Der deutsche Soziologe und Sozialphilosoph Hans Joas hat sich dagegen ausgesprochen,
bei der Analyse der jüngsten US-Wahl die Trump-Wähler über einen Kamm zu scheren und
als „Wutbürger“ oder „Modernisierungsverlierer“ abzustempeln. Diese gerade in den
Nachwahl-Kommentaren immer wieder zu lesende These sei empirisch viel zu einfach und
zeuge von einer unlauteren „Herablassung“ und einer Ignoranz gegenüber den tatsächlichen
Wahlmotiven, sagte Joas im Gespräch mit der Nachrichtenagentur Kathpress.
Es sei durchaus nachvollziehbar, wenn etwa Arbeiter in Industrieregionen aufgrund
akuter Jobverluste der Ansage einer stärker protektionistischen Wirtschaftspolitik
folgen. Dass diese Sorgen nicht ernst genommen wurden, sondern ihnen in einer „herablassenden
Haltung“ seitens der Eliten begegnet wurde, zeuge von einer weitreichenden Entfremdung
von Politik und Bürgern, die letztendlich die Wahl Donald Trumps befördert habe.
Zugleich warnte Joas davor, den Faktor Religion bei der jüngsten Wahl überzubewerten.
„Anders als bei vorherigen Wahlen waren es diesmal gerade nicht die kulturkämpferischen
und stark religiös aufgeladenen Polarisierungsachsen wie etwa die Homosexuellen-Ehe
oder die Abtreibungsfrage, die den Wahlkampf bestimmt haben“, so Joas, der an der
Theologischen Fakultät der Humboldt-Universität Berlin die Ernst-Troeltsch-Honorarprofessur
innehat und seit mehr als fünfzehn Jahren an der Universität von Chicago lehrt. „Trump
steht ja nicht dezidiert für eine Form eines konservativen Christentums ein - diese
Flanke hat er mit seinem Vize Mike Pence abgedeckt.“ Sein Zugang zu religiösen Fragen
sei insofern „offensichtlich eher taktischer Natur“ - die Motivation der republikanischen
Wähler habe sich wesentlich stärker etwa an sozialen und wirtschaftlichen Fragen entzündet.
Gegen Pauschalisierung „christliche Wähler“
Kritik übte Joas außerdem daran, allzu pauschal von „den Evangelikalen“ bzw. „den
christlichen Wählern“ zu sprechen und diese zugleich als durchwegs konservativ einzustufen.
Dies treffe gerade auf den politisierten Katholizismus in den USA keineswegs zu, so
Joas, der seit Jahrzehnten ein informierter Kenner der amerikanischen Gesellschaft
ist. Man dürfe schließlich nicht vergessen, dass sich gerade die evangelikalen Bewegungen
einem starken „demokratischen Motiv“ verdanken, insofern sie Anfang des 20. Jahrhunderts
als gleichsam basisdemokratische Bewegungen gegen religiöse Bevormundung entstanden
seien. Sie alle eine jedoch der „Widerwille gegen eine prononciert säkularistische
Intellektualität“, so Joas.
Dass sich dieser Widerwille ausgerechnet in der Wahl des Milliardärs Trump Ausdruck
verschaffe, zeuge somit auch von einer demokratischen Krise. Es gelinge gerade der
Demokratischen Partei kaum mehr, dass sich ihre traditionellen Wählermilieus mit dem
Spitzenpersonal identifizieren. Dieses entstamme auch immer weniger diesen Milieus.
Diesbezüglich gebe es durchaus Parallelen zur europäischen Sozialdemokratie, so Joas.
Dennoch sei er kein Schwarzmaler, der in Trump einen „verrückten Diktator“ sehe. Trump
habe sehr bewusst und strategisch mit den Ängsten in der Bevölkerung sowie der gezielten
Überschreitung eingeübter Kommunikationsstile gespielt. Auch verfüge das amerikanische
politische System weiterhin über ein funktionierendes System der „checks and balances“,
und auch innerparteilich dürfte Trump mit seinen Vorhaben auf nicht geringe Widerstände
stoßen, stellte der Soziologe fest.
(kap 11.11.2016 sk)
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