2017-06-20 10:11:00

Der Papst gibt Erziehungstipps


Vor einigen Jahrzehnten war er mal Lehrer, an Jesuitenschulen in Argentinien. Bis heute ist das Erziehen eine Leidenschaft von Papst Franziskus. Das wurde auch an diesem Montagabend wieder deutlich: In der Lateranbasilika eröffnete er einen Pastoralkongress seines Bistums Rom mit einer fulminanten Rede zum Thema Erziehen.

Er begann mit einem Witz: „Bevor ich das Wort ergreife, möchte ich noch gerade zwei Worte sagen.“ Was dann kam, war ein Dank des Papstes an seinen scheidenden Generalvikar für das Bistum Rom, Kardinal Agostino Vallini. Franziskus erinnerte sich an den Moment seiner Wahl zum Papst im März 2013.

 „Da erzähle ich jetzt etwas, das er nicht erzählen durfte, weil das geheim ist – aber der Papst darf das sagen. Als man mir nach der Wahl gesagt hat, dass ich jetzt zunächst in die Paulinische Kapelle gehen sollte und dann auf den Balkon, um die Leute zu grüßen, kam mir sofort der Name des Kardinalvikars in den Sinn. „Ich bin Bischof, ich habe einen Generalvikar...“ Sofort. Da habe ich ihn gerufen. Und auf der anderen Seite Kardinal Hummes, der während der Stimmen-Auszählung neben mir saß und mir Dinge sagte, die für mich hilfreich waren. Diese beiden haben mich begleitet, und da habe ich gesagt: „Auf den Balkon mit meinem Generalvikar.“ Dort, auf den Balkon... Seit diesem Moment hat er mich begleitet, und ich will ihm dafür danken.“

Er selbst habe ja manchmal die Tendenz, „abzuheben“, erzählte Franziskus weiter; doch Vallini habe einen „Sinn für das Objektive“ und habe ihn immer wieder „liebevoll auf den Boden zurückgeholt“.

„Auf Romanesco nachdenken“

Dann kam der Papst zu seiner eigentlichen Rede zum Thema Erziehung, mit der er die Pastoralkonferenz seines Bistums eröffnen sollte. Die Konferenz werde sich die Köpfe über viele wichtige Aspekte zerbrechen, etwa über Familien in Geldsorgen. Aber die Inhalte seien ihm eigentlich weniger wichtig als „der Geist, in dem wir nachdenken“. Das sei wie bei einem guten Sportler – der wisse doch auch, „dass das Aufwärmen genauso viel zählt wie das Spiel danach“.

Franziskus’ erster Rat an die Verantwortlichen in seinem Bistum: Sprecht die Sprache eurer Leute. „Auf Romanesco“ hieß dieser Abschnitt seiner Rede; Romanesco ist der römische Dialekt.

„Oft verfallen wir in die Versuchung, über die Dinge im allgemeinen, abstrakt nachzudenken. Und so gleiten wir, ohne dass uns das bewußt wird, in den Nominalismus ab. Wir würden am liebsten alle umarmen, aber wir kommen zu nichts. Darum lade ich Sie ein, über dieses Thema im Dialekt nachzudenken. Wir sollten da die Anstrengung nicht scheuen: Nachdenken über die konkrete Lage unserer Familien in einer Großstadt wie Rom. Mit all ihrem Reichtum, ihren Chancen, ihrer Vielfalt, aber auch ihren Problemen. Mischen wir in unser Nachdenken – ja sogar in unser Gebet – einen gesunden Realismus. Nichts Abstraktes, keine Verallgemeinerungen, kein Nominalismus!“

Es sei etwas ganz anderes, ob junge Leute auf einem Dorf aufwüchsen oder in einer Stadt wie Rom. Er sage ja nicht, dass das eine besser oder schlechter sei als das andere – es sei eben einfach nicht dasselbe. Über jede spezifische Situation müsse das Bistum gut nachdenken, die „Uniformität“ sei der „große Feind“.

