2017-08-13 08:39:00

Kolumbien: Ein Besuch bei entwaffneten Guerilleros


 

Kolumbien hat eine Riesenchance: die Chance auf Frieden nach mehr als 50 Jahren Bürgerkrieg. Eine Chance, die das Land nicht verspielen darf, und deshalb reist Papst Franziskus im September an, um den Kolumbianern ins Gewissen zu reden. Vergangenen August, vor einem Jahr, hatten die Regierung und die FARC-Guerilla in Havanna ihr Friedensabkommen unterzeichnet. Es hält, doch der Weg zum dauerhaften Frieden erweist sich als ausgesprochen mühsam. Warum das so ist, erschließt sich am anschaulichsten nicht in Kolumbiens Städten, sondern in den entlegenen, dünn besiedelten Landstrichen im Süden und Osten, dort, wo der Konflikt begann. Gudrun Sailer war mit dem bischöflichen Lateinamerika-Hilfswerk Adveniat vor der Papstvisite zu Gast in Kolumbien und besuchte dort ein Gebiet, das für Zivilisten eigentlich tabu ist: eine Entwaffnungszone der FARC-Rebellen.

„Mariana Páez” ist ein karges Zeltdorf in den abgeschiedenen, grünen Hügeln der Region Meta. Eine Rumpelpiste führt dahin, bei Regen ist die Ansiedlung fast unzugänglich. Zwei bewaffnete Posten sind zu passieren, dann ist man da. Ein großes kahles Feld, umgeben von Zelten, in einigen sitzen Ex-Rebellen und –Rebellinnen zur Lagebesprechung oder Fortbildung. Es sieht aus wie in einem Flüchtlingslager, nur mit mehr Luft, Strom kommt aus Generatoren, Sanitäranlagen gibt es nicht, noch immer nicht, nach sechs Monaten. Ein Säugling schreit durchdringend. Unter einem Zeltdach stellen sich zwei Delegierte den Fragen der Journalisten aus dem fernen Europa: Julian und Diego, ob es ihre echten Namen sind, tut nichts zur Sache. Sie tragen Militärhosen und Stiefel, wegen des Schlammes, auf Diegos T-Shirt prangt das Statement: Unidos por la paz! – Vereint für den Frieden.

„Unsere Verpflichtungen aus dem Friedensabkommen haben wir erfüllt“, sagt Diego. „Hier an diesem Ort haben wir am vergangenen 27. Juni den symbolischen Akt des Abgebens der letzten Waffe vollzogen.“

Noch sind die Waffen im Lager. Sie liegen in einem versiegelten und im Turnus bewachten Container, UNO-Kräfte bereiten sie derzeit auf den Abtransport vor. So wie hier in Mariana Paez haben die FARC-Rebellen auch in allen übrigen 25 extra eingerichteten Übergangszonen Kolumbiens ihre Kampfinstrumente abgegeben. Doch das ist nichts als der Anfang, erklärt Diego. Viele Konflikte harren ihrer Lösung.

„Ganz vorrangig müssen wir an die Umsetzung der vorgesehenen Agrarreform denken. Das ist es, was sich in den Weiten des Landes am meisten auswirken wird. Frieden ist nicht möglich, wenn man nicht die zugrundeliegenden Probleme angeht – die Dinge, die ja den bewaffneten Konflikt auslösten: den Landkonflikt und den Konflikt um die Teilhabe an Entscheidungen über Boden.“

Worum geht es den Rebellen?

Im Kern ist die FARC eine Bewegung von Kleinbauern, die um ihr Land streiten. In all den Jahrzehnten des Konflikts hörten die Linksrebellen nie auf, Bauern zu sein und Land zu bewirtschaften. Das, sagen Beobachter, hilft ihnen jetzt bei der Wiedereingliederung in die Gesellschaft. Andere bewaffnete Gruppen wie die kleinere, eher urbane ELN-Guerilla oder gar die rechtsgerichteten Paramilitärs dürften es schwerer haben, weil der bewaffnete Konflikt gewissermaßen ihr einziger Beruf ist.

