2017-02-24 10:01:00

Irak: „Die Regierung tut nichts“


Die Regierung Iraks bekämpft den so genannten Islamischen Staat und versucht seit Monaten, deren Hochburg Mossul zu erobern. Soweit die gute Nachricht. Die schlechte Nachricht: über den militärischen Einsatz hinaus geschieht wenig, um dem Land und den religiösen Minderheiten wieder Frieden zu bringen. Klage führen vor allem die Christen, etwa der Erzbischof von Erbil, Bashar Warda, bei unseren Kollegen vom Domradio: „Das Problem ist, dass die irakische Regierung nichts tut. Sie bemüht sich noch nicht einmal. Christen und Jesiden sind benachteiligt. Aber die Regierung konzentriert sich nur auf die Bekämpfung des IS und vergisst darüber alle anderen Probleme.“

Seine Stadt ist etwa 100 Kilometer von Mossul und den Kämpfen entfernt, die Christen in Erbil bekommen die Auswirkungen erst der Eroberung durch den IS und jetzt der Kämpfe direkt zu spüren, „Wir haben in unserer Diözese rund 13.200 christliche Familien aufgenommen, die aus Mossul und der Ninive-Ebene fliehen mussten. Ich hoffe, dass die Eroberung Mossuls Erfolg haben wird, dass es einen Wiederaufbau und einen Versöhnungsprozess gibt, damit die Menschen zurück können. Das würde auch den Druck auf unsere Diözese verringern. Leider haben bis heute auch über 4.000 christliche Familien unser Land verlassen und wenn das so weitergeht, bedeutet das das Ende der Christen im Irak.“ Eine leider vertraute Klage, die Flucht der Christen aus der Region dauert an, seit der Bürgerkrieg im Land wütet.

Dann muss der Wiederaufbau beginnen

Leider geht es zunächst nur durch Kampf, fügt der Erzbischof an. „Wir hoffen, dass die Rückeroberung bald erfolgreich zu Ende geht, aber es ist nicht leicht, denn noch hat der IS einige Stadtteile unter Kontrolle und diese wird er aggressiv verteidigen. Danach muss der Wiederaufbau der Viertel und Dörfer beginnen, es muss eine politische Aussöhnung geben, damit nach zweieinhalb Jahren Besatzung wieder ein Alltag für die Menschen möglich wird. Wir haben über 1.500 Jahre einen Dialog des Lebens entwickelt, Christen, Muslime, Jesiden, alle Menschen in Mossul.“

Die christlichen Gemeinden seien immer eine Bereicherung für das Land gewesen, „Sie tragen zur Vielfalt bei und genießen ein hohes Vertrauen, auch unter Muslimen. Es gibt viele muslimische Familien, die ihre Kinder auf christliche Schulen schicken, das zeigt, wie groß die Wertschätzung ist.“

Deswegen sei er – wie auch andere Kirchenvertreter – dagegen, dass die Menschen ganz weg gingen und in den Westen zögen, er hoffe nach wie vor auf Rückkehr und Versöhnung. „Natürlich kann ich verstehen, dass manche Familien hier keine Zukunft mehr sehen, dass sie Angst vor dem IS haben, Hunger leiden oder dringend eine medizinische Versorgung brauchen, die in Europa so viel besser ist. Aber ich sage immer: Helft uns, den Menschen zu helfen, damit sie hier im Irak bleiben und ein Leben in Würde führen können.“

Leben in Würde

Hilfe, die versteht Erzbischof Warda auch politisch. „Was wir wirklich brauchen, ist politischer Druck auf alle politisch Verantwortlichen, um eine Versöhnung voranzutreiben. Die Europäer sollten einfach so lange nicht mit den Politikern verhandeln oder Geschäfte machen, bis sich hier alle den Menschenrechten verpflichtet fühlen. Geld ist nicht das wichtigste, viele Länder des Nahen Osten sind reich, aber sie geben das Geld nicht für die Menschen aus, weil die politischen Klassen korrupt sind.“

Internationale Politik ist nicht einfacher geworden, trotzdem sieht Warda den Westen in der Pflicht. Vor allem auf ein Land, das für ihn am Beginn des gegenwärtigen Chaos steht, weist er hin. „Ich war immer der Meinung, dass der Einmarsch im Irak ein Fehler war. Die USA haben eine moralische Verpflichtung für das, was hier passiert und sie müssen ihren Job zu Ende bringen. Damit will ich nicht das Vorgängerregime unter Saddam Hussein verteidigen, aber in ein Land einzumarschieren, so tiefgreifende Veränderungen vorzunehmen und dann die Truppen abzuziehen, das geht nicht. Die USA haben ein gespaltenes Land hinterlassen, die Korruption wuchert: Dafür tragen die USA eine Mitverantwortung und deswegen wünsche ich mir ein entschiedenes Engagement: Keine militärische Intervention aber Hilfe, die den Menschen eine Rückkehr zu ihrem Alltag ermöglicht.“

(domradio 24.02.2017 ord)

 








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