2017-03-23 10:55:00

Kirche und Menschenrechte: Eine konstruktive Spannung


Die katholische Kirche und die Idee der Menschenrechte hatten es nicht immer leicht miteinander. Päpste des 19. Jahrhunderts brandmarkten die Vorstellung von einem Menschenrecht, das absolut gilt, als Teufelswerk. Heute ist das Verhältnis nicht spannungsfrei, aber konstruktiv. Mit der Kirche und den Menschenrechten beschäftigt sich derzeit eine internationale Fachtagung am Deutschen Historischen Institut in Rom. Mitorganisiert hat sie die katholische Sozialethikerin Marianne Heimbach-Steins aus Münster. Sie sieht mit Papst Franziskus eine neue Stufe der kirchlichen Auseinandersetzung mit Menschenrechten erreicht, weil Franziskus auch innerhalb der Kirche die Freiheit des Gewissens betont. Mit Marianne Heimbach-Steins sprach Gudrun Sailer.

RV: Es ist fast selbstverständlich, dass Päpste heute die Menschenrechte im Mund führen. Eine Tagung wie diese öffnet den Blick dafür, dass das ein langer und schwieriger Weg war. Wo liegt das Grundproblem der Kirche mit den Menschenrechten in der historischen Perspektive?

„Ein Grundproblem ist der Zusammenhang zwischen dem Wahrheitsanspruch der Kirche und dem der Verteidigung von Freiheiten der Person, die in Spannung treten kann zur Vertretung eines Wahrheitsanspruchs. Dieser Wahrheitsanspruch wird dann so verteidigt, dass die Freiheit des Individuums eigentlich nur daran gemessen wird, ob sie diesem Wahrheitsanspruch genügt oder nicht. Da ist eine Grundspannung drin, die sich besonders im Blick auf die sogenannten individuellen Freiheitsrechte äußert. Also: Freiheit des Gewissens, der Religion, der Meinungsäußerung, oder Kunstfreiheit. Alle diese Individualfreiheiten können in ein Konkurrenzverhältnis treten, so scheint es jedenfalls, und das Zutrauen der offiziellen Kirche in die Suchprozesse der Person im Hinblick auf die Wahrheit ist begrenzt, würde ich sagen. Da sehe ich ein Grundproblem in einem historischen Durchgang durch die letzten Jahrhunderte, in denen wir dieses Thema der modernen Menschenrechte als ein Thema der Auseinandersetzung auf der Tagesordnung der Kirche haben.“

„Wir haben die Wahrheit nicht, wie wir irgendeinen Besitz haben“

RV: Das klingt so, als sei das ein Spannungsverhältnis, das gar nicht aufzulösen ist, oder es ist vielleicht nicht sinnvoll, das aufzulösen?

„Ich glaube auch nicht, dass das aufzulösen ist, aber ich glaube sehr wohl, dass man mit guten theologischen Argumenten daran arbeiten kann und kirchlicherseits arbeiten muss, diese Spannung konstruktiv zu gestalten. Nicht im Sinn eines ausschließlichen Gegensatzes. Das setzt aber voraus, dass ein gewisses Grundvertrauen in den Freiheitsgebrauch einerseits und gleichzeitig Vorsicht bei einer zu schnellen Behauptung einer Art von Wahrheitsbesitz gepflegt wird. Das ist immer wieder schwierig. Wenn man ein Wahrheitsbekenntnis hat, dann ist es sehr schwer, damit zu leben, dass das prekär sein kann, sozusagen diese Wahrheit zu „haben“. Wir haben die nicht, wie wir irgendeinen Besitz haben. Es ist extrem schwer, umzugehen mit dem Zugang zur Wahrheit, der gar nicht anders zu gewinnen ist als unter Einschluss der Zumutung von Freiheit und Verantwortung.“

RV: Wir schauen gerade in Rom immer gerne auf das päpstliche Lehramt, weil wir die Vorstellung haben, das ist es, worauf es ankommt und was die Kirche voranbringt. Das ist natürlich nur die halbe Wahrheit. Sehen Sie in den jetzigen Strömungen der Kirche, verkörpert durch Papst Franziskus, besondere Bemühungen für das Anliegen, die Spannung zwischen Kirche und Menschenrechte konstruktiv zu nutzen?

 „Ich glaube, dass Papst Franziskus ganz wichtige Prozesse in Gang bringt. Man hat es bei den Familiensynoden gesehen, dass er großen Wert auf das Gewissen der Menschen legt, auf das der Gläubigen und auch derjenigen, die Verantwortung in der Kirche tragen. Da ist die Bemühung, eine Logik zu überwinden, die sagt, wir haben hier eine bestimmte Lehramtliche Position, eine Lehre, eine Norm, und diese Norm trifft auf Situationen, und dann werden die Situationen daran gemessen, ob sie der Norm gerecht werden. Genau das bricht er auf, indem er sagt, man muss genauer hinsehen, inwiefern Normen, die die Kirche in ihrer Tradition erarbeitet und formuliert hat, mit der subjektiv gefärbten Situation von Menschen zusammenpasst. Es gibt nicht mehr eine zweipolige Beziehung Situation-Norm, sondern es gibt eine dreipolige Beziehung. Zum einen die Personen, die Verantwortungsträger sind, die im Gewissen beansprucht sind, zum anderen die konkreten Situationen und drittens das, was im normativen Reservoir der Kirche vorhanden ist; und das ist eine Dynamik, die nicht zu beenden ist. Das halte ich für sehr wichtig.

Es fällt auf der anderen Seite auf, dass zumindest in den innerkirchlichen Texten von Papst Franziskus sehr wenig über Menschenrechte gesprochen wird. Ich habe den Eindruck, wenn er politisch spricht, vor dem Europarat oder vor dem Europaparlament, dann bedient er sich der Menschenrechtsterminologie. Im innerkirchlichen Bereich tut er das nicht, zumindest ist es nicht dominant, aber er beansprucht die Freiheit des Gewissens de facto. Und da sehe ich tatsächlich etwas, was ihn auszeichnet und wo er anders agiert auch als seine unmittelbaren Vorgänger.“

(rv 23.03.2017 gs)








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