2016-12-12 13:01:00

Libyen/Italien: „Es ist nie normal"


„Geboren 2016 auf der Aquarius, irgendwo im Mittelmeer“ – so beginnt kein Märchen, sondern die Geschichte zweier Flüchtlingskinder, die in diesem Jahr auf einem Rettungsboot im Mittelmeer geboren wurden. Ihre Mütter waren in Libyen in ein Gummiboot gestiegen, und kurz bevor dieses sank, las die „Aquarius“ die beiden Frauen aus den Wellen auf.

Mathilde Auvillain arbeitet auf diesem Seenotretter, er gehört zur Hilfsorganisation „SOS Méditerranée“, die von Frankreich, Italien und Deutschland finanziert wird. Mehr als 10.000 Menschen habe man seit Beginn der Mission an Bord genommen, berichtet die Französin im Interview mit Radio Vatikan, die meisten davon kämen aus Nigeria, Gambia, Guinea, Senegal und Mali.

„Darunter waren etwa 1.500 unbegleitete Minderjährige, Kinder von zehn, zwölf, fünfzehn Jahren, die alleine reisten. Wir haben auch 92 Kinder unter fünf Jahren gerettet… Das berührt immer, wenn man diese Kleinen sieht, sie weinen und sind total traumatisiert, wenn sie an Bord kommen. Zwei Kinder wurden in diesem Jahr auf unserem Schiff geboren.“

Bei der Flucht dieser Menschen gehe es ums nackte Überleben, so die Helferin, fast alle von ihnen hätten Schreckliches erlebt:

„Die meisten Migranten, die wir auf dem Meer retten, sind erwachsene Männer, die vor Elend, Verfolgung fliehen und die auf ihrer Flucht in Libyen in eine Falle gerieten. Dort erleben die Migranten eine unmenschliche Behandlung, Folter, systematische Gewalt, Entführungen. Fast alle Frauen werden vergewaltigt, einige kommen schwanger an infolge von Vergewaltigungen. Es ist eine absolut inakzeptable Situation, sie haben am Ende keine andere Wahl als sich einzuschiffen, um aus der Falle Libyen zu fliehen.“

„Die letzten Tage waren sehr intensiv"

Allein im November habe die Hilfsorganisation zwischen 13- und 14.000 Menschen aus dem Meer gefischt, vier Mal so viel wie im vergangenen Jahr um diese Zeit, erzählt Auvillain. Auch in diesen Tagen reiße der Strom der Flüchtlinge nicht ab, trotz der schlechten Wetterbedingungen.

„Die letzten Tage waren sehr intensiv, wir hatten sehr schwere Rettungsaktionen. Wenn Menschen auf dem Meer sind, geht es um jede Minute und um schnelle Rettung, denn die Menschen wurden gezwungen, ohne Rettungswesten an Bord zu gehen. Im Winter können die Wetterbedingungen von einem Moment auf den anderen umschlagen.“

In den Wintermonaten sei die Aquarius das einzig aktive Rettungsboot, denn viele andere Hilfsorganisationen zögen ihre Schiffe zurück, so Auvillain weiter. Man stelle sich deshalb darauf ein, dass man einige Menschen nicht werde retten können:

„Wir sind allein und es ist sehr schwer. An Bord haben wir medizinisches Personal von Ärzte ohne Grenzen, unseren Partnern, aber wir können nur wenige Reanimationen gleichzeitig vornehmen. Wenn wir es also mit 20, 30 Fällen von Unterkühlung zu tun haben, kommen wir in Schwierigkeiten.“

Während sich die Menschen in Europa an die Bilder der Mittelmeerflüchtlinge auf den Fernsehbildschirmen gewöhnt haben, bleibt die Tragödie für die Helfer auf dem Mittelmeer greifbar. Daran gewöhne man sich nie, bestätigt Mathilde Auvillain von der Hilfsorganisation „SOS Méditerranée“:

„Es ist nie normal, jemanden unter den eigenen Händen sterben zu sehen, die Tränen einer Frau zu sehen, deren Schwester vor ihren Augen stirbt, das wird nie normal, sich in so einer Situation zu befinden, mit so einer Notsituation auf dem Meer umzugehen und sich weit weg von der Aufmerksamkeit und der Hilfe Europas zu fühlen.“

(rv 12.12.2016 pr)








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