2017-09-04 08:00:00

Kolumbien: Wir brauchen das Wort des Papstes, kein Geschwätz


Zwei große Themen wird Papst Franziskus im Gepäck haben, wenn er in wenigen Tagen nach Kolumbien aufbricht: Versöhnung und Umwelt. Das sagt Erzbischof Oscar Urbina Ortega von Villavicencio. Der neue Vorsitzende der kolumbianischen Bischofskonferenz, der den Papst auch in seiner Bischofsstadt Villavicencio als Gast begrüßen wird, äußerte sich vor Journalisten deutschsprachiger Medien auf Kolumbien-Besuch.

Nach dem Abkommen zwischen Regierung und FARC vor einem Jahr sehen viele Menschen in Kolumbien den Friedensprozess skeptisch. Erhebungen zufolge steht die Hälfte von ihnen nicht hinter dem Abkommen. „Der Papst wird“, so sagt Urbina, „ein guter Gesprächspartner für alle Menschen in Kolumbien sein, für die, die ja gesagt haben und für die, die nein gesagt haben.“ Beim Referendum, das Präsident Santos letzten Oktober angestrengt hatte, fiel eine ganz knappe Entscheidung gegen das Abkommen. Die einflussreiche katholische Kirche hatte die Kolumbianer im entscheidenden Moment nicht zum „Ja“ aufgerufen, sondern zu einer „Gewissensentscheidung“. Erzbischof Urbina kann dem unter Mitwirkung  der Kirche gescheiterten Referendum im Nachhinein etwas Positives abgewinnen: „Partei zu ergreifen vor der Abstimmung wäre schlimmer gewesen. Das Nein führte zu einer Revision der Verhandlungen. Aus etwas Schlechtem wurde etwas Gutes.“

Taufakte als einzige Dokumente, die Landbesitz nachweisen

Der Kern des Abkommens, der Kern des Konflikts in Kolumbien ist die Frage des Landes. „Die Böden gehören oft mehreren Menschen zugleich, sie haben kein Eigentum daran; die Reorganisation kann der Kern neuer Gewalt sein“, erklärt der Vorsitzende der Bischofskonferenz. „Die Kirche jedenfalls ist die einzige Organisation, die wirklich überall ist. Und das ist hilfreich. Zum Beispiel sind Taufakte oft die einzigen Dokumente, die beweisen können, dass diese und jene Familie da seit Jahrzehnten gelebt hat.“

Die Konflikte in Kolumbien sind sehr tief verwurzelt, sagt Urbina: „Kolumbien ist ein Land, das von Anfang an im Krieg war. Und Lösungen waren immer nur Scheinlösungen, die neue Konflikte hervorgebracht haben: die Nicht-Inklusion der Bauern führte zur Gründung der FARC. Die erste Agrarreform blieb unrealisiert, und deshalb schlossen die campesinos, die Kleinbauern, sich zusammen – 80 Prozent der Menschen in Kolumbien sind campesinos. Wir haben aber heute mehr Bewusstsein und mehr Mittel als früher. Das hilft.“ Und selbstkritisch räumt der Vorsitzende der Bischofskonferenz ein: „Die Kirche muss ihre soziale Rolle noch besser entwickeln als bisher. Bisher war es eher Fürsorge.“

Kolumbien könnte so reich sein…

Dabei hat das Land gewaltige Ressourcen. Kolumbien könnte ein reiches Land sein. Es hat Bodenschätze und eine Artenvielfalt, an die, bezogen auf die Fläche, nicht einmal Brasilien heranreicht. In seiner Bischofsstadt Villavicencio hat der Erzbischof jüngst ein Treffen zur Papstenzyklika „Laudato Si“ veranstaltet, mit dem Ziel, „ein Gefühl für die Erde zu entwickeln“, wie er sagt: „denn die Versöhnung im Land geht von den Opfern aus, und sie geht von der Erde aus.“

In den weiten, kaum besiedelten Landstrichen im Süden und Osten Kolumbiens leben an die 90 indigene Völker. Diese Gebiete werden jetzt gerade ansatzweise entwickelt. Ein Problem dort ist illegales Schürfen. Was aber dort wohl zunehmen wird, ist der Ausverkauf des Landes an internationale Bergbaukonzerne. „Wir als Bischofskonferenz verfolgen da jeweils lokal unterschiedliche Strategien“, sagt Erzbischof Urbina. „Wo die Bevölkerung sich dagegenstellt, da muss die Regierung eine neue Regelung finden. Die Zerstörung der Umwelt hat immer soziale Auswirkungen, vor allem für die Ärmsten. Das genau sagt Laudato si.“

Und wie stehen die Bischöfe zur nächsten Präsidentenwahl?

Strenggenommen fällt die Papstreise nach Kolumbien in den Vorwahlkampf. Im Frühjahr versucht Präsident Santos, der das Friedensabkommen mit den FARC ausverhandelte, sich wieder ins Amt wählen zu lassen. „Die Position der Bischofskonferenz wird die der Aufklärung sein“, sagt Urbina. „Wir haben im Land 60 Prozent Leute, die nicht zur Wahl gehen. Unsere Aufgabe ist es, zur Wahl aufzurufen. Und zweitens würde ich helfen, Korruption abzubauen.“  Und er resümiert: „Es ist ein sehr heikles Jahr für Kolumbien. Politisch, weil das Abkommen nicht scheitern darf. Wir brauchen das Wort, das Wort des Papstes, und nicht das Geschwätz.“

(rv 04.09.2017 gs)








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