2016-12-29 08:00:00

Jahresrückblick 2016: Durchbruch in Kolumbien


2016 war für viele aus politischer Sicht ein schwieriges Jahr. Andauernde Krisenherde im Nahen Osten, Terror in Europa und Wahlen, die nicht so ausgingen, wie vorausgesagt wurde. Doch das Jahr 2016 hatte auch etwas Gutes und zwar die erfolgreichen Friedensgespräche in Kolumbien zwischen der Regierung und den FARC Rebellen.

Nach mehr als 50 Jahren Bürgerkrieg in Kolumbien, nach jahrelangen inoffiziellen und offiziellen Verhandlungen zwischen Regierung und Rebellen, gab es dieses Jahr den Durchbruch, an den viele schon nicht mehr zu glauben gewagt hatten. Doch worum ging es in dem Konflikt überhaupt? Im Grunde ist es eine klassische Konfliktstellung vieler Länder des globalen Südens, die sich in Kolumbien aufgrund der enormen sozialen Ungleichheit auf eine Eskalation zubewegt hat: Wenige reiche Großgrundbesitzer gegen viele arme Kleinbauern. Nach vielen gescheiterten politischen Reformversuchen hat sich schließlich 1964 die Guerillabewegung der FARC konstituiert, erklärt Kolumbien Expertin Monika Lauer Perez von Adveniat: „Sie sind seit 1964 als Guerilla-Organisation aktiv und sie haben sich damals auf die Fahne geschrieben, für die Rechte der Kleinbauern einzutreten und dafür auch mit Waffen zu kämpfen, da man auf politischem Wege nichts ausrichten konnte.“

22. Juni 2016: Kolumbianische Regierung und FARC Rebellen einigen sich auf Waffenstillstand

Offiziell laufen seit 2012 Verhandlungen, doch inoffiziell schon länger. In geheimen Vorverhandlungen wurdebereits seit 2011 die Agenda der offiziellen Gespräche festgelegt. Erst in Oslo und später in Havanna liefen die Verhandlungen mal besser mal schlechter, aber sie seien nie abgerissen, auch dank der Hilfe der Kirche, die in kritischen Momenten die Parteien wieder an den Verhandlungstisch gebracht hat, erklärt Lauer Perez. „Im Jahr 2015, während des laufenden Verhandlungsprozesses, wurden weltweit zum allerersten Mal die Opfer in die Friedensgespräche einbezogen. Seit 1985 hat man fast acht Millionen registrierte Opfer und rund 270.000 Tote während der letzten Jahre gezählt. Von der Kirche und der UNO wurden 60 Opfervertreter aus dieser ungeheuren Menge an Opfern ausgewählt - eine Mammutaufgabe. Diese Opfervertreter sind nach Havanna geflogen, um dort während der Verhandlungen über ihr Leiden direkt zu berichten, sowohl der Guerilla als auch der Regierung. Während des gesamten Prozesses, der Vorbereitung, der Begleitung und der folgenden Nachbereitung des Aufenthaltes betreute und begleitete die Kirche die 60 Opfer, deren aufrüttelnde Erfahrungen in einem Buch mit dem Titel "Das Herz der Opfer" veröffentlicht wurde. Die leidvollen, authentischen Schilderungen der Opfer haben einen tiefgreifenden Eindruck hinterlassen. Das hat denke ich auch dazu geführt, dass man mit großer Ernsthaftigkeit letztendlich weiterverhandelt hat, bis eben zu diesem Jahr.“ Ein großer Durchbruch der Verhandlungen war der erste beidseitige Waffenstillstand im Juni. Vorher hatte es bereits einige einseitige Waffenstillstandsangebote der FARC gegeben, aber von Anfang an war entschieden worden, dass die Verhandlungen trotz der weiter laufenden Kampfhandlungen geführt wurden. 

