2017-08-28 14:33:00

Kolumbien: Das Problem mit den FARC-Dissidenten


Er läuft: der Friedensprozess in Kolumbien. Holprig, aber mit einer gewissen Beständigkeit. Wie im Abkommen zwischen Regierung und FARC-Rebellen vorgesehen, wird aus der inzwischen entwaffneten linken Guerilla nun eine politische Partei – und das wenige Tage, ehe der Papst in Kolumbien eintrifft. Franziskus will den schwierigen Friedensprozess bestärken, unter anderem wird er Ex-Kämpfer und auch einige ihrer Opfer treffen, zudem wird er in einem gesonderten Treffen Kolumbiens Bischöfe, rund 80 an der Zahl, zu unbedingtem Einsatz für Versöhnung und Frieden mahnen.

Einen, den er dazu nicht extra einladen muss, ist Nelson Jair Cardona Ramírez. Franziskus hatte ihn vor einem Jahr zum Bischof von San José del Guaviare ernannt. In dieser Urwald-Diözese in Zentralkolumbien hat der noch nicht 50-jährige Bischof viel Kontakt zu Ex-Guerilleros wie zu Opfern. Ein Sonderfall in dieser Region ist das starke Aufkommen von FARC-Dissidenten, erklärt der Bischof: Guerilleros, die das Abkommen mit der Regierung boykottieren, die ihre Waffen behalten haben und ihren Kampf um Land, Gerechtigkeit und Teilhabe mit dem Finger am Abzug fortführen.

„Dissidenten zeigen: wir sind präsent und wollen Herrschaft"

„Guaviare [ein Departement, zugleich Bistum, Anm.] ist ein Gebiet mit 70 Prozent Urwald“, sagt der Bischof, „von daher ist es ein guter Ort für Dissidenten. In diesem Moment müssen es mehr als 250 Männer sein, die als Dissidenten wirken. Auch wenn man es nicht oft hört, wir hatten hier drei Bomben, schwache, aber doch, in der Hauptstadt San José del Guaviare, weitere sechs verstreut im Departement, in Retorno starb auf diese Weise ein Soldat. In diesem Moment zeigen die Dissidenten, dass sie präsent sind, dass sie Kraft haben und Herrschaft in der Region haben wollen.“

Der FARC-Guerilla gehörten zuletzt rund 7.000 aktive Kämpfer an, Männer wie Frauen. Gibt es Kontakte zwischen jenen, die hinter dem Abkommen stehen, und den Abtrünnigen? Nein, glaubt Bischof Cardona, das zumindest hätten ihm die Ex-Rebellen gesagt, mit denen er sprach. Auf dem Gebiet seines Bistums liegen zwei sogenannte Übergangszonen, bis vor kurzem hießen sie Entwaffnungszonen, spartanische Zeltdörfer, in denen die zum Frieden bereiten FARC-Rebellen unter UNO-Überwachung ihre Waffen abgaben und nun versuchen, sich mit einfachen Mitteln ein Leben als Kleinbauern aufzubauen.

Die FARC-Dissidenten wollen, so die Einschätzung des Bischofs, das Friedensabkommen nicht annehmen, „weil sie entweder nicht an den Friedensprozess glauben oder nicht dazu bereit sind, ihren Lebensstil zu ändern. Die, die ihre Waffen abgelegt haben, denen geht es gut in den Übergangszonen, in diesen zwei Zonen, die wir hier haben, das sind mehr als 1000 Leute. Ich habe sie persönlich dort besucht, sie machen dort ihre Arbeit und es geht voran. Etwas Anderes ist es mit den Abtrünnigen. Diese Dissidenz will die Revolution vorantreiben und die Herrschaft über den Drogenanbau in der Region behalten. Er kürzlich gab die Regierung bekannt, eines der Gebiete, in denen der Koka-Anbau zugenommen hat, ist eben Guaviare.“

Die katholische Kirche in Kolumbien begleitet den Friedensprozess in Kolumbien seit Jahrzehnten auf allen Seiten. Mithilfe von Partnern wie Adveniat, dem deutschen bischöflichen Lateinamerika-Hilfswerk, setzt die Kirche in den entlegenen Rebellengebieten besonders auf die Schulung von Pfarrern und Ordensleuten und damit auf den seelsorgerlichen Kontakt an der Basis. An die FARC-Dissidenten heranzukommen ist aber gar nicht so einfach, räumt Bischof Cardona ein.

„Einige von diesen Leuten sind normale Gläubige in unseren Pfarreien, es kommt also vor, dass die Pfarrer mit ihnen Kontakt haben. Keinen offiziellen Dialog, den gibt es nicht, obwohl die Kirche immer die Möglichkeit zu Dialog und Annäherung angeboten hat, aber in diesem Moment gibt’s keine offizielle Annäherung, außer die seelsorgerliche Annäherung, die die jeweiligen Pfarrer mit ihnen machen können.“

Der Effekt jahrzehntelanger Gewalt: Man gewöhnt sich daran

Was dem jungen Bischof spürbar Sorgen macht, ist, dass die Menschen in seinem Gebiet die Gewalt schon lange als quasi unabänderlichen Teil ihres Alltags sehen.

„Es ist traurig, das zu sagen, vor allem vor Ihnen, die Sie in Ruhe und Frieden leben, aber wir gewöhnen uns an diese Form des Lebens. Es war eben schon 50 Jahre lang so, in denen Guaviare Schauplatz eines starken Konflikts war. Und wenn Sie uns fragen, ob wir in Angst leben und verschlossen: nicht so sehr. Wir sind gewöhnt daran, mitten im Konflikt zu leben. Das ist die Realität. Manchmal gibt’s die eine oder andere Vertreibung, aber die Leute sind daran gewöhnt.“

Deshalb lebten die Menschen in seinem Bistum in abwartender Haltung – nicht ohne Hoffnung, immerhin.  

„Wie gesagt, in Guaviare hat sich der Frieden noch nicht durchgesetzt. Aber es gibt Gegenden in Kolumbien, in denen es keine Dissidenten gibt. Deshalb, ja, da gibt es schon auch Früchte des Abkommens. Aber im Fall von Guaviare gibt es diese Früchte bisher noch nicht.“

(rv 28.08.2017 gs)








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