2016-10-28 11:50:00

Aleppo: Die Bombe, die Blumen, die Morgenröte


„Der Moment vor der Morgenröte“: So poetisch kann der Krieg klingen. Ibrahim Alsabagh, der Pfarrer der Franziskuskirche von Aleppo, hat seiner „Chronik von Krieg und Hoffnung“ diesen Morgenröten-Titel gegeben. Sein Buch, das jetzt auf Italienisch erschien, schildert Aleppos Drama Tag für Tag. Textprobe: „Wir haben auf dem Kirchendach ein Teil einer nicht-explodierten Bombe gefunden. Während der Messe hat man das Teil zum Altar gebracht, mit Blumen drinnen. Ihr schickt uns Bomben, wir antworten mit Blumen.“

„Im Moment der Kommunionausteilung während der Sonntagsmesse, der am meisten besuchten Messe, ist ein Sprengsatz auf die Kirche geflogen“, erinnert sich Pater Ibrahim im Gespräch mit Radio Vatikan. „Das zielte auf die Kuppel, und wäre er explodiert, hätte er ein Blutbad anrichten können mit hundert Toten. Aber die Kuppel hat gehalten, und der Sprengsatz ist dann auf dem Dach explodiert und hat es stark beschädigt. Wir sind mit dem Schrecken davongekommen, mit der Bitterkeit, auch mit ein paar leichteren Verletzungen... und wir haben sofort wieder den Weg des Glaubens und der Hoffnung eingeschlagen.“

Es gebe gar keine „militärische Lösung für Aleppo“, glaubt der Franziskaner – und doch versuchten alle streitenden Parteien in Syrien gerade, eine solche militärische Lösung doch noch auf Biegen und Brechen zu erzwingen. „Die Lage ist dramatisch. Es gibt gar keine Worte, die das beschreiben könnten, was in Aleppo passiert. Tag für Tag ohne Strom leben; oft ohne Wasser; achtzig Prozent der Menschen ohne Arbeit, und die Preise für Lebensmittel in astronomischen Höhen. Und dann die Bomben, die auf Schulen fallen, auf Krankenhäuser, auf Kirchen, auf Moscheen, aber auch auf Wohnhäuser und auf Straßen. Die richten so viel Schaden an – nicht nur an der Infrastruktur, sondern auch an den Menschen.“

Eine „Totenstadt“ sei Aleppo mittlerweile: die einst stolze Handelsstadt, Syriens zweitgrößte Metropole. Vier Millionen Menschen lebten hier noch vor vier Jahren. Heute sei sie entzweigeteilt, ziemlich genau zur Hälfte. Im einen Teil habe die reguläre Armee das Sagen, im anderen bewaffnete Gruppen, darunter auch Dschihadisten aus aller Welt. Die „lateinische“ Franziskuskirche und das Franziskanerkloster liege nur sechzig Meter von einem Rebellenstützpunkt entfernt, die jeden Tagen Granaten würfen.

„Als Christen sind wir auf dem Rückzug aus Aleppo: Es gibt sowieso einen allgemeinen Trend zur Emigration, aber dazu kommt speziell noch die Auswanderung der Angehörigen von Minderheiten, darunter der Christen. Wir Franziskaner bemühen uns, die Christen mit konkreten, humanitären Hilfen zu unterstützen, damit sie nicht gehen müssen, sondern bleiben können. Denn wir glauben, dass wir als Christen auch heute eine besondere Mission im Nahen Osten haben. Wir wollen Friedensvermittler sein und Brücken zwischen allen Konfliktparteien schlagen.“

Noch eine Textprobe aus Pater Ibrahims Buch: „In Aleppo weint der Himmel, und alles kommt einem absurd vor. Aber die Hoffnung und die Kreativität sterben nicht. Alle warten auf eine neue Morgenröte.“

(rv 28.10.2016 sk)








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