2017-08-08 12:14:00

Kenia wählt: Religionsführer in Sorge vor Ausschreitungen


Kenia wählt an diesem Dienstag einen neuen Präsidenten - und hat Sorge vor Blutvergießen. Nicht zu Unrecht. Vor zehn Jahren hat eine Präsidentschaftswahl das Land an den Rand eines Bürgerkriegs geführt, 1.200 Menschen starben damals bei Ausschreitungen. Heute wird neuerlich gewählt, die Parteien sind dieselben wie damals, auch die Haupt-Kandidaten sind langjährige Bekannte, für Uhuru Kenyatta und Raila Odinga ist ein Kopf- an-Kopfrennen vorausgesagt. Was steht auf dem Spiel? Eigentlich alles, erklärt Selina Orsi-Coutts, Leiterin der Misereor Dialog- und Verbindungsstelle Kenia:

„In Kenia gilt das Prinzip „The winner takes it all“. Wer bei der heiss umstrittenen Präsidentschaftswahl 50 Prozent oder mehr der Wählerstimmen hat, gewinnt die Wahl. Es wird danach auch keine Koalition gebildet, sodass auch die Verlierer noch einen kleinen Machtanteil hätten. Es geht bei politischen Parteien in Kenia in erster Linie um ethnische Gruppen und Zusammenschlüsse und das heißt auch, dass regelmäßig einige Ethnien in der Bevölkerung unterrepräsentiert sind. Es sieht so aus, als würde es auch bei dieser Wahl wieder zu einem Wahlverlierer kommen, sodass einige Ethnien dementsprechend auch unterrepräsentiert sind und sich benachteiligt fühlen.“

RV: Wie groß ist die Angst vor Unruhen unter der Bevölkerung?

Selina Orsi-Coutts: „Die Angst ist sehr groß, das zeigt sich auch schon bei unseren Misereor-Partnerorganisationen, die uns berichten, dass zum Beispiel in den Gemeinden und in den Slums die Menschen versuchen, in ihre ursprüngliche Heimat auf dem Land zurückzukehren, oder zumindest Frauen und Kinder zurückbringen. Innerhalb der Slums verlassen die Leute ihre Häuser und suchen nach neuen Häusern in Nachbarschaften, wo sie mehr Menschen ihrer eigenen Ethnie vorfinden. Es fand im Vorfeld eine Welle von Umzügen und Verreisen statt.“

RV: Und das ist eine Vorbereitung zur Wahl, oder geschehen diese Wanderungsbewegungen aus Angst vor Unruhen?

Selina Orsi-Coutts: „Die Bewegungen entstehen aus Angst vor gewalttätigen Ausschreitungen, wie wir sie 2007 und 2008 hatten. Die Leute haben einfach Angst, sie versuchen, ihre Kinder und Frauen aufs Land zurückzuschicken. Das heißt, die Männer bleiben zurück. Vor allem die Jugendlichen aus Armenvierteln sind leicht zu manipulieren von den Politikern für gewalttätige Ausschreitungen. In Kenia sind ein Großteil der Wähler jugendlich aufgrund der demographischen Verteilung. Viele von ihnen werden manipuliert und dazu überredet, sich für Geld Politikern und Parteien anzuschließen, und diejenigen werden dann auch die Steine schmeißen, so wie es 2007 und 2008 passiert ist.“

RV: Die katholischen Bischöfe Kenias hatten zu einer Gebetsnovene für gewaltfreie und faire Wahlen eingeladen. Wird so etwas gerne angenommen?

Selina Orsi-Coutts: „Das wird sehr, sehr gerne angenommen. Die Kenianer sind sehr religiös, das heißt, ungefähr 85 Prozent der Kenianer sind Christen. Davon sind 33 Prozent der römisch-katholischen Glaubensrichtung angeschlossen. Die Bischöfe und Priester predigen Frieden, und auch die Privatpersonen, viele von ihnen noch traumatisiert von den Nachwahlunruhen 2007/2008 haben den Wunsch, dass die Wahlen friedlich ablaufen. Das ist ihr größtes Bedürfnis und sie rufen auch privat zu Gebetsrunden auf.“

RV: Sollte es wirklich zu Ausschreitungen kommen und die Bischöfe sagen: „Wahrt den Frieden!“, werden die Kenianer in einer emotional aufgeheizten Lage trotzdem auf die Bischöfe hören?

