2017-07-05 08:49:00

Italien/Frankreich: Humanitäre Korridore machen Schule


Na bitte, geht doch: dass eine geregelte Aufnahme von Kriegsflüchtlingen in Europa gut möglich ist, zeigt das in Italien geborene Aufnahmemodell der „humanitären Korridore“. Die katholische Basisgemeinschaft Sant’Egidio hat im Rahmen der Initiative seit Februar 2016 bereits über 850 Flüchtlinge nach Italien geholt. Auch Frankreich zieht in dieser Woche nach: dort treffen am Mittwoch die ersten Flüchtlinge ein.

Sie kamen nicht mit dem Boot, sondern mit dem Flugzeug – sicher und ganz legal: 52 neue Flüchtlinge aus dem Nahen Osten sind an diesem Dienstag am römischen Flughafen eingetroffen. Sie kamen über den Libanon aus dem Kriegsland Syrien nach Italien, wo die Helfer von Sant’Egidio sie empfingen.

„Das war wirklich berührend: 34 von ihnen sind Kinder, darunter ist auch ein Mädchen, das eine Nierentransplantation braucht“, berichtet Marco Impagliazzo, Präsident der Gemeinschaft Sant‘Egidio, im Interview mit Radio Vatikan. „Ich habe mit der Zehnjährigen gesprochen, sie sagte mir, sie dachte eigentlich, sie müsste sterben, doch heute habe sie die Hoffnung wiedergefunden und sehe eine Zukunft für sich.“

Es sind Lebensgeschichten wie diese, denen Sant’Egidio eine neue Wendung gibt. Für das Mädchen sei eine Nierentransplantation in einem Turiner Krankenhaus organisiert worden, so Impagliazzo, der auch auf die Schicksale der anderen Migranten eingeht: „Das sind alle Situationen des Leidens – wir haben den Syrienkrieg ja fast vergessen, doch er geht weiter und schafft neue Opfer.“ Die Migranten werden in Italien von engagierten Helfern, Familien und Gemeinden privat für mehrere Monate betreut.

Sant’Egidio hat die Familien aus Flüchtlingslagern im Nahen Osten ausgewählt und ist dabei dem Kriterium der besonderen Schutzbedürftigkeit gefolgt. Alle erhalten in Italien humanitäre Visa; die Initiative ist in Absprache mit den staatlichen Behörden organisiert. Das komplett über Spenden finanzierte Projekt zeigt Alternativen zu den gefährlichen Fahrten über das Mittelmeer auf – auch zur Abschottungspolitik vieler europäischer Länder, die Grenzen und Häfen dicht machen. Während viele Europäer angesichts der „Flüchtlingskrise“ Panik zu bekommen scheinen, macht Sant’Egidio Nägel mit Köpfen. Impagliazzo:

„Dieses Modell zeigt uns, dass es hier auch Antworten gibt und nicht nur Fragen und Probleme. Diese Migration ist ein epochales Problem, das sich nicht in wenigen Monaten oder Jahren auflösen wird. Man muss darauf positive Antworten geben, und die humanitären Korridore sind eine davon. Wir glauben, dass sie zumindest für die besonders schutzbedürftigen Menschen als Möglichkeit anerkannt werden müssen.“

Dass Sant’Egidios Modell auch auf andere Staaten übertragbar ist, zeigt der Blick nach Frankreich: dort treffen am Mittwochabend in vier Familien und ein Mann mit Behinderung aus Syrien und dem Irak ein. Das Abkommen dazu hatten Sant’Egiodios Ableger in Frankreich und die protestantische Gemeinschaft im März dem damaligen Präsidenten Francois Hollande zur Unterzeichnung vorgelegt. Es sieht vor, dass innerhalb von 18 Monaten 500 Flüchtlinge legal nach Frankreich geholt werden.

In Italien plant Sant’Egidio für das kommende Jahr, 1.000 Flüchtlinge in das Land zu holen: „Weil die Erfahrung damit so überaus positiv war“, so Impagliazzo, der die Gelegenheit nutzt, um allen Freiwilligen zu danken, die sich um die Flüchtlinge gekümmert haben und dies auch weiterhin tun. Das Projekt führt die katholische Gemeinschaft in Italien wie in Frankreich in Zusammenarbeit mit verschiedenen protestantischen Inititiaven durch. Man sei zuversichtlich, dass das Modell der „humanitären Korridore“ auch in anderen europäischen Staaten Schule machen werde, so der Präsident der Basisgemeinschaft im Interview mit Radio Vatikan. So plädiert Sant’Egidio für eine Reform des Dublin-Verfahrens und eine solidarische Verteilung der Flüchtlinge auf alle europäischen Staaten.

(rv/sant’egidio 04.07.2017 pr)








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