2017-03-12 09:00:00

“Menschen in der Zeit”: Achim Steiner – Hüter der Umwelt


Tausende Arten sind nah an der Grenze zu ihrem Untergang. Doch ob diese Grenze überschritten wird oder nicht, hängt in hohem Maße davon ab, wie wir heute handeln. Das sagt Professor Achim Steiner, bis 2016 Exekutivdirektor des UN-Umweltprogramms UNEP und ab 2017 Director of the Oxford Martin’s School, University of Oxford. Achim Steiner ist ein deutsch- brasilianischer Politiker, studierte Philosophie, Politik und Ökonomie und wurde Chef des Umweltprogramms der Vereinten Nationen.

RV: Herr Professor Steiner, die globale Umweltpolitik ist nach Ihrer Meinung die größte Herausforderung des 21. Jahrhunderts. Sie machen sich große Sorgen um die Zukunft unseres Planeten. Haben die verantwortlichen Wissenschaftler, die verantwortlichen Politiker das noch im Griff?

Steiner: Im Griff, glaube ich, kann keiner von uns behaupten, diese Entwicklung im Moment zu haben, denn sie sind mit dem Beginn des 19./20. Jahrhunderts in eine ganz andere Größenordnung gekommen. Der Verlust an Artenvielfalt, der Klimawandel, die Luftverschmutzung, das alles nimmt exponentiell zu und schadet nicht nur dem Planeten, sondern auch dem Menschen und das ist deshalb auch die größte Herausforderung, vor der wir nun stehen.

RV: Ja, Herr Steiner, es heißt, in Zukunft soll kein Mensch mehr hungern müssen. Ist diese Vision wie ich sie nenne angesichts der zunehmenden Bevölkerungszahl von derzeit sieben Milliarden Menschen überhaupt realistisch?

Steiner: Ich glaube, die Frage muss man vielleicht anders stellen: Haben wir überhaupt eine Wahl, Nahrungsmittel nicht für alle Menschen bereitzustellen? Und von daher müssen wir uns überlegen, wie wir unsere Produktionssysteme ändern, denn es ist ja nicht nur eine Frage der Anzahl der Menschen, sondern auch der Art und Weise, was wir konsumieren. Je mehr tierische Produkte wir konsumieren, umso höher ist auch der Verbrauch an Natur. Zum zweiten müssen wir uns auch vor Augen halten, dass in unserem heutigen Wirtschaftssystem über ein Drittel aller Nahrungsmittel, die produziert werden, ja nie vom Menschen konsumiert werden. Auf dem Weg vom Hof zum Markt gehen sie verloren, verrotten oder werden eben wie so oft in unserer Konsumgesellschaft einfach nicht verbraucht, das heißt werden weggeworfen. Und das ist natürlich erst einmal ein Anzeichen dafür, dass wir sehr wohl in der Lage wären, sieben oder acht Milliarden Menschen zu ernähren, aber nicht unter den gegenwärtigen Voraussetzungen.

RV: In wenigen Jahren, heißt es, wird bereits ein Drittel der Menschheit in Gebieten leben, die unter Wassermangel leiden. Eine apokalyptische Vorhersage oder ist das ein wissenschaftliches Faktum?

Stein: Nein. Bedauerlicherweise ist es nicht einmal mehr eine Vorhersage und eine Prognose, sondern die Entwicklungen belegen ja eindeutig, dass wir bereits heute hundert Millionen von Menschen in Gebieten haben, die von Trockenheit betroffen sind, wo der Jahreshaushalt an Wasserbedarf nicht mehr gedeckt werden kann, und das nimmt natürlich einmal in der Anzahl der Menschen zu mit dem Bevölkerungswachstum, aber natürlich auch mit der Zerstörung der Ökosysteme, der Verlust an Waldflächen, an Feuchtgebieten, die natürlichen Reservoirs, die die Natur uns über Jahrtausende bereitgestellt hat, werden von uns zerstört und gleichzeitig verbrauchen wir immer mehr Wasser und das ist eine enorme Herausforderung nicht nur unter ökologischen oder ökonomischen Gesichtspunkten, vor allem betrifft es die Sicherheit. Menschen, die nicht mehr genug Wasser haben, werden gezwungen, Wasser von anderen wegzunehmen, und damit entstehen Konflikte, wie wir sie bereits heute von vielen Teilen der Welt beobachten können.

