2016-11-23 11:47:00

Kolumbien: Frieden ohne neues Referendum?


Die Feier wird sicher etwas weniger euphorisch ausfallen als beim letzten Mal: Kolumbiens Friedensvertrag wird unterzeichnet, noch einmal, dazu treffen sich Regierung und FARC-Rebellen am Donnerstag in Bogotà. Präsident Manuel Santos will den überarbeiteten Text, dessen erste Fassung Anfang Oktober bei einer Volksabstimmung durchgefallen war, nicht noch einmal dem launischen Volk vorlegen – eine Abstimmung im Kongress muss diesmal reichen.

Ob damit nun der Friede einkehrt? Zweifel sind angebracht. Denn die Opposition sagt immer noch Nein zum überarbeiteten Text. „Das Szenario ist wieder einmal sehr unsicher“, sagt uns der Journalist und Kolumbien-Experte Alfredo Somoza, „denn eigentlich waren alle davon ausgegangen, dass die Regierung und die Nein-Front sich auf diesen neuen Vertrag einigen und ihn vielleicht sogar gemeinsam im Kongress einbringen würden. Aber das hat u.a. aus formalen Gründen nicht geklappt; die Regierung wollte zum Beispiel nicht, dass auch die Opposition sich mal mit den FARC-Unterhändlern trifft.“

Jetzt gebe es zwei Möglichkeiten, analysiert Somoza: Entweder stimmt der Kongress – in dem die Regierung die Mehrheit hat – dem Abkommen zu, und es kann in Kraft treten, so wie sich die Regierung Santos das wünscht. Oder Santos’ Koalitionspartner im Senat legen sich quer und erzwingen doch eine neue Volksabstimmung, wie der Präsident sie eigentlich vermeiden will.

„Von den Änderungsvorschlägen, die die Nein-Front zum alten Vertrag gemacht hat, sind zwischen siebzig und achtzig Prozent in den neuen Text eingearbeitet worden. Zu den Änderungen gehört, dass der Vertrag nicht Teil der Verfassung wird; dass Drogenhandeldelikte vom Richter einzeln untersucht werden; dass nur einheimische Justiz zuständig ist. Wovon die FARC nicht abrücken wollten: Ihre Führungspersönlichkeiten müssen nicht in Haft; und auch wenn sie sich schwerer Vergehen schuldig gemacht haben, können sie trotzdem bei den nächsten Parlamentswahlen kandidieren.“

Der Friedensvertrag sichert den bisherigen FARC-Rebellen fünf Sitze im Kongress und fünf im Senat zu. Das bedeutet: Die Anführer der Gruppe würden sich alle Abgeordnete werden, ausgestattet mit parlamentarischer Immunität. „Das sind die zentralen Punkte für die Nein-Front, die aber nicht ins neue Abkommen aufgenommen sind. Es wäre ja auch schwer vorstellbar, dass die FARC-Anführer einen Tag, nachdem sie das Abkommen unterzeichnet haben, gleich ins Gefängnis wandern...“

Sollten die politischen Irrungen und Wirrungen zu einem neuen Referendum führen, dann müsste das nicht unbedingt das Aus für das Friedensabkommen bedeuten, glaubt Somoza. „Die Bürger haben einen Schreck bekommen, als das Ergebnis kam. Es gab ein neues Nachdenken; außerdem war von vornherein klar, dass die Bürger ja nicht gegen Frieden sind, sondern nur gegen bestimmte Formulierungen im konkreten Abkommen. Die Änderungen, die man dann durchgeführt hat, haben gezeigt, dass der ursprüngliche Vertrag durchaus etwas weniger günstig für die FARC hätte ausfallen dürfen...“

Das vorherrschende Gefühl bei den Kolumbianern sei im Moment die Sorge. Ihr Land habe die dynamischste Wirtschaft des ganzen Kontinents, die Aussicht auf Frieden hatte schon das Interesse von Investoren weiter angestachelt, da tue es dem Land nicht gut, den jahrzehntealten Konflikt doch weiter mitzuschleppen.

„Natürlich sind die FARC-Anführer den Kolumbianern unsympathisch. Aber mit der neuen Fassung des Abkommens müssten sie eigentlich mehrheitlich einverstanden sein. Wenn sich herausstellen sollte, dass es im Parlament keine Mehrheit für eine Ratifizierung dieses Abkommens gibt, dann wäre die letzte Karte doch die einer neuen Volksabstimmung. Dann wäre auch klar, dass das Abkommen bei einem erneuten Nein endgültig gescheitert wäre und dass der Krieg wieder losgehen würde. Und das will in Kolumbien niemand.“

(rv 23.11.2016 sk)








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