2017-01-26 11:03:00

Philippinen: Hinrichtungen auf offener Straße


Die Schüsse fallen auf offener Straße, meistens von einem Motorrad aus, und obwohl in vielen Fällen Überwachungskameras die Szene mitgeschnitten haben, ist noch kein einziger der Mörder verurteilt worden. Kein Wunder, womöglich – schließlich können sich die Täter des Rückhalts von ganz oben sicher sein. Etwa 7.000 Menschen sind in den letzten Wochen auf den Philippinen im Rahmen von Rodrigo Dutertes brutaler Anti-Drogen-Kampagne ums Leben gekommen, und der Kurs des Präsidenten stößt auf viel Zustimmung im Land.

Dealer und Kriminelle leben gefährlich – das ist die Botschaft. Allerdings geht auch der Rechtsstaat dabei drauf. Darum versucht die katholische Kirche, zu der sich eine Mehrheit der Filipinos bekennt, jetzt eine Gegenkampagne. Titel: „Du sollst nicht töten!“

Der französische Missionar Bernard Holzer – ein gebürtiger Elsässer – arbeitet seit zehn Jahren auf den Philippinen. Er sagt im Interview mit Radio Vatikan: „Nach den letzten Zahlen von Anfang Januar sind insgesamt 7.035 Menschen getötet worden. Noch nicht einmal die Hälfte von ihnen wurden von Polizisten (angeblich bei Schusswechseln) umgebracht, in allen anderen Fällen sind es Todesschwadronen, die dafür verantwortlich sind. Sie blühen auf, ohne von der Justiz behelligt zu werden, sie genießen offensichtlich Schutz von ganz oben. Im Moment sind es vor allem die Armen, die ganz Armen in den Slum-Vorstädten, die umgebracht werden, und die Ironie will es, dass gerade sie in großer Mehrheit Präsident Duterte gewählt haben – sie werden jetzt ohne Gerichtsurteil niedergeknallt.“

Die Täter arbeiten offenbar eine Liste ab, auf der die Regierung die Namen von Kriminellen zusammengestellt hat – wie genau diese Liste entstanden ist und nach welchen Kriterien, weiß keiner. Wer auf der Liste steht, lebt gefährlich. Die Mörder – mutmaßlich Polizisten oder Soldaten in Zivil – legen häufig ein Pappschild neben ihre Opfer, darauf stehen Dinge wie „Er war ein Dealer“ oder etwas in der Art.

„Wirklich, man versucht diese Leute nicht festzunehmen, sie werden nicht per Haftbefehl gesucht, man knallt sie einfach ab. Es gibt zig Zeugenaussagen, die das belegen. Das ist ganz klar. Es herrscht ein Klima der Angst und der Straflosigkeit. Die Toten liegen auf den Straßen, und kleine Kinder stehen drumherum – man will sich gar nicht ausmalen, was das mit dieser Generation machen wird! Und das ist es, was die Kirche so besorgt macht.“

Die Kirche von Baclaran in der Hauptstadt Manila zeigt eine erschütternde Foto-Ausstellung mit Bildern der Hinrichtungen auf offener Straße; an vielen anderen Kirchen im Land sind Spruchbänder angebracht, die an den Wert des menschlichen Lebens erinnert. Das Bistum Manila will bald ein Drogen-Rehabilitationszentrum eröffnen.

„Sagen wir: Die Kirche hat etwas Zeit gebraucht. Erst allmählich sind ihr die Dinge bewußt geworden. Anfangs haben die Bischöfe gesagt: Wir können da jetzt nicht gleich eingreifen, der Präsident verdient auch eine gewisse Frist, wir wollen die Spannungen zwischen den Bischöfen und Duterte ja nicht noch anheizen. Es waren vor allem die Ordensleute, die bei ihren Bischöfen protestiert und die sich immer mehr Gehör verschafft haben. Man muss auch anerkennen, dass die hiesigen Medien eine große Rolle dabei gespielt haben, dass den Menschen die Sache bewußt wird; eine Zeitlang stand immer auf der ersten Seite der Zeitungen die Zahl der Menschen, die am Vortag getötet worden waren. Also, es gab da eine Entwicklung...“

