Wer glaubt, fundamentalistische Gewalt habe mit Religion nichts zu tun, erliegt
einer Selbsttäuschung: Das hat die islamische Theologin und Religionswissenschaftlerin
Hamideh Mohagheghi bei einem Vortrag im Rahmen der „Salzburger Hochschulwochen" am
Freitag unterstrichen. Religiöser wie politischer Fanatismus und darauf folgende Gewalt
seien zwar unmittelbare Reaktionen auf gesellschaftliche Umbrüche und Destabilisierungen,
zugleich jedoch spiele Religion als jener Ort, an dem nach einfachen und schnellen
Antworten gesucht werde, eine wichtige Rolle. „Es ist das Gebot der Stunde, genau
hinzusehen und nicht den Fanatikern die Deutungshoheit über die religiösen Quellen
zu überlassen", mahnte die am Seminar für Islamische Theologie der Universität Paderborn
lehrende Mohagheghi.
Gesellschaftliche Umbrüche würden zahlreiche Menschen heute überfordern und verunsichern.
Daher gelte es, sich den Sorgen gerade auch der jungen Menschen in besonderer Form
zuzuwenden, da diese eine Affinität zu schnellen Antworten auch in der Religion besäßen.
„Wir müssen nicht nur verstehen, was Menschen zu leidenschaftlichen religiösen Fanatikern
macht, sondern auch leidenschaftlich dagegen antreten", so die Theologin. Bloße Theologie
und das Pochen auf theologischen Richtigstellungen sei nicht genug, man müsse genauer
nach den Ursachen der Anfälligkeit gerade auch junger Menschen für religiöse kurzschlüssige
Antworten und sich auf Religion berufende grassierende Gewalt forschen.
Die Rolle der Religion bei der Gewalt
Aus Fundamentalismus und Fanatismus spreche stets eine individuelle Unsicherheit und
ein „Bedürfnis nach Sicherheit", nach Identifikationsfiguren, nach Einfachheit und
Selbstbestätigung. „Es sind Menschen, die das Gefühl haben, den Boden unter den Füßen
zu verlieren". Fundamentalismus sei daher letztlich eine „Fluchtbewegung in Gewissheit",
die selbst die Hörigkeit auf neue, vermeintliche Autoritäten in Kauf nimmt „aus purer
Angst vor dem Verlust der neu gewonnenen Gewissheit". Dies sei etwa auch bei den Kämpfern
des „Islamischen Staates" zu beobachten. Aus diesen Beobachtungen folge jedoch auch,
dass es sich bei religiösen Fundamentalisten in den meisten Fällen um „induzierte
Fanatiker" handle, so Mohagheghi, das heißt um Fanatiker, die - im Alltag eher unauffällig,
durchschnittlich und sozial angepasst - sich von anderen Menschen „anstecken" lassen.
Theologisch gelte es offen zu thematisieren, dass etwa islamische Quellen tatsächlich
eine „Sprache der Gewalt" kennen; eine fundamentalistische Auslegung blende jedoch
den jeweiligen Kontext der Texte aus und fokussiere ausschließlich auf diese Aussagen.
Indem außerdem das diesseitige Leben und die Welt radikal abgewertet würden, komme
es zu einer gleichsam theologischen Legitimierung der Gewalt in der Welt. So könne
eine missbrauchte religiöse Tradition zugleich zum „Zündstoff für Fanatismus" werden.
(kap 05.08.2016 gs)
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