„Früher war es so, dass wir immer an allen unseren Fronten eine Kriegsökonomie hatten“, erklärt Julian. „Wir bauten an und ernteten, das brauchten wir, um unseren Kampf zu unterstützen. Es ist eine komplett arbeitsorientierte Militanz. Und wir warten auch nicht darauf, dass der Staat jetzt alle unsere Probleme löst. Wir versuchen hier eine Schweinezucht aufzuziehen, vielleicht Fischfang. Wir haben eine Arbeitskraft und die werden wir gemeinsam in diese Projekte stecken, und gemeinsam werden wir vorankommen.“

Eine Frage auf Leben und Tod

Das Leben in diesem Zeltlager ist sehr bescheiden, eine medizinische Versorgung praktisch inexistent; für die Säuglinge kann das über Leben und Tod entscheiden, unvorstellbar aus Sicht der Besucher. Dennoch: „Wir sind nichts anderes gewohnt“, sagt eine 27-jährige schwangere Frau an der Waschstelle, „unser Leben war immer sehr einfach. Und wir müssen jetzt nicht mehr jede Nacht Gewalt fürchten.“ Am Hügel ziehen Männer Gerüste für große Hallen aus Metall und Holz hoch, erste Ansätze eines dörflichen Lebens mit gewissem Standard. In einem Zelt spielt ein Ex-Guerillero Anfang 20 auf einem Keyboard Salsa, er hat es sich selbst beigebracht.

Welche Mechanismen brachten diese Männer und Frauen dazu, als Jugendliche bei bewaffneten Gruppen anzuheuern, die sich aller möglichen Art von Verbrechen schuldig machten? Die erpressten und vertrieben, mordeten und entführten? Er war 14, erzählt Diego den Journalisten, als er zum ersten Mal zu den FARC ging. Mit 16 nahmen sie ihn auf und gaben ihm Waffen.

„Ich hatte keine Perspektiven, so wie alle meine Schulkameraden. Täglich sah man Militärs, es gab feindselige Szenen. Sie halten dich an und befehlen dir, dich auszuziehen, sie suchen dich nach Waffen ab, halten dir das Gewehr an den Kopf, für einen 12jährigen ist das bestürzend, es schafft Abscheu. Dann trifft man auch Guerilleros, da ist der Sohn des Nachbarn, es ist Gemeinschaft da. Dazu kommt, dass deine Eltern, obwohl sie pausenlos arbeiten, das Schulgeld und die Schuluniform nicht zahlen können. Bis zur Schule sind es vier Stunden Fußmarsch jedes Wochenende. Fast alle meiner Kameraden haben die Schule abgebrochen. Entweder gingen sie zur Armee oder zur Guerilla. Es war fast unmöglich, etwas zu lernen. Das verschließt dir jeden Weg. Und so ging ich zur FARC.“

„Du zählst nicht die Toten auf der anderen Seite“

Zehn Kilo Waffen trug er als Guerillero täglich mit sich herum, erzählt Diego. Wie viele Leute er umbrachte, weiß er nicht, „du schießt, dann rennst du, du zählst nicht die Toten auf der anderen Seite“. Jetzt lebt er ohne diese Gewalt. Seine Ziele haben sich nicht verändert – aber die Mittel. „Unser Ziel war nicht Waffen zu haben, sondern unser Ziel war ein politisches Projekt. Wir werden jetzt das Wort als einzige Waffe benutzen, um Politik zu machen.“ Es klingt ein wenig so, als hätte Diego diesen Satz schon oft gehört und gesagt.

Der europäischen Journalistengruppe hat sich an diesem Tag eine Frau angeschlossen, die allen Grund hat, diese jungen Männer zu hassen. Ximena Ochoa ist ein Opfer der FARC. Die Linksrebellen entführten ihre Mutter und erpressten ein Lösegeld, das die Familie fast in den Ruin trieb. Sie hinderten die Viehzüchterin am Zugang zu ihrem Land. „Es sind zwiespältige Empfindungen für mich hier“, erzählt sie uns noch im Camp. „Aber ich fühle mich in einer Einschätzung bestätigt, die ich schon vorher hatte: die Guerilleros auf den unteren Rängen sind selbst oft Opfer.“ Wie viele Menschen in Kolumbien, denen die Rebellen Gewalt antaten, sieht Ximena Ochoa das Friedensabkommen mit den FARC skeptisch. Ist es gerecht, wenn Leute, die andere zwar nicht ermordeten, aber etwa erpressten, ohne Strafe davonkommen?

„Die Kolumbianer sind der Meinung, mit Recht, wie ich denke, dass die Straflosigkeit die Wurzel neuer Gewalt ist. Wenn es keine Gerechtigkeit gibt, wird es schwer, Frieden zu haben.“

Zum Abschied kommt es zu einer Szene, die die umstehenden Journalisten berührt. Julian, der FARC-Rebell, umarmt Ximena, das FARC-Opfer, und bittet sie im Namen der Guerilla um Vergebung. Anderntags fragen wir Ximena, wie sie das fand. Sie sagt, es war einstudiert, eine rhetorische Geste, nichts weiter.

Unidos por la paz! Den Frieden wollen beide. Aber es ist noch ein langer, langer Weg.

(rv 13.08.2017 gs)








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