2017-04-13 08:00:00

Heiliges Land: Eine Reportage aus der Grabeskirche


Sie zählt zu den bedeutendsten Heiligtümern der Christenheit: die Grabeskirche in Jerusalem. Das Gotteshaus in der Altstadt Jerusalems erhebt sich an der Stelle, an der der Überlieferung nach Jesus ins Grab gelegt wurde und am dritten Tag von den Toten auferstand. Eine Reportage zur Fastenzeit von Renardo Schlegelmilch. 

Es ist ein Ritual, das fast 1.000 Jahre alt ist: Ein Mitglied der muslimischen Familie Joudeh bringt morgens um fünf Uhr die schweren Schlüssel der Grabeskirche zur großen schweren Tür. Dort wartet ein Mitglied der ebenfalls muslimischen Familie Nusseibeh, nimmt den Schlüssel entgegen und öffnet eine kleine Luke. Ein katholischer und ein orthodoxer Mönch haben die Nacht in der Kirche verbracht und schieben eine kleine Leiter durch die Tür. Nusseibeh nimmt sie ab, steigt hinauf und kann dann das obere Schloss öffnen. Abends dann das Gleiche umgekehrt. Seit dem Jahr 1192 läuft das Tag für Tag so ab. 

Mix an Religionen und Konfessionen

Der aktuelle Türöffner heißt Wajech Y. Nusseibeh: „Es sind fünf christliche Konfessionen, die die Kirche betreuen. Wir als muslimische Familie sind sozusagen die neutralen Verwalter. Hier gibt es griechische, katholische, armenische, koptische und assyrische Christen. Der Schlüssel wie die Aufgabe werden von Vater zu Sohn weitergegeben.“ Die meiste Zeit des Tages sitzt Wajech Nusseibeh so neben der schweren Stahltür und lässt sich auf Gespräche mit den Touristen ein. Wenn er nicht da ist, macht das jemand anderer aus seiner Familie. Auch wenn es auf den ersten Blick vielleicht komisch scheint, dass eine muslimische Familie die Schlüsselgewalt für die Grabeskirche Christi hat, macht das alles schon Sinn: „Wir leben hier mit den Christen wie Brüder unter ein und demselben Dach. Das funktioniert seit Jahrhunderten so. Wir sind froh damit und die Christen ebenso.“

Wenn man als Christ dann die Kirche mit dem Felsen Golgotha, dem Ort des Kreuzes, und dem leeren Jesusgrab betritt, dann ist die Stimmung allerdings alles andere als andächtig. Jede Konfession pilgert hier auf ihre eigene Weise, da wird es auch mal laut. Sich besinnen und auf diesen besonderen Ort einlassen fällt da schwer. Jean-Claude Hauser ist aus Deutschland angereist und das erste Mal in der Grabeskirche: „Sich auf etwas einlassen muss man hier auch, aber auf etwas ganz anderes - nämlich sehr viel Trubel, sehr viel Bewegung. Aber: Ich erlebe hier auch sehr viel Innigkeit, die Menschen scheinen sehr berührt von den verschiedenen Orten, die es hier ja an einem Ort zusammen gibt.“

Das Jesusgrab selbst steht in der Mitte eines hohen runden Kirchenschiffes. Das Grab besteht aus zwei kleinen Kammern, die hintere, mit der Grabplatte Jesu kann man nur gebückt betreten. Von einem orthodoxen Mönch wird man schon nach Sekunden nicht gerade höflich wieder rausgeschmissen. Das hat allerdings auch seinen Grund, erklärt Georg Röwekamp, Leiter des Heilig Land-Vereins in Jerusalem: „Es dauert unter Umständen ein, zwei, drei Stunden, bis Sie wirklich die Gelegenheit haben, in das Grab hineinzugehen, so dass es manchem Pilger, der ein volles Programm, gar nicht gelingt, in das Grab selbst hineinzukommen.“

Erst Anfassen, dann Andacht

Gerade jetzt zu Ostern ist besonders starker Betrieb. Die Osternacht wird in der Grabeskirche von Freitag auf Samstag gefeiert. Das stammt aus Zeiten vor dem Zweiten Vatikanischen Konzil, und an diesen Regelungen in der Grabeskirche darf heute nichts mehr verändert werden. Dass führt dazu, dass der Ostersonntag als Tag der Auferstehung eher ein ruhiger Tag für die Grabeskirche wird. Im Moment ist es aber alles andere als ruhig. „Besinnlichkeit ist nicht, was jeder Pilger hier sucht. Viele Pilger suchen einfach die Möglichkeit, diese Dinge zu berühren, weil sie im wahrsten Sinne des Wortes davon überzeugt sind, dass sie eine Ausstrahlung haben, dass eine Kraft davon ausgeht. Dass Menschen eine Ausstrahlung haben können, das wissen wir ja auch noch. Und es gibt eben auch Orte, die eine besondere Kraft haben und derer will man sich versichern, und das ist für diese Leute wichtiger als irgendwo einen stillen Moment zu haben. Den können sie vielleicht auch zu Hause haben, aber diesen Orten wirklich nahe sein, das geht eben nur hier.“

Gerade für orthodoxe Christen ist das Tradition: Man holt sich durch die Berührung den körperlichen und sinnlichen Kontakt – die Andacht kommt dann später. Ein ungewohntes Bild für westliche Christen. Auch für Annika Zöll. Die Theologiestudentin aus Bonn lebt seit acht Monaten in Jerusalem und musste sich auch erst an den Trubel in der Grabeskirche gewöhnen: „Ob das russische Reisegruppen sind, die in Tränen ausbrechen, wenn sie zum ersten Mal die Grabeskirche sehen. Ob das Leute sind, von denen man gar nicht gedacht hätte dass sie zur Grabeskirche nach Jerusalem pilgern und sich dann wundern, wenn sie vor dem Heiligen Grab stehen und alles ganz ruhig wird, und man merkt: Irgendetwas machen diese Orte mit den Leuten.“

Ostern ohne Gerüste

Zum diesjährigen Osterfest wird sich die Grabeskirche auch in neuem Glanz zeigen. Vor wenigen Wochen erst wurde die knapp einjährige Renovierung beendet. Bei der wurde ein Stahlgerüst, das nach einem Erdbeben in den 40er Jahren angebracht wurde, entfernt. Die Konfessionen, die die Grabeskirche betreuen, wurden sich nach jahrelangen Diskussionen einig, wer welche Kosten dafür trägt – auch ein Zeichen der Ökumene. Die Grabkapelle ohne störendes Gerüst ist auch ein ungewöhnliches Bild für Georg Röwekamp vom Heilig Land-Verein: „Ich bin heute auch zum ersten Mal nach der Renovierung und bin auch freudig erregt, dass dieser Bau jetzt doch ein wenig mehr von seiner Würde zurückbekommen hat, die oft unter diesem Schutz und den Hilfskonstruktionen der Jahrhunderte verborgen war.“

(rv 13.04.2017 Renardo Schlegelmilch)








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