2017-09-02 08:50:00

Kolumbien: Was FARC-Opfer sich vom Papst erhoffen


Acht Millionen Kolumbianer sind registrierte Opfer des bewaffneten Konflikts im Land, eines verwickelten Krieges zwischen Regierung, linken Rebellen, rechten Paramilitärs und längst auch Drogenkartellen. Was erwarten sich Kolumbiens Opfer vom Papst auf Besuch? Und was vom Friedensprozess, den Franziskus mit seiner Reise bestärken will? Wie sehen Opfer marxistischer Rebellen die Rolle der Kirche im Prozess der Versöhnung zwischen Opfern und Tätern, was denken sie über die Befreiungstheologie, an der sich linksgerichtete Guerillas inspirieren? Wir sprachen mit Ximena Ochoa, Vizepräsidentin der Kolumbianischen Föderation der Opfer der FARC.

„Ich denke, wir brauchen Garantien, dass sich diese Gewalt nicht wiederholt, und Garantien, dass Gerechtigkeit hergestellt wird“, sagt die etwa 60-jährige Frau mit gepflegtem grauen Schopf, die sich beim Gehen eines Stockes bedient. Ximena Ochoa hat Schlimmes erlebt. Kämpfer der marxistischen FARC-Guerilla entführten ihre Mutter und erpressten ein Lösegeld, das die Viehzüchter-Familie an den Rand des Ruins brachte. Der Friedensprozess, sagt sie, muss vorangehen, aber sie hat auch Verständnis für die Skepsis, die viele Kolumbianer dem Friedensabkommen zwischen Regierung und FARC entgegenbringen.

„Die Kolumbianer glauben, meiner Meinung nach haben sie auch Grund dazu, dass Straffreiheit neue Gewalt hervorbringt. Ohne Gerechtigkeit und ohne Wahrheit ist es schwer, Frieden zu erlangen. Es braucht eine Entschädigung der Opfer in dem Sinn, dass die Organisationen, die die Menschen zu Opfern machten, ihre Fehler zugeben.“

Aus der FARC-Guerilla wird soeben eine politische Partei, eine Linkspartei. Das ist eine positive Entwicklung, sagt Ximena Ochoa, versieht ihre Aussage aber auch hier mit einem großen „Aber“.

„Ich bedaure, dass die FARC nicht verstanden haben, dass der Marxismus-Leninismus kein gangbarer Weg ist. Es ist ein Fehler, darin zu verharren. Nun haben alle ein Recht darauf, sich zu irren, ihre legale Arbeit in der Politik wird sie vielleicht auch überzeugen, den Marxismus aufzugeben. Was uns interessiert, ist, dass sie aufhören, Waffen zu benutzen.“

„Theologie der Befreiung ist nicht hilfreich: sie rechtfertigt Gewalt"

Zur Rolle der Kirche im Prozess der Versöhnung sagt die Opfervertreterin, die Kirche sei groß und vielschichtig, für „nicht hilfreich“ hält sie die Theologie der Befreiung: „Denn auf gewisse Weise rechtfertigt die Theologie der Befreiung die Gewalt. Ich glaube nicht an so etwas. Ich denke, die katholische Kirche kann eine sehr bedeutende Rolle spielen, wenn sie nicht auf der Umverteilung des Reichtums in genau gleiche Portionen besteht, sondern auf unsere Fähigkeit zusammenzuleben.“ Man könne nicht zulassen, „dass die marxistischen Strömungen uns dazu bringen zu denken, dass alles ein wirtschaftliches Problem ist. Nein! Es ist ein Problem des Zusammenlebens, die Fähigkeit zu teilen, und das sind genuin menschliche Werte. Darüber spricht weder die Rechte noch die Linke, sondern als einzige die katholische Kirche.“

Von Papst Franziskus erhoffen sich die FARC-Opfer, dass er vertieft auf das Thema Versöhnung eingeht. Und Ximena Ochoa erklärt, was sie damit meint: „Wir Opfer wurden ein zweites Mal zum Opfer, indem uns abverlangt wurde, dass wir vergeben. Aber Vergebung kann man nicht verlangen, Vergebung kann nur gewonnen werden. Die Kirche lehrt, dass selbst Gott, der alles verzeiht, Reue verlangt, Beichte, ein Schuldeingeständnis, Wiedergutmachung in Werken.“ Damit Vergebung geschieht, brauche es Voraussetzungen – eine bedingungslose Vergebung kann sich Ximena Ochoa nicht vorstellen.

„Vergebung kann man erlangen, aber nicht verlangen"

„Ich denke, in diesem Moment haben wir es noch zu tun mit einer leeren Vergebung. Eine Vergebung, die keine Gerechtigkeit bedeutet, eine light-Version der Vergebung – und die ist unmoralisch und antisozial, solange es keine Gerechtigkeit gibt. Denn solange wir nicht die Wahrheit kennen, beeinträchtigt es die Zukunft der Gesellschaft, weil damit gesagt: alles wird vergeben, und nichts geschieht.“

Papst Franziskus wird am Freitag, den 8. September in Villavicencio an einem großen nationalen Versöhnungstreffen Kolumbiens teilnehmen. Danach betet er mit 400 Kindern und einer Gruppe von Indigenen am Kreuz der Versöhnung. 

(rv 02.09.2017 gs)








All the contents on this site are copyrighted ©.