2017-06-03 20:28:00

„Strömung der Gnade“: Papst feiert mit Charismatikern


Ein Lobpreis Gottes wie in Trance, mit erhobenen Händen: „Kann sein, dass diese Gebetsweise nicht jedem liegt.“ Das sagte Papst Franziskus am Vorabend des Pfingstsonntags zu Besuch bei Charismatikern. „Aber es ist eine Gebetsweise, die sich zur Gänze in die biblische Tradition einfügt“. Der Papst war früher mal, nach eigenem Eingeständnis, ein Kritiker der charismatischen Bewegung, hat sich aber längst vom Saulus zum Paulus entwickelt. Auf der 50-Jahr-Feier der katholischen Spielart der „Charismatischen Erneuerung“ erinnerte er an den ekstatisch vor der Bundeslade tanzenden David. „Und bitte – verfallen wir nicht in die Haltung der Michal (Davids Frau), die sich dieses Gotteslobes durch David schämte!“

Aus allen Teilen der Welt waren Mitglieder und Freunde der „Charismatischen Erneuerung“ nach Rom gekommen – nicht nur Katholiken, sondern auch Anglikaner, Lutheraner, Pfingstler, Freikirchler. Die 50-Jahr-Feier war ökumenisch angelegt und fand bewußt im Circus Maximus in der römischen Innenstadt statt, wo bei Verfolgungen in der Antike wohl auch viele Christen ihr Leben gelassen haben. Im Beisein des Papstes beteten Zehntausende von Menschen aus etwa 120 Ländern singend, die Hände erhoben, um eine Herabkunft des Heiligen Geistes.

Der päpstliche Hausprediger Raniero Cantalamessa betonte in einem Grußwort die „ökumenische Berufung“ der charismatischen Bewegung. Wenn der Heilige Geist in Millionen von Gläubigen verschiedenster Kirchen oder kirchlicher Gruppen am Werk sei, dann könne man ihnen nicht das Christsein absprechen. „Christus hat uns nicht aufgetragen, nur die zu lieben, die so denken wie wir“, betonte der Kapuziner.

„Abendmahlssaal unter freiem Himmel“

Zu den Gästen des Treffens gehörte auch der evangelikale Pastor Giovanni Traettino, ein Freund des Papstes: Franziskus hat 2014 seine Gemeinde in Caserta bei Neapel privat besucht. Traettino nannte es „unvorstellbar“, wie sehr die Einheit unter den Christen charismatischer Prägung in den letzten Jahrzehnten gewachsen sei.

„Liebe Brüder und Schwestern, danke für das Zeugnis, das ihr heute hier gebt“, sagte Papst Franziskus in seiner engagiert vorgetragenen Rede. „Das tut allen gut – auch mir!“ Er erinnerte an das Kommen des Heiligen Geistes am Pfingsttag, als die Jünger und Maria im Abendmahlssaal von Jerusalem versammelt waren. „Wir sind heute hier in einem Abendmahlssaal unter freiem Himmel, weil wir keine Angst haben! Unter freiem Himmel und mit offenem Herzen für das Versprechen des Vaters. Wir alle, die hier versammelt sind, bekennen: Jesus ist der Herr!“

Mit Verve wies Franziskus darauf hin, dass das gemeinsame Jesus-Bekenntnis alle Christen zusammenführe. „Der Frieden ist möglich, weil wir bekennen, dass Jesus der Herr ist, und weil wir gemeinsam evangelisieren. Er ist möglich, trotz aller Unterschiede! Natürlich gibt es Unterschiede unter uns, aber wir wollen eine versöhnte Verschiedenheit sein.“ Das sei nicht „sein Wort“, sondern der Begriff eines „lutherischen Bruders“, sagte der Papst. Der Begriff wurde von dem Theologen Oscar Cullmann geprägt, einem der nichtkatholischen Beobachter beim Zweiten Vatikanischen Konzil.

Nicht katholische, sondern ökumenische Anfänge

Vor fünfzig Jahren habe „keine Institution“ und „keine Organisation“ ihren Anfang genommen, sondern „eine Strömung der Gnade“, fuhr der Papst fort. „Ein Werk, das katholisch entstand? Nein – es entstand ökumenisch! Es entstand ökumenisch, weil es der Heilige Geist ist, der die Einheit wirkt und der dazu die Inspiration gab.“ Mehr denn je zuvor in der Geschichte gebe es heute eine „Ökumene des vergossenen Blutes“; die Mörder fragten ihre Opfer nicht, ob sie orthodox oder calvinistisch seien, es reiche, dass sie Christen seien, um sie „sofort zu enthaupten“. Diese Märtyrer unserer Zeit seien ein Beleg dafür, wie dringend die Einheit der Christen sei.

„Gemeinsam gehen, gemeinsam arbeiten. Uns lieben! Und versuchen, unsere Differenzen zu klären, uns zu einigen – aber unterwegs. Wenn wir stehenbleiben, ohne uns auf den Weg zu machen, dann werden wir uns nie einigen, das ist wahr. Der Heilige Geist will uns auf einem Weg sehen!“

Nicht nur lobpreisen – auch den Bedürftigen helfen

Eine „Strömung der Gnade“ wie die „Katholische Charismatische Erneuerung“ lasse sich „nicht durch Staudämme einhegen“. Allerdings sei nach fünfzig Jahren der Moment gekommen, um nicht bequem zu werden, sondern „noch kräftiger auszuschreiten, mit noch mehr Vertrauen in das Wirken des Heiligen Geistes“. „Diese Strömung der Gnade ist für die ganze Kirche, nicht nur für einige. Und keiner von uns ist der Herr, nein – wir alle sind Diener in dieser Strömung der Gnade!“

Es gebe drei Dinge, die die charismatische Erneuerung ausmachten: die Taufe im Heiligen Geist, der Lobgesang und der Dienst am Mitmenschen. „Diese drei Dinge sind untrennbar miteinander verbunden... Ich kann einen schönen Lobpreis singen, aber wenn ich nicht den Bedürftigsten helfe, dann genügt das nicht.“

Die Katholische Charismatische Erneuerung entstand 1967 als missionarische Studentenbewegung in den USA. Wesentlicher Förderer war der belgische Kardinal Leo Joseph Suenens (1904-1996), dessen Schriften der Papst an diesem Samstag seinen Zuhörern empfahl.

(rv 03.06.2017 sk)








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