2016-12-30 13:57:00

Venezuela: Es braucht einen langen Atem


Es wird einen langen Atem brauchen, bis ein friedlicher Transitionsprozess in Venezuela abgeschlossen werden kann. Diese Einschätzung äußert in einem großen Jahresrückblick Prälat Bernd Klaschka vom Lateinamerikahilfswerk Adveniat im Interview mit Radio Vatikan.

Die Situation in dem an Ölvorkommen reichen südamerikanischen Land ist nach wie vor unübersichtlich. Präsident Nicolas Maduro, im Laufe des Jahres von politischen Beobachtern wiederholt als „nicht mehr lange haltbar“ bezeichnet, sitzt nach wie vor fest im Sattel und regiert mit harter Hand – obwohl er im Parlament schon längst keine Mehrheit mehr auf sich vereinen kann. Grundnahrungsmittel und Medizin sind knapp, Grenzschließungen und das Verbot, mit beliebten Geldscheinen zu zahlen, werden angeordnet und wieder rückgängig gemacht. Die Bischöfe des Landes appellieren wiederholt an die Vernunft der Verhandlungspartner und verurteilen in einer Nachricht zum Weltfriedenstag am kommenden 1. Januar mit harten Worten, dass Maduro den Volkswillen hartnäckig ignoriert und somit eine „Diktatur“ etabliert habe.

„Im jetzt zu Ende gehenden Jahr hat es in Venezuela große und intensive Auseinandersetzungen gegeben, weil die Opposition – und in diesem Anliegen stimme ich ihr zu – die Strategie verfolgt, einen friedlichen institutionellen Machtwechsel ohne Waffengewalt herbeizuführen. Darauf hat die Opposition in dem nun zu Ende gehenden Jahr sehr stark gesetzt, sprich sie hat die Mehrheit im Parlament, allerdings hat sie durch gezielte Entscheidungen der Regierung und von Richtern um drei Sitze die Zweidrittelmehrheit verfehlt. Das beeinträchtigt die Opposition, im Grunde ist die Macht beim jetzigen Präsidenten geblieben,“ erklärt uns Prälat Klaschka.

Auch der Vatikan hat sich im vergangenen Jahr 2016 stark in die Verhandlungen eingeschaltet, Papst Franziskus hat Präsident Maduro persönlich in privater Visite empfangen und Kardinalstaatssekretär Parolin, der selbst Nuntius in Venezuela gewesen war, versucht hinter den Kulissen auf eine Freilassung von politischen Gefangenen hinzuwirken. Die Regierung verfolge die Strategie, hin und wieder unbedeutendere politische Gefangene frei zu lassen, die Köpfe der Opposition säßen aber immer noch fest, betont Klaschka. „Das ist eine Politik, die Aggressivität erzeugt und das möchte Maduro wohl auch bis zu einem gewissen Grad. Das Dritte ist, dass die prekäre Situation der Menschen im Lande immer schwieriger wird, um zum Beispiel Artikel des täglichen Bedarfs wie zum Beispiel Hygieneartikel zu erwerben. Aber auch die Ernährungssituation wird immer schwieriger und erst vor einigen Tagen gab es die politisch-ökonomische Maßnahme, den 100-Bolivar-Schein außer Kraft zu setzen, das war aus wirtschaftlicher Sicht und auch für die Menschen dort ein Desaster und hat nochmals die Stimmung aufgeheizt.“

Zu meinen, dass Maduro nicht fest im Sattel säße, habe sich in diesem Jahr als Fehlschluss vieler Beobachter erwiesen, meint der Lateinamerika-Fachmann Klaschka. „Maduro sitzt im Sattel, und er hat auch die Versuche der Opposition, ihn mit institutionellen Mitteln aus dem Amt zu jagen, gekontert. Dies ist ihm auch gelungen, weil die Richter auf seiner Seite stehen. Das wird noch langfristige politische Folgen zeitigen. Im Letzten glaube ich aber liegt der Grund dafür, dass Maduro noch an der Macht ist, darin, dass es bestimmte gesellschaftliche Machtgruppen in Venezuela gibt, die ein Interesse daran haben, ihn zu halten, weil er ihnen zu Diensten ist. In vielen Medien spricht man auch davon, dass die Regierung in Drogengeschäfte verwickelt ist. Diese Vorteile, die sich bestimmte Gruppen in den vergangenen Jahren durch Maduro verschafft haben, werden sie nicht so leicht fahren lassen wollen, unter anderem zählen auch Teile des Militärs zu seinen Unterstützern.“

