2016-08-13 11:39:00

„Dschungel“ von Calais: Nur 60 Duschen für 9.000 Menschen


9.000 Migranten im „Dschungel“ von Calais? War das slum-ähnliche Flüchtlingslager am äußersten Rand Frankreichs nicht vor ein paar Monaten aufgelöst worden? Jein. Zwar hatten die Behörden das Lager im Februar größtenteils schließen lassen – und 2009 bereits ein früheres Lager an derselben Stelle. Doch das ändert nichts daran, dass hier weiter und wieder Flüchtlinge hausen und versuchen, durch den Ärmelkanal-Tunnel nach Großbritannien zu gelangen. 9.000 Migranten also derzeit, im sogenannten „Dschungel“; allein im Juli waren etwa 2.000 neue Migranten angekommen, darunter 865 Kinder – und davon die meisten ohne Begleitung durch einen Familienangehörigen.

Viele französische NGOs machen auf die unsäglichen hygienischen und sonstigen Umstände aufmerksam, die im „Dschungel“ herrschen und die unter den Flüchtlingen regelmäßig für Krawall sorgen. Am Freitag hat nun das Verwaltungsgericht von Lille eine Anordnung der Behörden aufgehoben, nach der die Dutzenden von illegalen Verkaufsständen im Lager verboten werden sollten. Diese Stände seien, so urteilten die Richter, wichtige „Orte einer friedlichen Begegnung zwischen Migranten und Wohltätern“.

Orte der Begegnung

„Eine gute Entscheidung, aber natürlich nicht genug“, sagt Didier Degrémont, Verantwortlicher des katholischen Hilfswerks „Secours Catholique“ für die Region Pas-de-Calais. „Die Probleme bleiben und sind reell, denn die Behörden packen die Sache nicht richtig an, sie scheuen davor zurück. Das Einzige, was sie tun, ist, die Leute soweit möglich von Calais fernzuhalten. Man hat viele in andere Aufnahmelager gebracht, aber sich dort nicht richtig um alles gekümmert – auch wenn es durchaus einige Fortschritte gab, das muss man schon zugeben –, und darum kehren viele Migranten, sobald sie können, wieder zurück nach Calais. Die Massnahmen, die die Behörden treffen, sind überhaupt nicht dazu angetan, diesen Menschen wenigstens ein würdiges, zeitweiliges Dach über dem Kopf zu verschaffen; die Präfektur des Pas-de-Calais arbeitet in einem ganz anderen Geist, als wir Hilfsverbände das fordern.“

Von „Wir schaffen das“ sind die französischen Behörden weit entfernt. Dabei hat Frankreich bei weitem nicht so viele Flüchtlinge im Land wie sein deutscher Nachbar. Doch die unbewältigte Kolonialvergangenheit, das Problem der Banlieues und die häufigen Terroranschläge sorgen in Frankreich für eine ganz andere Stimmung Fremden gegenüber. Das bekommen auch die Menschen im „Dschungel“ von Calais zu spüren.

Behörden schaffen es nicht

„Gottseidank sind viele Verbände und Menschen voll guten Willens dort präsent. Wie kann man sich denn auch nur einen Moment lang vorstellen, dass man diese Tausenden von Menschen, die vor Kriegen und Diktaturen zu uns geflohen sind, imn wesentlichen sich selbst überlassen könnte? Da sind nur sechzig Duschen, für 9.000 Menschen – und zwar nur auf einem Drittel des Platzes, den man ihnen früher (vor der Teilräumung) zugestanden hatte. Das ist katastrophal – Lebensumstände, die man kaum beschreiben kann, vor allem, wenn’s kalt ist oder regnet. Es fehlt an Toiletten, auf Anweisung der Behörden wird – wohlgemerkt, für 9.000 Menschen – täglich nur an 3.000 Menschen Essen ausgegeben. Für den Rest müssen wir Hilfswerke sorgen. Wir springen auch ein, damit die Migranten etwas zum Anziehen haben, und wir geben ihnen zum Beispiel Rechtsberatung, damit sie einen Asylantrag stellen können. Viele wollen – was eigentlich legitim ist – zu Familienangehörigen, die in Großbritannien sind; das schafft sehr große Probleme.“

Die Stimmung unter den Migranten im Lager beschreibt Didier Degrémont als „sehr gespannt“. „Das kann man auch verstehen. Da leben ja Sudanesen, Eritreer, viele Syrer und viele Afghanen auf engstem Raum zusammen, eine Mischung von Kulturen, die untereinander nicht immer gut auskommen. Wir können gar nicht verhindern, dass es da ununterbrochen zu Auseinandersetzungen und Streit kommt. Besonders besorgt sind wir allerdings über die mehreren hundert Kinder; die leben da völlig auf sich gestellt, ohne jeden Schutz, den Erwachsenen ausgeliefert. Viele dieser Kinder wollen zu ihrer Familie nach Großbritannien, aber das ist fast unmöglich, weil sich die britischen Behörden dem komplett verweigern. Wieder andere haben ihre Familie auf der Flucht verloren. Und eine ganze Reihe dieser Kinder wurde von ihrer Familie nach Europa geschickt, damit wenigstens sie in Sicherheit wären.“

(rv 13.08.2016 sk)








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