2017-05-26 11:04:00

Vom Straßenkehrer zum Beamten: Volkszählung in Pakistan


Das hört sich so leicht an: Volkszählung in Pakistan. In Wirklichkeit ist das eine Mammutaufgabe. 113.000 Volkszähler sind in den letzten zwei Monaten, bis Donnerstag, durch das ganze Land gezogen, beschützt von 200.000 Sicherheitskräften.

Seit 1998 hatte es so eine Zählung nicht mehr gegeben. Und das liegt zum einen daran, dass man sich in der Grenzregion zu Afghanistan oder einigen Teilen der Metropole Karatschi nur eingeschränkt bewegen kann. Vor allem aber hängt es damit zusammen, dass der Zensus enorme politische Auswirkungen haben wird. Welche, das erklärt uns Marc Fromager, Experte bei der französischen Ausgabe des Hilfswerks „Kirche in Not“.

Direkte Auswirkungen für den Geldbeutel

„Eine Volkszählung ist natürlich für jedes Land wichtig, aber für Länder mit einer muslimischen Bevölkerungsmehrheit – ob Pakistan oder auch Ägypten – gilt das ganz besonders. In Ägypten wie in Pakistan wird auch explizit die Religionszugehörigkeit erhoben, und das impliziert ein paar sehr konkrete Dinge: Wieviele Sitze bekommt die Minderheit in den politischen Institutionen, und wieviele Beamte? In Ländern wie diesen stellt nun mal die Beamtenschaft einen erklecklichen Anteil an bezahlten Arbeitsplätzen, da geht es also um viel. Und dann natürlich die Verteilung von Sozialfonds – das alles hat natürlich direkte Auswirkungen für den Geldbeutel. Darum ist es so wichtig, dass die Religionszugehörigkeit bei so einer Volkszählung erhoben wird – das kann reale Auswirkungen für die religiösen Minderheiten haben, allem voran für die Christen!“

Die Christen erhoffen sich deshalb einiges von der Zählung. Aber auch die anderen Minderheiten: Hindus oder Ahmadis. Im jetzigen pakistanischen Parlament sind nur zehn der 342 Sitze für Vertreter der religiösen Minderheiten reserviert.

Drei Prozent? Oder achtzehn?

„Es ist nicht nur so, dass Christen eine Minderheit in Pakistan darstellen – es ist vor allem ausgesprochen schwierig, herauszufinden, wie groß diese Minderheit tatsächlich ist. Diese genaue Zahl ist deswegen so wichtig, weil allgemein in den Ländern mit muslimischer Mehrheit der christliche Bevölkerungsanteil chronisch unterschätzt und zu niedrig veranschlagt wird. Nehmen wir nur das Beispiel Ägyptens: Da sagen die Orthodoxen, die die stärkste Gruppe innerhalb der Christen sind, dass sie 18 Prozent der Bevölkerung ausmachen, und die Regierung hält dagegen: Nein, es sind nur drei Prozent. Dazwischen liegt also ein sehr großer Abstand, und die Experten gehen hin und sagen sich, dass wahrscheinlich der Mittelwert stimmt, also etwa zehn Prozent. Aber das kann eigentlich niemanden überzeugen. Meine eigenen Recherchen – ich habe mich intensiv mit der Frage beschäftigt – führen mich dazu, die Zahl der Christen auf 15 Prozent der ägyptischen Bevölkerung zu veranschlagen. Aber Christen in der Beamtenschaft gibt es nur zu fünf Prozent! Das würde also konkret bedeuten: Wenn Sie Christ sind, liegt ihre Chance, eine gut bezahlte Arbeit zu bekommen, zehnmal niedriger! Man sieht also, was für Auswirkungen das hat.“

Das war ein Schlenker nach Ägypten. Aber man kann davon ausgehen, dass die Dinge in Pakistan ähnlich liegen, sagt Fromager. „Die Zahl der Christen, die man überall hört, ist 1,5 bis zwei Prozent der Bevölkerung. In Wirklichkeit kann man davon ausgehen, dass die reale Zahl zweifellos zwischen drei und fünf Prozent liegt. Damit wären sie natürlich immer noch eine Minderheit – aber doch doppelt so stark als offiziell veranschlagt. Das gäbe ihnen mehr Zugang zur Beamtenschaft. Bisher sind die typischen Berufe, die in Pakistan eher Christen vorbehalten sind, Straßenkehrer oder Müllsammler, sie stehen also wirklich am untersten Ende der sozialen Leiter und kommen in der Regel nur an die am schlechtesten bezahlten und am wenigsten angesehenen Berufe im Land heran.“

Ein Damoklesschwert über den Köpfen

Die christlichen Kirchen haben ihre Gläubigen aufgerufen, sich den Volkszählern gegenüber in jeder Hinsicht kooperativ zu zeigen. Kann man denn davon ausgehen, dass sich jetzt bald die Lage der Christen in Pakistan verbessert, Herr Fromager?

„Leider nein. In den Ländern mit muslimischer Mehrheit erleben wir im Moment eher eine Radikalisierung des Islam; in Pakistan kommen noch die innermuslimischen Auseinandersetzungen zwischen Sunniten und Schiiten verschärfend hinzu. Pakistan – übrigens das zweitgrößte islamische Land der Welt! – ist mehrheitlich sunnitisch, aber die schiitische Minderheit liegt um die zwanzig Prozent, ist also sehr stark. Das betrifft zunächst einmal nicht direkt die Christen, aber sie bekommen es dann natürlich zu spüren, wenn sich – wie derzeit – die Stimmung zwischen den zwei „Konfessionen“ des Islam stark aufheizt. Also, was die letzten Jahre betrifft, da kann man kaum davon sprechen, dass sich die Lage der Christen verbessern würde.“

Es kommt ja auch noch das berühmte Anti-Blasphemiegesetz dazu, das es in Pakistan, aber auch in einigen anderen Ländern gibt, so der französische Experte. „Das trifft natürlich auch Muslime, aber meistens werden doch Angehörige religiöser Minderheiten, vor allem Christen, zu seinen Opfern. Der Fall der Christin Asia Bibi, bei der man jedenfalls auf kürzere Frist nicht mit einer Freilassung rechnen kann, ist nur die Spitze des Eisbergs, hier zeigt sich, wie es der ganzen christlichen Gemeinschaft im Land wirklich geht. Über ihren Häuptern hängt ständig ein Damoklesschwert.“

(rv 26.05.2017 sk)








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