Er habe den Eindruck, so der Prälat, dass die Schmerzgrenze beim leidgeprüften venezolanischen Volk noch nicht erreicht sei. Kleine Auswege wie der Grenzhandel mit Kolumbien oder Care-Pakete von Verwandten trügen dazu bei, dass die Stimmung im Land nicht kippe und in Gewalt umschlage. „Auf der anderen Seite muss man auch bedenken, dass Maduro noch einen gewissen Rückhalt im Volk hat. Seine Anhänger sind auch bewaffnet, die anderen Gruppen nicht. Das ist den Gruppierungen auch bewusst, und alle sind momentan der Auffassung, es müsse einen friedlichen Übergang geben. Das ist ein wichtiges Ziel, dem bestimmte Strategien dienen und dem Verhaltensweisen auch untergeordnet werden.“

Die Vermittlerrolle des Vatikans sei unter diesen Voraussetzungen denkbar schwierig, gibt der Prälat zu bedenken. Er versuche, unparteiisch zwischen der Opposition und der Regierung die Gespräche nicht abreißen zu lassen, um eine friedliche Transition zu ermöglichen. „Diese Verhandlungen laufen nur sehr schleppend, weil zwischen den einzelnen Gruppen viel Misstrauen herrscht und man versucht, den Vatikan für die eigenen Interessen zu instrumentalisieren, doch auf der anderen Seite nicht bereit ist, Macht abzugeben.“

Ganz hoffnungslos sei die Situation nicht, doch man müsse sich auf langwierige Verhandlungen einstellen. Dass der Vatikan mit seiner diplomatischen Erfahrungen mit am Tisch sitze, sei jedoch trotz der Schwierigkeiten durchaus als positiv zu bewerten, so Prälat Klaschka. Kleinere Rückschläge müssten dabei in Kauf genommen werden, so gab es erst kürzlich Missstimmungen in der Regierung, als Kardinalstaatssekretär Parolin ein Einlenken Maduros bei der Frage der politischen Gefangenen einforderte: „Ich denke, das kann man so einordnen, dass es einerseits um die Frage geht, wie weit lässt sich der Vatikan auf die Seite der Regierung oder der Opposition ziehen? Das sind erst einmal Versuche von beiden Gruppierungen, den Vermittler für sich zu vereinnahmen. Das kann ich auch noch nachvollziehen, weil das oft in Verhandlungen der Fall ist, die eigenen Interessen so stark in den Vordergrund zu rücken, dass der Vermittler gar nicht mehr anders kann, als diesen bis zu einem gewissen Grad nachzugeben. Ich glaube, der Vatikan hat da eine sehr gute Haltung, denn er ist zurückhaltend, ergreift keine Partei (denn dann wäre auch seine Vermittlerrolle unmöglich) und versucht erst einmal über lange Gespräche, Kontakte zu ermöglichen und dann eine Verhandlungsbasis zu schaffen, dass man sich wenigsten minimal vertraut.“

Denn das Vertrauen bei den beiden Gruppierungen sei schon längst verschwunden, man belauere sich gegenseitig und warte auf den nächsten Winkelzug der anderen Partei. Ein Problem der Opposition sei auch personeller Art: Es gebe momentan keine anerkannte Gegenfigur zu Maduro, betont Klaschka. „Und da hat der Vatikan eine enorm schwierige Rolle, doch ich habe den Eindruck, dass die lange diplomatische Erfahrung des Vatikans da auch Frucht tragen wird. Wir dürfen nur nicht mit kurzfristigen Erfolgen rechnen, sondern müssen uns auf langwierige Prozesse einstellen und dies bringt auch mit sich, dass Maduro noch länger an der Macht bleiben wird, als dass er kurzfristig auf seine Macht verzichtet.“

(rv 30.12.2016 cs)








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