Gegenkampagne: Kirche ist aufgewacht

Man musste die Kirche zum Jagen tragen, gibt der Assumptionistenpater zu verstehen. „Jetzt haben wir also die Kampagne mehrerer Bistümer – aber das große Problem besteht darin, dass der Präsident immer noch 85 Prozent der Menschen auf seiner Seite hat! Natürlich nutzt Duterte das aus, indem er die Menschen fragt: Seid ihr denn nicht gegen Drogen? Na also... Da wird dann das Problem der Methode (mit der gegen die Drogen vorgegangen wird) ausgeklammert. Vor einer Woche hatten wir nun einen großen Weltkongress der göttlichen Barmherzigkeit in Manila, und dort haben alle Redner – Kardinäle, Bischöfe, Menschen von der Basis – wirklich auf allen Konferenzen über dieses Thema gesprochen und gesagt: Das können wir nicht länger dulden. Da habe ich einen gewissen Umschwung in der Stimmung gespürt. Dazu kommt: 7.000 Tote, das ist jetzt schon mehr als während der ganzen Marcos-Diktatur! Das nimmt große Dimensionen an.“

Ferdinand Marcos regierte zunächst als demokratisch gewählter Präsident, dann von 1972 an diktatorisch über Manila. 1985 trieb ihn ein Volksaufstand aus dem Amt. An der Spitze des Aufstands stand der damalige Erzbischof von Manila, Kardinal Jaime Sin. Darum der Name „Rosenkranz-Revolution“, der sich für den Umsturz eingebürgert hat. Doch noch heute spielt die Familie Marcos in der Politik des Landes eine Rolle – unter Duterte sogar verstärkt. Er hat, allen Protesten zum Trotz, den Diktator in einem Ehrengrab beisetzen lassen und will einen Marcos zu seinem Vizepräsidenten machen.

Fängt Rückhalt für Duterte in der Bevölkerung an zu bröckeln?

Einen gewissen Umschwung in der Haltung zu den Hinrichtungen hat Pater Holzer nicht nur bei Kirchenleuten auf den Philippinen festgestellt. „Mittlerweile äußern auch Menschen, die dem Präsidenten nahestehen, Zweifel und fangen an, Fragen zu stellen. Sie sagen zum Beispiel: Es kann doch nicht sein, dass unsere Polizei, die zu den korruptesten der Welt gehört, jetzt auf einmal freie Hand hat! Was die Menschen auch ins Grübeln bringt, ist, dass letzte Woche ein südkoreanischer Geschäftsmann auf einer Polizeistation erwürgt worden ist – und die Polizisten hatten von seiner Frau ein Lösegeld verlangt. Das hat jetzt zu einer Untersuchung geführt, auf einmal äußert sich auch der Polizeichef, der Präsident macht zwar weiter wie gehabt, aber mein Eindruck ist, dass sich gerade etwas ändert. Für mich ist es immer ein gutes Stimmungsbarometer, was die Taxifahrer so sagen. Während des Wahlkampfs waren die allesamt für Duterte, viele trugen Armbänder mit seinem Namen; jetzt auf einmal sehe ich diese Armbänder nicht mehr, und die meisten Fahrer fragen mich: Was denken Sie eigentlich vom Präsidenten? Ich stelle ihnen dann meistens dieselbe Frage, und dazu noch: Wieviele Kinder haben Sie? – Das sind meistens mehrere Kinder. Dann frage ich: Wie können Sie eigentlich Ihre Kinder erziehen angesichts dessen, was der Präsident so sagt?“

Duterte ist für seine unflätige Sprache bekannt. „Hurensohn“, so hat er schon viele respektable Zeitgenossen genannt, darunter den Papst. Das Problem mit Duterte ist, dass nicht nur seine Sprache gewalttätig ist. Sondern auch seine Anti-Drogen-Kampagne.

(rv 26.01.2017 sk)








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