RV: Aber, Herr Professor Steiner, das lebensspendende Wasser ist nicht das einzige Problem. Da gibt es zum Beispiel auch den Schutz der Artenvielfalt. Wo sehen Sie auf diesem Gebiet den dringendsten Handlungsbedarf?

Steiner: Der größte Handlungsbedarf besteht erst einmal darin, dass wir als Menschen begreifen, wie wichtig Artenvielfalt ist, nicht nur um seiner selbst willen, denn es ist ja Teil der Schöpfung, es ist Teil des Lebens auf der Erde, sondern auch das Zusammenwirken unterschiedlicher Arten ist ja gerade das, was unsere Ökosysteme am Leben erhält, die uns wiederum ernähren, uns mit sauberer Luft versorgen, die uns Wasser bereitstellen. Und die Art und Weise, wie wir Natur in den letzten Jahrhunderten behandelt haben, ist eben nicht mit dem Prinzip zu vereinbaren, Arten vor dem Aussterben zu bewahren, und von daher müssen wir erst einmal bei dem Verständnis ansetzen, denn für viele ist der Verlust einer Froschart oder Fliegenart erst einmal etwas, was man für irrelevant hält, aber es ist das Netz des Lebens und die Abhängigkeit jeder Art von anderen Arten, die ja gerade diese ökologische Balance definiert. Und wenn wir das erst einmal verstanden haben, dann können wir auch unsere Wirtschaft anders ausrichten, dann können wir Schutzgebiete auszeichnen und wir können den Naturschutz als Bestandteil unserer Gesellschaft im 21. Jahrhundert begreifen, nicht als etwas, wo wir nur mit einigen Zäunen versuchen, ein paar wenige Nationalparks zu erhalten.

RV: In einigen Wochen wird der Tag der Artenvielfalt 2017 begangen. Was können Sie als langjähriger Verantwortlicher der UN-Behörde dazu sagen? Was kann nun konkret zur Erhaltung der bedrohten Tierwelt, man spricht ja von immer geringeren Fischbeständen oder von Gefahren anderer aussterbender Tierarten wie zum Beispiel den Bienen, getan werden? Welches Naturmanagement muss hier in Angriff genommen werden?

Steiner: Es gibt natürlich viele verschiedene Wege, wie wir handeln können. Als Einzelner können wir zum Beispiel in unserem Konsumverhalten erst einmal entscheiden, welche Produkte wir kaufen: Können wir nachvollziehen, ob ein Produkt nachhaltig produziert wurde? Das ist schon einmal, glaube ich, fast der wichtigste Ausgangspunkt, denn Unternehmen, auch Staaten und Volkswirtschaften, hängen letztlich von der Nachfrage im Markt ab. Wenn wir als Konsumenten, als Verbraucher, uns genau darüber informieren, ob hier tropischer Regenwald zerstört wurde, ob hier Fischerei betrieben wird, nicht im nachhaltigen Sinne, sondern Raubabbau, wenn wir auch bei dem Verbrauch von Materialien darauf achten, dass die Wiederverwendung viel stärker in den Vordergrund kommt, dann tragen wir erst einmal dazu bei, dass wir die Nachfrage, die ja letztlich auch den Verlust der Natur herbeiführt, verändern. Zum zweiten brauchen wir zum Beispiel auf den Weltmeeren viel mehr internationale Zusammenarbeit und auch Gesetzgebung. Die Weltmeere sind heute im Grunde ein offenes Jagdgebiet und in vielen Bereichen gar nicht einem internationalen Rahmengesetz unterlegt. Das heißt, man kann sich dort wie im Wilden Westen bewegen. Von daher auch die dramatischen Einbrüche bei Fischbeständen und Zerstörung in den Ozeanen. Dann beim Waldwirtschaften: Auch hier, nicht nur der tropische Regenwald, sondern auch die Waldgebiete in Europa, in den Vereinigten Staaten, überall wird Wald mehr oder weniger nachhaltig bewirtschaftet und es ist die Nachhaltigkeit, die in den Vordergrund rücken muss. Auch hier ist nicht nur der Staat gefragt, sondern auch die Unternehmen, die Industrie und auch die Landwirtschaft zusammen mit den Verbrauchern. Wenn wir diese Akteure zusammenbringen können und gemeinsam an dem Natur- und Artenschutz arbeiten, dann gibt es keinen Grund, warum wir nicht auch die Ziele der Artenschutzkonvention erreichen können.

