen Bürgerkrieg ein Ende gemacht, doch überall im Land sind die Wunden des Konflikts noch offen.

Glaube, Hoffnung, Umweltschutz

Als Bogotà 1538 von einem spanischen Conquistador feierlich gegründet wurde, bestand es nur aus zwölf Hütten und einer Behelfskirche; heute ist es die am rasantesten wachsende Metropole im ganzen Südamerika. Mittendrin im historischen Zentrum: der gut hundert Jahre alte Präsidentenpalast. Er war am Donnerstag Schauplatz von Franziskus‘ erstem offiziellem Auftritt in Kolumbien.

Vor dem Palast begrüßte Präsident Juan Manuel Santos bei strahlendem Sonnenschein mit militärischen Ehren den Gast aus Rom. Santos ist Träger des letzten vergebenen Friedensnobelpreises, er bekam ihn für sein Abkommen mit der FARC-Guerilla. An der offiziellen Begrüßung von Franziskus nahmen etwa 750 Spitzenvertreter von Politik, Behörden und Gesellschaft teil, darunter auch Religionsführer und Unternehmer.

„Danke, Heiliger Vater, dass Sie gekommen sind, um uns in diesem einzigartigen Moment der Geschichte unseres Landes zu begleiten“, sagte Santos. „Unsere Gesellschaft hat Großes erreicht, vor allem mit dem Ende des ältesten und heftigsten bewaffneten Konflikts unseres Kontinents. Kolumbien ist das einzige Land der Welt, in dem jetzt Waffen zerstört und eingeschmolzen werden, um zu Friedens-Mahnmalen zu werden!“ Jetzt schlage die Stunde der nationalen Wiederversöhnung, und der Papstbesuch stelle bei diesem Prozess sozusagen „den ersten Schritt“ dar.

Er sei „in einem besonders bedeutsamen Moment" in der Geschichte Kolumbiens hergekommen, sagte auch Franziskus. Natürlich erinnerte er kurz an frühere Papstbesuche: den von Paul VI. 1968, den von Johannes Paul II. 1986. Er wolle den Menschen hier „Glauben und Hoffnung“ vermitteln, denn nur so lasse sich ein Land aufbauen, das wirklich „Heimat und Zuhause für alle Kolumbianer“ sei.

Das erste Anliegen, das Franziskus ansprach, war die Bewahrung der Schöpfung. „Kolumbien ist ein in vieler Hinsicht gesegnetes Land. Seine üppige Natur erlaubt nicht nur die Bewunderung seiner Schönheit, sondern lädt auch zu Umsicht und Respekt hinsichtlich seiner Biodiversität ein. Kolumbien steht an zweiter Stelle in der Welt, was die Biodiversität betrifft.“ Dem Thema Umweltschutz hat Franziskus vor zwei Jahren seine Enzyklika Laudato si‘ verschrieben.

Unaufhaltsam soll der Einsatz für Frieden sein

Zweites Anliegen des Papstes: Frieden statt Krieg. Er fühle „Hochachtung für die Anstrengungen, die in den letzten Jahrzehnten gemacht wurden, um der bewaffneten Gewalt ein Ende zu bereiten“. „Im letzten Jahr ist man gewiss in besonderer Weise vorangekommen; die gemachten Schritte haben Hoffnung wachsen lassen in der Überzeugung, dass die Suche nach dem Frieden eine immer offene Sache ist, eine Aufgabe, die keine Ruhepause zulässt und den Einsatz aller erfordert. Diese Arbeit verlangt von uns, in der Anstrengung nicht nachzulassen, die Einheit der Nation aufzubauen.“

Natürlich gebe es „Hindernisse“, „Unterschiede“, „verschiedene Ansätze“, doch Kolumbien dürfe sich in seinem Ringen um „ein friedliches Zusammenleben“ von nichts bremsen lassen. „Möge diese Anstrengung uns von der Versuchung fernhalten, nach Vergeltung und bloß kurzfristigen Sonderinteressen zu streben. Je schwerer der Weg ist, der zum Frieden und zur Verständigung führt, umso mehr Beharrlichkeit müssen wir einsetzen, um den anderen anzuerkennen, die Wunden zu heilen, Brücken zu bauen, Beziehungen zu knüpfen und einander zu helfen.“

Der Papst erinnerte an Kolumbiens Wahlspruch „Freiheit und Ordnung“: Eine „ganze Lehre“ sei darin enthalten. „Es gilt nicht das Gesetz des Stärkeren, sondern die Stärke des von allen gebilligten Gesetzes, welche das friedliche Zusammenleben leitet.“ „Gerechte Gesetze“ sollten dabei helfen, „die Konflikte zu überwinden, die dieses Land jahrzehntelang zerrissen haben“. Vor allem die ungerechte Landverteilung und die Notwendigkeit einer Bodenreform hatten die FARC-Rebellion, die sich in diesen Tagen zu einer Partei wandelt, angetrieben.