26. September und 2. Oktober 2016: FARC und Regierung unterzeichnen Friedensabkommen, Volk lehnt es ab

Ein weiterer Durchbruch nach dem Waffenstillstand kommt nur wenige Monate später. In einer feierlichen Zeremonie in der nordkolumbianischen Stadt Cartagena mit großer internationaler Präsenz setzten Präsident Juan Manuel Santos und FARC-Kommandeur Timoleón Jiménez alias Timoschenko ihre Unterschrift unter ihren Friedensvertrag, der knapp 300 Seiten umfasst. Da die Verhandlungen weitgehend unter Ausschluss der Öffetnlichkeit geführt worden waren, hatten die Kolumbianer nur knapp eine Woche Zeit, sich mit dem Inhalt des Vertrages auseinanderzusetzen, bis sie über diesen abstimmen durften. Trotz aller Erwartungen, dass die Kolumbianer mit Ja stimmen werden, lehnte die Mehrheit des Volkes die erste Fassung des Vertrages ab.

7. Oktober 2016: Bekanntgabe des Friedensnobelpreisträgers: Kolumbiens Präsident Juan Manuel Santos

Bei ausgepsorchen niedriger Wahlbeteiligung lehnte das kolumbianische Volk mit einer knappen Mehrheit von 50,23 Prozent am 2. Oktober die erste Fassung des Friedensabkommens ab. Ein Rückschlag für den Friedensprozess, der maßgeblich von Präsident Santos geleitet und angestoßen wurde. Kolumbien fiel in Stockstarre, doch nur kurz. Nur eine Woche später verkündete das Nobelpreiskomitee in Oslo, dass Präsident Santos den Friedensnobelpreis erhält.

Ein Wendepunkt aus der Sicht von Lauer Perez. „Ich glaube, dass das die Kolumbianer noch mal darin bestärkt hat, weiterzumachen. Als das Referendum mit ‚Nein’ ausging, waren alle wie gelähmt, weil niemand damit gerechnet hatte. Man brauchte damals erst einmal einen Moment, um sich zu sammeln. Aber dann hat man sehr schnell angefangen – und ich glaube, da war dieses Signal des Friedensnobelpreis sehr wichtig – wieder auf breiter Ebene, einen Dialog zu führen, den man so früher nicht geführt hat.“ Bis dahin verhandelten im Geheimen lediglich die FARC-Rebellen und die Regierung. Nun wurden weitere gesellschaftlich relevante Gruppen an den Verhandlungstisch geholt und in die Gespräche einbezogen. Rund 500 Vorschläge wurden sowohl von Gegnern als auch Befürwortern des Abkommens für eine Überarbeitung des Vertrages eingereicht und viele davon sind in das neue Abkommen eingeflossen, berichtet Lauer Perez.

Ende November 2016: Ein überarbeiteter Friedensvertrag wurde durch den kolumbianischen Senat und das Repräsentantenhaus gebilligt

Der neue Friedensvertrag umfasst 310 Seiten und wird Ende November von der Regierung, dem Senat und dem Repräsentantenhaus angenommen, diesmal ohne Referendum. „Was sich geändert hat, sind vor allen Dingen die Aspekte der Übergangsjustiz. Es gab große Bedenken von Seiten vieler in Kolumbien, dass die FARC straffrei ausgehen wird. Das wollte man natürlich nicht, weil schwere Verbrechen gegen die Menschlichkeit begangen wurden. In dieser Hinsicht sind die Dinge nun konkreter gefasst worden. Zweitens geht es um die Finanzierung des gesamten Friedensprozesses, auch da gibt es konkretere Angaben, die vorher nur vage formuliert waren. Das Tribunal für die Übergangsjustiz sollte zunächst international besetzt sein, nun ist aber entschieden worden, dass es ausschließlich kolumbianische Richter sein werden, die dort tätig werden und ausländische nur als Beobachter zugelassen sind.“ Insgesamt wurden viele Punkte konkreter ausformuliert und Bedenken, die das Volk hatte, einbezogen, erklärt Lauer Perez. Wie würde wohl jetzt ein Referendum ausgehen? Lauer Perez ist überzeugt, dass die Sehnsucht nach Frieden bei den Kolumbianern so groß ist, dass sie überwiegend mit Ja gestimmt hätten.

