2017-09-07 09:08:00

Kolumbien: Wie die Kirche dort tickt


Franziskus besucht mit Kolumbien ein Land, in dem die katholische Kirche tief verwurzelt ist. Zu ihr bekennen sich heute 80 Prozent der Kolumbianer, nach vatikanischen Angaben sogar 94 Prozent. Die Kirche ist akzeptiert von reich und arm, sie ist überall, sie leistet einen unersetzlichen Beitrag im Friedensprozess – doch es gibt auch Kritik an ihr, vorgebracht von Theologen der Befreiung. Gudrun Sailer mit einem Überblick über die katholische Kirche in Kolumbien aus kritischer Sicht.

„Der Papst wird sich mit allen kolumbianischen Bischöfen treffen. Wir werden eine Begegnung von einer Stunde haben. Alle Bischöfe sind wir begierig darauf, dem Heiligen Vater zuzuhören, seinem Wort, das uns hilft, in der Einheit zu wachsen.“

Wer da so diplomatisch spricht, ist Kolumbiens wichtigster Kirchenmann: Kardinal Ruben Salazar Gomez, Erzbischof der Hauptstadt-Diözese Bogotá, zugleich Vorsitzender des Lateinamerikanischen Bischofsrates CELAM. Ein päpstliches Wort an die Bischöfe, das ihnen hilft, in der Einheit zu wachsen – tatsächlich, Einheit tut Not in diesem Land, das 50 Jahre lang von Gewalt zerfleischt war. Und da die Kirche in diesem Land omnipräsent ist, die Nöte der Armen ebenso versteht wie jene der Wohlhabenden, treten notwendigerweise auch in ihr Spannungen und Spaltungen auf. Der Befreiungstheologe Jaime Diaz, Erfinder der Institution „Friedensschule“ und seit 1968 Berater bei kirchlichen Hilfswerken wie misereor und Brot für die Welt, sagt:

„Die Kirche hat bis heute nicht genug Mut und genug Engagement für den Friedensprozess, hinter dem leider nicht alle Bischöfe stehen. Vor der Volksabstimmung über das historische Friedensabkommen zwischen Regierung und FARC-Guerilla gab es Priester und Bischöfe, die in Predigten die Leute dazu aufriefen, Nein zu stimmen.“

Diesen Vorwurf lässt die Bischofskonferenz so freilich nicht gelten. Man habe beim Referendum zu einer Gewissensabstimmung aufgerufen, um die Spaltung im Land nicht noch zu vertiefen, sagt der Vorsitzende der Bischofskonferenz Oscar Urbina. Nicht warm wurde das Episkopat sicherlich auch mit den Gender-Aspekten in dem 300 Punkte umfassenden Friedensabkommen.

„Das Thema Gender-Ideologie hat die Kampagne des Referendums überlagert“, erinnert sich Jaime Diaz, „die evangelischen Kirchen, die in solchen Fragen noch sehr viel konservativer sind, riefen zum Sturm, auch der Kardinal mahnte zum Protest, das beeinflusste die Leute sehr, sie sagten sich: ,die wollen, dass wir alle homosexuell werden´, ein absurder Vorwurf. Aber auch viele Kirchenleute sind beim Thema Gender komplett unwissend.“

„Kirche müsste Landlosen zu Land verhelfen“

Und so gewann bei der Volksabstimmung das „Nein“. Regierung und FARC überarbeiteten das Abkommen und setzen es nun um – auf ein zweites Referendum wurde vorsichtshalber verzichtet. Die Entwaffnung der Rebellen ist inzwischen abgeschlossen. Doch der zentrale Punkt überhaupt, die Frage des Grundbesitzes, der Mittelpunkt des kolumbianischen Konflikts, ist noch sehr weit von einer Lösung entfernt.

„Wir sind das Land in Lateinamerika, das die stärkste Konzentration an Grundbesitz hat“, erklärt der Befreiungstheologe. „Die Kirche nun steht traditionell der konservativen Partei nahe, der Partei der Grundbesitzer. Und viele Kirchenleute glauben immer noch, das Abkommen heißt, den Ackerboden den Linken zu geben. Die Kirche würde gut daran tun, wenn sie den Landlosen hilft, an Boden zu kommen – mithilfe von Anwälten oder Technikern.“

Kolumbiens Bischöfe sind seit jeher konservativ

Kolumbien hatte noch nie in seiner Geschichte eine Linksregierung, nicht einmal eine linke Regierungsbeteiligung. In der politischen Verantwortung wechselten sich stets Liberale mit Konservativen ab. Doch für Sicherheit und Stabilität sorgte das nicht, im Gegenteil. Fünf Jahrzehnte lang hatte die Gewalt zwischen marxistischen Rebellen, Regierung, Paramilitärs und Drogenkartellen das Land im Griff, die Zahl der Opfer beträgt acht Millionen.

Die katholische Kirche galt in dieser Lage über Jahrzehnte als Garant der Stabilität. „Deshalb", erklärt Jaime Diaz, „sind in Kolumbien die Bischöfe historisch sehr konservativ.“ Zwei von ihnen berief Papst Johannes Paul II. übrigens auch in den Vatikan und damit in weltkirchlich relevante Positionen: die Kardinäle Alfonso Lopez Trujillo als Präsident des Päpstlichen Familienrates und Dario Castrillon Hoyos, der als Leiter der päpstlichen Kommission Ecclesia Dei die Panne rund um die Aufhebung der Exkommunikation für die Bischöfe der traditionalistischen Piusbruderschaft verantwortete.

Erst unter Papst Franziskus erhält Kolumbien nach und nach Bischöfe neuen Zuschnitts. Auch beim Priesternachwuchs sieht der Theologe Entwicklungen. „Gut ist, dass heute viele junge Männer im Seminar aus dem einfachen Volk kommen. Aber einige suchen eben auch das Pfarrhaus, die Versorgung.“ Fast 3.500 Seminaristen verzeichnet die Kirche in Kolumbien, eine eindrucksvolle Zahl.

Von den rund 90 amtierenden Bischöfen Kolumbiens rechnet der Befreiungstheologe derzeit nur eine Handvoll zu denen, die offensiv für den Friedensprozess werben. Zugleich aber wirkten die Bischöfe still und wirksam im Hintergrund, bescheinigt selbst der kritische Befreiungstheologe und würdigt ausdrücklich die kirchliche Kommission für Versöhnung und den Einsatz der Kirche für einen Waffenstillstand mit der ELN-Guerilla - dieser kam wenige Tage vor Eintreffen des Papstes tatsächlich zustande. Die Kirche hat eine große Chance und eine große Verantwortung, wirklich am Frieden zu arbeiten, hält Diaz fest.

„In Kolumbien ist der Grad der Institutionalisierung sehr niedrig. Der Staat hat keine Präsenz in weiten Teilen des Landes, weshalb die Guerillas so stark werden konnten. Die einzige Institution neben dem Militär, die überall präsent ist, ist die Kirche. Und die Leute schätzen die Kirche, überall. Gerade auch dort, wo der Konflikt am heftigsten war, wo es viel Gewalt und Tod gab.“

(rv 07.09.2017 gs)








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