2017-04-04 12:00:00

Kardinal Tagle gegen „engstirnigen Protektionismus“


Gegen Protektionismus und Abschottung gegenüber Migranten hat sich der Präsident von Caritas Internationalis ausgesprochen. Zu einer ganzheitlichen menschlichen Entwicklung gehörten der Respekt gegenüber anderen Kulturen und Solidarität mit Migranten und Flüchtlingen dazu, unterstrich der philippinische Kardinal Luis Antonio Tagle am Dienstag im Vatikan. Zudem gelte es das Potential der Einwanderer für die Entwicklung der Herkunfts- und Zielländern besser zu nutzen. Auf einem Kongress zum 50 Jahr-Jubiläum der Enzyklika Paul VI. „Populorum progressio“ rief der Erzbischof von Manila dazu auf, Migration in diesem Sinne als Chance zu begreifen.

Migranten stemmen den Alltag

Jeder zehnte von insgesamt 100 Millionen Philippinern lebt laut Schätzungen im Ausland; das asiatische Land gilt als „Exportnation für Arbeiter“ in alle Welt. Philippinische Altenpfleger, Putzkräfte und Kindermädchen gehören nicht nur in Italien heute fest zum Alltag vieler bürgerlicher Haushalte. Kardinal Tagle greift auf ein konkretes Beispiel zurück, um das Schicksal solcher Armutsmigranten im globalen Arbeitsmarkt greifbar zu machen: „Eine philippinische Frau, die ich hier in Italien traf, arbeitet als Kinderfrau für eine italienische Familie und konnte dadurch ihre eigenen Kinder auf den Philippinen auf gute Schulen schicken. Jedes Mal, wenn sie die italienischen Kinder füttert, fragt sie sich, wer denn ihre eigenen Kinder zu Hause ernährt. Das ist die tägliche Kreuzigung einer Migrantenmutter, die durch Armut gezwungen ist, ihr Land, ja ihre eigenen Kinder zu verlassen. Um die Fülle wessen Lebens willen? Die Frau leidet, aber sie sagt auch: ,Wenn ich die zwei wunderschönen italienischen Kinder vor mir sehe, weiß ich, dass sie auch meine Kinder sind, und ich werde ihnen die Liebe geben, die meine eigenen Kinder verdienen. Diese Kinder in Italien und auf den Philippinen sind gesegnet, in dieser Frau gemeinsam eine solch missionarische Mutter zu haben.“

Diaspora hilft bei Wiederaufbau

Ein erheblicher Teil der Wirtschaftsleistung auf den Philippinen, schätzungsweise zehn Prozent, speist sich aus Geldüberweisungen der philippinischen Diaspora aus dem Ausland. Auch für den Wiederaufbau von Ländern nach Krisen spielten Auswanderer eine entscheidende Rolle, führt Kardinal Tagle am Beispiel der Philippinen aus. Das Land war im Jahr 2011 und 2013, innerhalb eines kurzen Zeitraums, von gleich zwei Naturkatastrophen getroffen worden: „Die unschätzbare Hilfe, die die Philippinen da aus verschiedenen Ländern und Kirchen erreichte, war zu einem Teil dank der Unterstützung der philippinischen Diaspora in verschiedenen Ländern der Welt möglich. Dank solcher Menschen sind die Philippinen nicht nur ein irgendein Ort auf der Landkarte, sondern ein Volk mit Menschen, Brüdern und Schwestern.“

Über wirtschaftliche Aspekte hinaus könnten solche Diaspora-Gemeinden als „menschliche Brücken“ grundlegend zum Kulturaustausch und zur Völkerverständigung beitragen, ist der Kirchenmann überzeugt. Neben den familiären Bindungen verweist Tagle auf Städtepartnerschaften, interkulturelle Bidlungsprojekte und zivile wie religiöse Organisationen, die sich um interkulturellen Austausch bemühen. Und er appelliert an die Heimat- und Aufnahmeländer, diese Potentiale besser für Entwicklung auf beiden Seiten zu nutzen: „Das Zielland kann und sollte die Diaspora-Gemeinden ermutigen, aktiv zur Entwicklung ihrer Heimatländer beizutragen. Ähnlich können Botschaften und Ländervertreter der Herkunftsländer zum Wohlergehen der Diaspora-Gemeinden in den Zielländern beitragen. Ein engstirniger Protektionismus muss ersetzt werden durch inklusive Entwicklung!“

Angst macht blind

Tagle spricht sich konkret für Investitionen in Bildung und den Austausch geschulter Arbeitskräfte aus. Migrationsbewegungen seien in diesem Sinne auch als Wissenstransfer, als „brain circulation“, zu begreifen, schlägt der Kardinal vor. Mit Blick auf Abschottungstendenzen gegenüber Einwanderern wirbt der Erzbischof von Manila für eine Willkommenskultur. Nur in der persönlichen Begegnung mit Migranten könnten letztlich Ängste und Ablehnung überwundern werden: „Wie können wir diese Angst vor dem anderen überwinden? Bis wir nicht selbst dem anderen, vor dem wir Angst haben, persönlich begegnen, wirkt alles Reden nichts! Die Angst macht uns blind für die Menschlichkeit des anderen. Ich erkenne dann nicht die Würde des anderen an, denn meine Angst, meinen Komfort und meine Sicherheit zu verlieren, bringen mich dazu, den anderen wie einen Feind anzusehen, eine Bedrohung statt einen Partner. Es würde helfen, wenn wir in dem anderen dieselben Schwächen, Verletzlichkeit, Machtlosigkeit entdecken, die alle von uns erfahren.“

(rv 04.04.2017 pr)








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