Selina Orsi-Coutts: „Es ist eine schwierige Frage. 2007/2008 ging die Spaltung entlang ethnischer Linien auch durch religiöse Kongegrationen oder Einheiten. Im Vorfeld der Wahlen wurde ein Bischof bei politischen Auseinandersetzungen schon erfolgreich als Mediator eingesetzt. Diesmal hat die Bischofskonferenz eine strategische Antwort gefunden: es gibt einen „Rapid-Response-Desk“ von der kenianischen Bischofskonferenz, den sie zusammen mit anderen religiösen Führern ins Leben gerufen haben. Ich finde ganz wichtig, dass es nicht nur die katholischen Bischöfe sind, sondern dass es eine gemeinsame, ganzheitliche, ansatzspirituelle Antwort von muslimischen, von anglikanischen, von allen religiösen Führen gibt. Ich finde das ein sehr schönes Zeichen, auch im Nachgang des Papstbesuches im vorletzten Jahr, der den interreligiösen Dialog in seiner Wichtigkeit sehr betonte. Und die Bischofskonferenz hat so darauf reagiert.“

RV: Kenia ist in Ost- und Zentralafrika ein wirtschaftlich starkes Land. Zugleich litt es in den letzten Monaten an den Folgen der Dürre, die ganz Ostafrika betrifft. Welche Rolle spielten im Wahlkampf Fragen nach Nahrungsmittelsicherheit und Klimawandel?

Selina Orsi-Coutts: „Das steht beides in den Wahlkampfansagen der beiden Hauptparteiallianzen, aber: Ich finde, es spielt eine viel zu kleine Rolle. Zum Beispiel hätte sich die Opposition viel mehr auf die Fahnen schreiben können, dass die kenianische Regierung zu wenig für niedrigere Lebenserhaltungskosten und gegen Klimawandel unternimmt. Die Dürre wird mittlerweile in den Medien kaum mehr erwähnt. Es wird gemunkelt, dass Gelder, die für die Dürrebekämpfung hätten genutzt werden sollen, auch in den Wahlkampf geflossen sind. Diese Wahl ist die teuerste in der kenianischen Geschichte und kostet Schätzungen zufolge 480 Millionen Dollar. Es wird aber angeprangert, dass wichtigere Themen, wie die 73.000 Kinder, die momentan schwer hungergeschädigt sind, alle nicht in ausreichendem Maße unterstützt werden.“

RV: In Europa ist zur Zeit die Frage nach dem Umgang mit Flüchtlingen zentral. In Kenia befinden sich die größten Flüchtlingslager der Welt. Eine Zeit lang hat Kenia auch angedroht, sie zu schließen. Welche Rolle spielen diese große Zahl von Flüchtlingen und diese zwei großen Lager in der Politik Kenias?

Selina Orsi-Coutts: „Die Regierung hat einmal versucht auf Stimmenfang zu gehen, indem sie sagte, sie wolle die Flüchtlingslager schließen, weil sie auch al-Shabaab-Terroristen anzögen und weil gemunkelt wurde, dass in den Flüchtlingslagern Menschen radikalisiert werden, die die Sicherheit der kenianischen  Bevölkerung bedrohen. Das hat sich nie so bestätigt. Insgesamt ist es mittlerweile kein Wahlkampfthema mehr, weil zusammen mit Somalia und der UNHCR beschlossen wurde, dass die Flüchtlingslager erst einmal nicht geschlossen werden. Auch die angepriesene und teilweise fast forcierte Rückführung von somalischen Flüchtlingen hat sich mittlerweile reduziert, weil sich nicht genügend Bewohner der Lager zu einer Rückkehr in ein unsicheres Land bereiterklären.. Kenia ist insgesamt für umliegende Länder die erste Anlaufstation. Es nimmt zum Beispiel Flüchtlinge aus dem Südsudan und aus Somalia und auch immer noch aus Nachbarländern wie Burundi, Ruanda und Kongo auf.“

RV: Das Wahlergebnis steht voraussichtlich Mittwoch oder Donnerstag fest. Was erhoffen Sie?

Selina Orsi-Coutts: „Das ist schwierig einzuschätzen momentan, wir sind auf alles vorbereitet. Wir wollen jedoch hoffen, dass es faire, freie, glaubhafte und friedliche Wahlen werden, auch wenn einige Vorfälle in der Vergangenheit nicht dafür sprechen, wie z.B. die Ermordung des Wahlkommissionsmitglieds Chris Msonde. Ich finde, die katholische Kirche hat ihrenTeil dazu beigetragen und wird auch in den nächsten Tagen einen wichtigen Teil dazu beitragen. Wir beten alle dafür, dass es zu keinen Ausschreitungen kommt und haben Angst davor, dass Polizei und Militär Ausschreitungen ganz schnell brutal niederschlagen werden. Die Vorzeichen sind da: Polizei und Militär haben groß aufgerüstet. Jeder, der eine Uniform tragen kann, wird in den nächsten Tagen eine Uniform tragen. Und wie man schon bei der brutalen Niederschlagung von Oppositionsdemonstrationen Anfang des Jahres sah, wird nicht zimperlich mit Demonstranten umgegangen.“

(rv 08.08.2017 gs)








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