16. Dezember 2016: Papstaudienz mit Santos und Uribe

Ein ungewöhnlicher „Friedensgipfel“ für Kolumbien hat dann Mitte Dezember im Vatikan stattgefunden. Präsident Juan Manuel Santos und sein erbittertster Gegner (und Vorgänger) Álvaro Uribe haben mit dem Papst über den schwierigen Friedensprozess in Kolumbien gesprochen – erst getrennt und dann zusammen. Doch ob man das Treffen der Konkurrenten als Friedensgipfel bezeichnen kann, bezweifelt Lauer Perez. „Er hat nicht das Ergebnis gebracht, das man sich erhofft hatte. Es ging im Prinzip darum, dass Präsident Santos und der Expräsident Uribe sich zu einem erneuten Dialogversuch treffen. Uribe ist immer noch gegen das neue Abkommen, obwohl viele seiner eigenen Vorschläge aufgenommen worden sind. Das ist jedoch mehr eine politische Frage als eine Frage des Abkommens an sich. Es geht um ein Kräftemessen. So hat, so vermute ich, Papst Franziskus auch Uribe eingeladen, um zu sehen, ob man die beiden Positionen annähern kann. Soweit ich informiert bin, hat Ex-Präsident Uribe aber auf seiner Sichtweise beharrt und selbst Papst Franziskus war nicht in der Lage, ihn zum Einlenken zu bewegen.“

Ausblick: Was passiert jetzt?

Das jüngste Treffen zwischen Uribe und Santos zeigt noch einmal deutlich die Schwierigkeiten der aktuellen Situation auf. Obwohl ein Friedensabkommen unterzeichnet wurde, hat das Land noch viele Schritte bis zu einem stabilen Frieden vor sich. Einer wird es sein, mit den FARC-Rebellen umzugehen und die demobilisierten Kämpfer wieder in die Gesellschaft zu integrieren - dafür gibt es auch schon Pläne mit Kirchenbeteiligung, weiß Lauer Perez: „Es gibt jetzt für die FARC, wenn sie die Waffen niederlegen, landesweit 27 speziell festgelegte Zonen, in die sie sich zurückziehen werden. Die Priester dieser 27 Zonen sind mit der Unterstützung Adveniats noch einmal speziell ausgebildet worden, auch in pastoraler Hinsicht, für diese besondere Arbeit, die vor ihnen liegt. Das heißt, die ersten Kontakte zwischen der Zivilbevölkerung und der FARC in diesen Zonen zu begleiten, in denen Opfer und Täter nun Tür an Tür leben müssen. Das ist etwas ganz wichtiges, was die Kirche leisten muss.“ Noch ist dafür die Infrastruktur nicht gegeben und es gibt bereits den ersten zeitlichen Verzug. Unter der Voraussetzung, dass die Regierung die Materialien zeitnah bereit stellt und um den Zeitplan weitestgehend einzuhalten, so hat die FARC-Führung signalisiert, werden die Ex-Kombatenten selbst mit dem Aufbau der notwendigen Infrastruktur beginnen. „Das ist für Kolumbien zunächst mal die naheliegendste Herausforderung, die über 6.000 FARC Rebellen in den Zonen unterzubringen. Doch damit ist nur der erste Schritt getan, denn viele der Guerilleros haben ihr bisheriges Leben im Dschungel verbracht und brauchen einen Schulabschuss und weitere Bildungsangebote. Die Unternehmen müssen Arbeitsplätze bereit stellen, damit die Ex-Kämpfer eine Chance haben, sich ihren Lebensunterhalt auf normale Art und Weise zu verdienen.“ Auf Kolumbien warten also noch viele weitere schwierige Schritte auf dem Weg zum Frieden wie Bildung, neue Arbeitsplätze oder auch die Übergangsjustiz, der Friedensvertrag - so wichtig sein Zustande kommen war - war nur der erste.

(rv 29.12.2016 pdy)








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