2017-06-15 10:57:00

Der Dschungel von Calais ist wieder da


Dschungel von Calais – war da nicht mal was? Mehrere tausend Migranten campierten auf dem Höhepunkt der Flüchtlingskrise vor anderthalb, zwei Jahren auf einem Niemandsland nicht weit von der französischen Stadt Calais; alle hofften, es irgendwie über den Ärmelkanal hinüber nach England zu schaffen. Dann ließ Präsident Hollande im Oktober letzten Jahres das Camp – den „Dschungel“ – komplett räumen.

Und jetzt? Jetzt sind die Migranten wieder da. Bei weitem nicht so viele wie früher, aber genug, um den Politiker Jacques Toubon (er ist der staatliche Beauftragte für Bürgerrechte) von „unmenschlichen Lebensumständen“ sprechen zu lassen. Die Behörden sollten „nicht länger so tun, als gäbe es diese Menschen hier nicht“, und sollten vor allem „zulassen, dass Essen verteilt und die Minderjährigen geschützt werden“, sagte Toubon am Mittwoch in Calais.

Hier kommt nun die katholische Kirche von Calais ins, na ja, Spiel. Die teilt Essen an die Migranten aus, selbst wenn sie sich damit in eine rechtliche Grauzone wagt. Am 5. Juni wurden Migranten von der Polizei verjagt, als sie vor der Kirche Sainte-Marie-Madeleine um Essen anstanden. Daraufhin hat die nahegelegene Pfarrei St Joseph ihre Pforten geöffnet. Pfarrer Jean-Marie Rauwel teilt auf dem Gelände neben der Kirche jeden Tag Abendessen an Migranten aus, mal kommen fünfzig, mal 300 Leute. Das Geld fürs Essen kommt von der Hilfsorganisation Secours Catholique.

„Es war gewissermaßen das Symbol von Pfingsten, dass uns dazu veranlasst hat, so eine Aktion zu starten. Darum haben wir vor der Kirche von einer meiner Pfarreien mit der Verteilung von Essen angefangen. Das soll ein Zeichen dafür sein, dass die Kirche diese Menschen nicht im Stich lässt. Ich glaube, auch die Behörden fühlen sich – ähnlich wie wir – im Prinzip hilflos angesichts dieses Phänomens. Man tut, was man kann, Behörden und Kirche, aber keinem gelingt es, die Lage wirklich zu steuern.“

Der Pfarrer bemüht sich spürbar darum, den anklagenden Zeigefinger zu vermeiden. Auch die örtlichen Behörden und die Polizei stünden unter großem Druck, sagt er.

„Es gibt hier schon eine deutliche Polizeipräsenz, und wenn die dann den Verbänden sagen: So, ihr könnt hier Essen verteilen, aber um soundsoviel Uhr muss das über die Bühne sein – dann ist das alles doch ein bisschen stressig für alle. In den letzten Tagen haben wir Essen ausgeteilt, ohne dass die Polizei dabei war; dadurch ist das dann nicht so öffentlich.“

Die französischen Medien sprechen von einigen Dutzend Migranten, die sich derzeit im Umland von Calais aufhalten; Le Figaro behauptet, die „Zwischenfälle“ im Hafenbereich hätten sich „vervielfacht“. Auch aus der Hauptstadt Paris wird gemeldet, dass das im letzten Jahr dort eingerichtete Aufnahmezentrum überfüllt sei und immer neue Migranten ankämen. Der Siegeszug von Emmanuel Macron bei den Präsidenten- und derzeit bei den Parlamentswahlen überdeckt das Thema Migranten; die Frage ist, wie lange noch.

Zehn Verbände, darunter der Secours Catholique, wollen mit einer Klage vor Gericht eine bessere Versorgung der Flüchtlinge erzwingen – Versorgung nicht nur mit Nahrung, sondern auch mit Sanitäranlagen und Gesundheitsleistungen. Die Behörden sperren sich aber gegen die Vorstellung, irgendwelche neuen Einrichtungen aufzubauen. Sie verweisen auf Unterkunftsmöglichkeiten in Pas-de-Calais... in sechzig Kilometern Entfernung.

(rv 15.06.2017 sk)








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