In der Verschiedenheit liegt der Reichtum

Franziskus forderte, „die strukturellen Ursachen für die Armut zu beseitigen, die Ausschließung und Gewalt erzeugen“. „Nur so wird man von einer Krankheit genesen, die die Gesellschaft anfällig und unwürdig macht und sie immer an die Schwelle neuer Krisen führt. Vergessen wir nicht, dass die Ungleichverteilung der Einkünfte die Wurzel der sozialen Übel ist.“

Kolumbien müsse ganz neu alle Ausgeschlossenen und an den Rand Gedrängten in den Blick nehmen: „Wir alle sind nötig, um die Gesellschaft zu schaffen und zu formen. Das macht man nicht nur mit einigen, die „reines Blut“ haben, sondern mit allen. Und hierin wurzelt die Größe und die Schönheit eines Landes - dass in ihm alle in Betracht kommen und alle wichtig sind. In der Verschiedenheit liegt der Reichtum.“

Er denke da „an die erste Reise von Petrus Claver von Cartagena nach Bogotá mit der Durchquerung des Río Magdalena“, sagte Franziskus: „Sein Staunen ist das unsere. Damals wie heute haftet unser Blick auf den verschiedenen Ethnien und Bewohnern der entferntesten Gebiete, den Campesinos. Wir schauen auf die Schwächsten, auf diejenigen, die ausgebeutet und geschunden werden, jene, die keine Stimme haben, weil man sie ihnen geraubt oder nicht gegeben bzw. nicht zuerkannt hat. Wir richten den Blick auch auf die Frau, ihren Beitrag, ihr Talent, ihr Muttersein mit den zahlreichen Aufgaben. Kolumbien braucht die Teilnahme aller, um sich mit Hoffnung der Zukunft zu öffnen.“

Die Kirche wolle ihren Beitrag zu Frieden, Gerechtigkeit und Gemeinwohl leisten, versprach der Papst. Sie trete für den „heiligen Respekt vor dem menschlichen Leben“ sowie für „die gesellschaftliche Bedeutung der Familie“ ein. „Und bitte hören Sie auf die Armen und die Leidenden! Schauen Sie sie an und lassen Sie sich in jedem Moment von ihren von Schmerz zerfurchten Gesichtern und ihren flehenden Händen anfragen. An ihnen lernt man wirklich Lektionen des Lebens der Menschlichkeit und der Würde. Denn diejenigen, die in Ketten schmachten, verstehen ja die Worte dessen, der am Kreuze starb, wie es in Ihrer Nationalhymne heißt.“

Papst zitiert kolumbianischen Autor García Márquez

Übrigens konnte es sich der Papst nicht verkneifen, in seiner Rede auch Gabriel García Márquez zu erwähnen, den Vater des magischen Realismus‘ Lateinamerikas. Franziskus nannte den großen kolumbianischen Autor „Gabo“ und zitierte aus der Rede, die dieser bei der Entgegennahme des Nobelpreises für Literatur gehalten hatte: „Und dennoch ist angesichts von Unterdrückung, Plünderung und Verlassenheit unsere Antwort – das Leben. Weder Sintfluten noch Seuchen, weder Hungersnöte noch Umstürze, nicht einmal die ewigen, Jahrhunderte und Aberjahrhunderte dauernden Kriege vermochten die beharrlichen Vorzüge des Lebens gegenüber dem Tod zu verringern. Ein Vorzug, der sich verstärkt und beschleunigt.“ Sie sei also möglich, die „neue und mitreißende Utopie eines Lebens, bei dem niemand über einen anderen entscheiden darf, eines Lebens, in dem Liebe wirklich wahr und Glück möglich ist“.

Nach diesem „Gabo“-Zitat wurde der Papst dann selbst etwas lyrisch, er erinnerte an García Márquez‘ Bestseller „Hundert Jahre Einsamkeit“: „Es ist viel Zeit mit Hass und Rache vergangen ... Die Einsamkeit, immer in Konfrontation zu leben, währt schon Jahrzehnte und riecht alt wie hundert Jahre. Wir wollen nicht, dass irgendeine Form der Gewalt jemals mehr ein Leben einschränke oder auslösche. Ich wollte selbst hierher kommen, um Ihnen zu sagen, dass Sie nicht allein sind und dass wir viele sind, die Sie bei diesem Schritt begleiten. Diese Reise will ein Anreiz für Sie sein, ein Beitrag, der jedem den Weg hin zur Versöhnung und zum Frieden ein wenig ebnet.“

Papst und Präsident sprachen nach diesem Auftakt auch noch privat miteinander. Und sie tauschten Geschenke aus: Santos überreichte u.a. einen Rucksack von Indios aus der Sierra Nevada, Franziskus revanchierte sich mit einer bronzenen Mini-Via Crucis eines italienischen Künstlers.

(rv 07.09.2017 sk)








All the contents on this site are copyrighted ©.