„Sie erleben die Spannungen dieser großen Stadt. Bei vielen meiner Pastoralbesuche habe ich einige Ihrer täglichen, konkreten Erfahrungen kennengelernt: die lange Strecke vom Zuhause bis zum Arbeitsplatz, oder dass man jeden Cent umdrehen muss, um bis ans Monatsende zu kommen. Und dass man oft noch nicht mal die eigenen Nachbarn kennt. Dass man die Kinder oft allein zu Hause lassen muss. Also: Denkt auf Romanesco nach, konkret, mit all diesen konkreten Dingen. Mit konkreten Gesichtern vor Augen.“

„Nicht nur Fremdsprachen lernen, sondern seine Wurzeln kennen“

Der zweite Punkt, der dem Papst wichtig schien, war das In-Verbindung-Bleiben. „Die heutige Lage führt dazu, dass wir alle, vor allem unsere Familien, sich immer öfter wurzellos fühlen. Man spricht von einer flüssigen Gesellschaft, mit Recht – aber in diesem Zusammenhang will ich auf das wachsende Phänomen der entwurzelten Gesellschaft aufmerksam machen. Menschen oder Familien, die allmählich ihre Wurzeln verlieren, dieses vitale Gewebe, das so wichtig ist, damit wir uns untereinander verbunden fühlen. Damit wir uns, mit anderen zusammen, als Teilhaber eines gemeinsamen Projekts verstehen. Es geht um die Erfahrung, dass wir zu anderen gehören, im besten Sinn dieses Wortes.“

Gerade Jugendlichen müsse man heute das Gefühl vermitteln, dass nicht alles egal sei, dass man auf sie zähle, dass sie zu einem Ensemble gehörten. „Oft verlangen wir unseren Kindern zuviel Ausbildung in bestimmten Bereichen ab, die wir als wichtig für ihre Zukunft ansehen. Wir lassen sie viele Dinge studieren und erwarten, dass sie ihr Maximum geben. Aber wir messen der Tatsache, dass sie auch ihr Land und ihre Wurzeln kennen sollten, nicht die gleiche Wichtigkeit bei... Wenn wir wollen, dass unsere Kinder für die Zukunft gerüstet und ausgebildet sind, dann reicht es nicht, dass wir sie Sprachen lernen lassen – um nur ein Beispiel zu geben –, und dann wird das schon. Sie müssen auch Verbindungen knüpfen, ihre Wurzeln kennen.“

„Jung sein ist keine Krankheit“

Dritter Punkt von Papst Franziskus: Junge Leute „in Bewegung erziehen“, damit meinte er „flexibel“. Erziehung sei heutzutage nicht einfach, das wisse er; Jugendliche wollten nicht mehr wie Kinder behandelt werden, sondern schon als Erwachsene, sie stellten viele Fragen, hörten aber den Antworten nicht immer zu – das sei für sie, aber auch für ihre Eltern und den Rest der Familie eine schwierige Zeit.

„Doch erlauben Sie mir, zu sagen: Es ist auch eine wertvolle Zeit im Leben Ihrer Kinder. Schwierig, ja. Viele Veränderungen und Instabilität, natürlich. Eine Phase, die auch große Risiken hat, zweifellos. Aber vor allem eine Zeit des Wachsens für sie und für die ganze Familie. Jugendlicher zu sein ist keine Krankheit, und wir können diese Phase also auch nicht so behandeln, als wäre es eine Krankheit! Ein Jugendlicher, der seine Jugend lebt, so schwierig das auch für die Eltern sein mag, ist doch ein junger Mann voller Zukunft und Hoffnung. Mich besorgt die derzeitige Tendenz, unsere Kinder mit Medikamenten ruhigzustellen. Da wird so getan, als könne man alles mit Medikamenten lösen. Oder indem man ihren Tagesablauf mit Aktivitäten vollstopft, so dass diese Kinder manchmal einen schlimmeren Kalender haben als ein Manager...“

