2017-04-14 08:30:00

„Man muss Ratzinger gegen seine Liebhaber verteidigen“


War der viel besungene „Panzerkardinal“ Joseph Ratzinger tatsächlich ein „theologischer Hardliner“? Und ist sein Pontifikat als wegweisend oder doch eher als Übergangspontifikat einzuordnen? Der Wiener Theologe Jan-Heiner Tück plädiert für einen differenzierten Blick: Im Pontifikat Benedikts XVI. habe es durchaus Fehler gegeben, theologisch müsse man Joseph Ratzinger aber verteidigen - und zwar vor allem „gegen seine Liebhaber“, so Tück im Interview mit der Nachrichtenagentur Kathpress. Die oft übersehene Bereitschaft Ratzingers etwa, nach Allianzen auch mit Atheisten und Agnostikern zu suchen, sei beispielsweise „viel zukunftsträchtiger als das papageientheologische Nachsprechen von Formeln wie der Kritik an einer Diktatur des Relativismus“, so der Wiener Dogmatiker.

Tück äußerte sich aus Anlass des 90. Geburtstags von Joseph Ratzinger am Ostersonntag. Den Theologen verbindet mit Ratzinger u.a. die katholische Zeitschrift „Communio“, deren Schriftleitung Tück innehat und die 1972 u.a. von Joseph Ratzinger mitbegründet wurde.

Entsprechend wäre es auch „einseitig, das Pontifikat Benedikts XVI. als Übergangspontifikat zu bezeichnen“, führte Tück weiter aus: Die Probleme, die im Pontifikat Benedikts aufgebrochen sind, hätten sich vielfach bereits in der Zeit Johannes Pauls II. angebahnt – Stichwort Missbrauchskrise. „Gewiss gab es auch Pannen, etwa im Blick auf die Aussöhnung mit der Piusbruderschaft.“ Übersehen werde aber oft, dass die theologischen Ausführungen etwa in den beiden Enzykliken „Deus Caritas Est“ (2005) und „Spe Salvi“ (2007) von einer hohen Lernbereitschaft Ratzingers bis hinein ins hohe Alter zeugen und „sowohl stilistisch als auch theologisch einzigartig“ sind.

In „Spe Salvi“, der Enzyklika über die Hoffnung, gebe es etwa bis dato bei Ratzinger nicht gekannte theologische Zugeständnisse etwa an Elemente der Befreiungstheologie und gar an Karl Marx, wo Benedikt festhält, dass sich Hoffnung in der Praxis bewähren und zur Humanisierung der Verhältnisse beitragen müsse. „Ich bin mir sicher, dass diese Texte auch in 30 Jahren noch gelesen werden, da sie in der päpstlichen Verkündigung ein Novum darstellen und sich klar vom eher selbstreferenziellen Stil der Enzykliken Johannes Pauls II. unterscheiden.“

„Beeindruckende theologische Sprachführung“

Aber auch über die Enzykliken hinaus zeichne sich das Werk Ratzingers durch eine „beeindruckende theologische Sprachführung“ aus, die „etwas Gewinnendes“ habe: „Sein Versuch, Schrift und Tradition zu berücksichtigen und zugleich die komplexen Fragen der Gegenwart kritisch aufzunehmen, ist vorbildlich“, so Tück, da Ratzinger bei all dem „nie unverbindlich“ bleibe, sondern „stets um Klarheit ringt - und diese auch findet“.

Auch im Blick auf den Vergleich zwischen den pontifikalen Ausrichtungen und Stilen von Benedikt und Franziskus warnt Tück vor einer voreiligen plakativen „Semantik des Bruchs“ und einer kirchlichen Lagerbildung: So verweist der Theologe etwa auf ein Interview Benedikts, in dem er das Franziskus-Leitwort der Barmherzigkeit ausdrücklich gutheißt und als prophetisch für die Kirche in der Gegenwart charakterisiert. „Benedikt und Franziskus teilen die gleiche theologischen Grundoption - es wäre daher eine theologiepolitische Instrumentalisierung, wenn man Benedikt gegen Franziskus in Anschlag bringt“, so Tück.

„Bedachtsamkeit im Umgang mit Worten“

Franziskus sei hoch anzurechnen, dass er es geschafft habe, die kirchlichen „Dauerbrennpunkt-Themen aus der Öffentlichkeit gebracht“ zu haben. Dies habe kirchlicherseits zu einer regelrechten „Befreiung“ geführt - dennoch räumt auch der Dogmatiker ein, dass die mediale Dauerpräsenz von Franziskus „Überhangprobleme“ mit sich bringe: „Franziskus verfügt über einen erfrischenden Stil im Zugehen auf Menschen, die Permanenz etwa seiner Interviews hingegen führt auch zu einer Aufmerksamkeitseinbuße pontifikalen Sprechens“. Vielleicht ist es ja eine Fügung des Schicksals, dass die bleibende Präsenz Benedikts im Vatikan zugleich eine Mahnung zu größerer „Bedachtsamkeit im Umgang mit Worten“ darstellt - gewissermaßen als „heilsamer Kontrapunkt“, so Tück.

(kap 11.04.2017 sk)








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