RV: Mit Sicherheit, nehme ich an, ist auch Ihnen die sogenannte Umweltenzyklika „Laudato Si“ von Papst Franziskus vorgelegt worden. Das Lehrschreiben des katholischen Kirchenoberhauptes ist bei vielen namhaften Wissenschaftlern und Politikern mit Begeisterung aufgenommen worden. Wie ist das bei Ihnen, Herr Professor Steiner?

Steiner: Ich kann dies nur bestätigen und kann auch mit Freude sagen, dass wir die große Ehre hatten, Papst Franziskus in Nairobi damals, als ich noch im Umweltprogramm der Vereinten Nationen die Leitung hatte, begrüßen zu können. Gerade Laudato Si hat ja etwas Erstaunliches geleistet und zwar über alle Konfessions- und Glaubensgrenzen hinweg einen gemeinsamen Ethos noch einmal postuliert, wie Mensch und Natur miteinander leben und  überleben können und dass die Verantwortung von Menschen im 21. Jahrhundert nicht nur sich selbst und gegenüber anderen definiert wird, sondern auch im Verhältnis zur Natur und das, was Leben auf unserer Erde ausmacht. Und ich glaube, Papst Franziskus hat in einer erstaunlichen Art und Weise es vermocht, wissenschaftliche Erkenntnis mit Werten, mit Glauben, aber auch mit der Verantwortung jedes Einzelnen zu verbinden und das war eine sehr befreiende Nachricht, aber auch Vision für unser Handeln im 21. Jahrhundert. Von daher kann ich nur unterstreichen, dass die Reaktion auf Laudato Si, glaube ich, weltweit eine enorm positive war, und ich hoffe, dass sie nicht nur in der Veröffentlichung stattfand, sondern auch weiterhin Handeln und Denken leitet.

RV: Sie sprechen vom Handeln der einzelnen Menschen. Was kann bzw. was muss eigentlich der einzelne Bürger tun, Herr Steiner, um dieser Gefahr für die Umwelt wenigstens teilweise entgegenwirken zu können?

Steiner: Ich glaube, man muss fast damit beginnen, dass man den eigenen Mut dazu entwickelt, überzeugt zu sein, dass man etwas bewirken kann. Wir leben ja in einer Welt, die immer schneller, immer technologischer, immer komplexer wird, und die Versuchung ist natürlich sehr stark, dass man als Einzelner sagt: Hier kann ich nichts mehr verändern. Aber im Grunde ist das Gegenteil ja heute die Wahrheit. Wir leben in einem Zeitalter, in dem uns Informationen zur Verfügung stehen, wie noch nie zuvor, wo wir handeln können, durch unser Verhalten, indem wir Entscheidungen treffen, ob wir öffentliche Verkehrsmittel nutzen, ob wir fossile Brennstoffe nicht mehr nutzen und vor allem, ob wir uns auch engagieren, ob in einer Schule, in einem Unternehmen, in der Familie. Überall gibt es erstaunliche Möglichkeiten, Dinge anders zu machen, und damit beginnt, glaube ich, für viele nicht nur die Erkenntnis, sondern auch die Ermutigung, dass man gemeinsam Dinge verändern kann. Und gerade ich habe dies auch auf meiner Ebene der internationalen Politik erlebt, als ich das Thema der „Green Economy“ aufgegriffen habe mit UNEB und vielen anderen, letztlich die klassische Ökonomie hinterfragt habe, die immer wieder behauptet, der Weg der Entwicklung ist vorgegeben, und gerade das ist eben nicht der Fall. Wir haben die Wahl und ich glaube, jeder Einzelne muss dies für sich erst einmal im eigenen Umfeld entdecken, dann können wir auch gemeinsam mit anderen wirklich Weltpolitik verändern. Und das ist, glaube ich, der Weg, den wir als Einzelne aber auch in unserer Gemeinschaft gehen müssen.