Natürlich, nicht alles sei „egal“, aber es habe auch nicht alles die gleiche Wichtigkeit. „Darum muss man unterscheiden, welche Schlachten man schlagen sollte und welche nicht“, riet der Papst. Und es ging sogar noch praktischer und konkreter: „Wir sollten auf die Onkel aufpassen, vor allem auf die Onkel, die selbst keine Kinder haben und nicht verheiratet sind. Die ersten Schimpfworte habe ich von so einem Onkel gelernt. Diese Onkel wollen die Sympathie ihrer Neffen gewinnen, darum tun sie oft Unvernünftiges. Da gab es einen Onkel, der uns heimlich Zigaretten gab... Ich sage ja nicht, dass sie bösartig sind, aber man sollte schon aufpassen.“

„Wenn die Jungen groß sein wollen und die Großen jung...“

Viertens sprach sich der Papst für eine umfassende Erziehung aus, die sowohl den Kopf als auch das Herz und die Hände mit einbezieht. „Wir haben die Erziehung auf das Hirn beschränkt und das Herz und die Hände vernachlässigt. Auch das ist eine Form der sozialen Fragmentierung.“

Der fünfte Punkt in der Papstrede lautete: Ja zur Jugend, nein zum Wettbewerb. Damit meinte er folgendes: „Es ist interessant zu sehen, dass die jungen Leute groß sein wollen und die Großen jung. Wir können diese Kultur nicht ignorieren, das ist eine Luft, die wir alle atmen. Heute gibt es eine Art Wettbewerb zwischen Eltern und Kindern, anders als zu anderen Zeiten... Die Welt der Erwachsenen hat die ewige Jugend zum Paradigma und Erfolgsmodell erhoben. Es scheint fast so, als wäre das Großwerden, das Altwerden etwas Schlechtes... Mir gibt es einen Stich, wenn ich sehe, dass Leute sich die Haare färben. Wie traurig ist es, wenn jemand auch sein Herz liftet! Heutzutage redet man mehr vom Lifting als vom Herzen!“

Für eine Erziehung zur Schlichtheit

Hier sehe er eine der „gefährlichsten Bedrohungen“ in der Erziehung der jungen Leute von heute: „sie vom eigenen Wachstumsprozess ausschließen, weil die Erwachsenen ihren Platz einnehmen“. „Es gibt so viele jugendliche Eltern, so viele – Erwachsene, die keine sein wollen und die so tun, als wären sie ewig Jugendliche. Das kann dazu beitragen, dass junge Leute sich isolieren und ihren Wachstumsprozess bremsen.“

Sechster und letzter Punkt des Papstes: die Schlichtheit. „Austerità“ auf Italienisch. „Wir leben in einem Kontext sehr starken Konsums. Außer für Essen, Medizin und Kleidung geben die Leute das meiste Geld für Schönheitsprodukte aus, für Kosmetik. Das ist hässlich... Früher war Kosmetik etwas für Frauen, heute ist es dasselbe bei beiden Geschlechtern. Ausgaben für Kosmetik, und dann für Haustiere: damit sie zu fressen haben, der Tierarzt... Früher sagte man von jemandem, der kaufe krankhaft ein. Heute sagt man das nicht mehr: Wir sind längst alle drin in diesem Rythmus des Konsumismus. Darum ist es so dringend, dieses wichtige, aber abgewertete geistliche Prinzip der Austerität wiederzuentdecken... Man macht uns vor, dass wir nur soviel wert sind, wie wir produzieren und konsumieren. Zur Austerität erziehen ist ein unvergleichlicher Reichtum. Das weckt Erfindergabe und Kreativität, es appelliert an die Phantasie und lehrt das Arbeiten im Team. Es öffnet für andere.“

(rv 20.06.2017 sk)








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