RV: Heute, Herr Steiner, lehren Sie an der Martin´s School, an der bedeutenden Universität Oxford. Was ist das genau?

Steiner: Ja, es ist in vieler Hinsicht einmal der Ausdruck oder die Erkenntnis, dass wir im 21. Jahrhundert in einer Zeit leben, die für die Menschheit entweder eine der besten Zeiten überhaupt werden könnte oder eine der schlimmsten. Und das hat damals James Martin dazu bewogen, der Universität eine Schenkung zu machen, mit der dieses Institut gegründet wurde vor 10 Jahren, wo die großen Herausforderungen des 21. Jahrhunderts von der Medizin über die Wirtschaft, Technologie, Mobilität, Energie mit interdisziplinären Teams erforscht werden, das heißt, alles, was wir hier machen, beinhaltet nicht nur eine Fachrichtung, sondern mehrere verschiedene Disziplinen, und vor allem bringen wir Ingenieure, Physiker, Ethiker, Philosophen, aber auch Ökonomen zusammen in Teams und an ganz konkreten Lösungen zu arbeiten. Und das reicht von der Photovoltaik bis zur Entwicklung neuer Medikamente, aber auch die Frage, wie wir mit Pandemien umgehen und das Verhältnis von Umweltveränderung zu diesem Phänomen und ich habe das große Privileg, seit September die Leitung der Oxford-Martin-School übernommen zu haben und damit letztlich an der Front der Wissenschaft und Forschung mit dazu beizutragen, dass wir nicht nur das Gefühl haben, Probleme zu erkennen, sondern auch Lösungen zu erkennen.

RV: Eine letzte Frage: Ihr Herz und Ihre Seele schlagen offensichtlich für den universalen Klimaschutz der Erde. Gibt es ein Gebiet, das Sie noch reizen würde, eine Wissenschaft, für die Sie sich so einsetzen würden wie Sie das bisher auf Ihrem Gebiet getan haben?

Steiner: Ja, im Augenblick habe ich natürlich das Privileg, in viele Bereiche hineinschauen zu können. Ich glaube, wir werden zunehmend in einem Zeitalter leben, wo wir die verschiedensten Experten brauchen, denn wir versuchen ja, systemische Ansätze vorzuschlagen. In einer Welt mit zehn Milliarden Menschen am Ende dieses Jahrhunderts mit den Herausforderungen, die wir haben, neue Energiesysteme zu entwickeln, können wir nicht mehr nur mit Einzelschritten vorangehen. Deswegen ist für mich ein Kernthema auch hier in der Oxford-Martin-School: Wie können wir „systems change“ stärker in den Vordergrund stellen, die Vernetzung und die Verbindung verschiedener Elemente besser herausarbeiten, um damit auch effektiver arbeiten zu können. Und gerade bei dem Thema Energie gelingt uns ja dieser systemische Wandel inzwischen relativ gut. Ich glaube, wir können heute schon voraussagen, dass wir bis Mitte des Jahrhunderts zumindest bei der Stromproduktion und zunehmend im ganzen Energiesektor mit erneuerbaren Energiequellen und -technologien uns von dem fossilen Brennstoffzeitalter verabschieden können. Wer hätte das gedacht in nur zehn bzw. 20 Jahren 300 Jahre Geschichte auf den Kopf zu stellen? Und das wird sicherlich ein Augenmerk meiner Arbeit und auch meiner Aufgabe hier an der Universität von Oxford sein.

 

Aldo Parmeggiani (rv)








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