2016-07-15 10:45:00

Sicherheit nach der Gewalt: Globalisierung der Angst


Die direkten Folgen der Morde von Nizza sind die Forderungen der Politiker nach mehr Sicherheit, dabei bedienen sie sich zunehmend einer martialischen Sprache. Der französische Innenminister Bernard Cazeneuve sagte, „wir sind in einem Krieg mit Terroristen, die uns um jeden Preis wehtun wollen." Frankreichs Präsident François Hollande hat in einer Fernsehansprache zu dem Anschlag gesagt: „Wir müssen alles tun, um die Geißel des Terrorismus zu bekämpfen". Er mobilisiere deswegen Soldaten und verstärke den Einsatz im Irak und in Syrien, wo französische Flugzeuge Einsätze gegen die Terrormiliz IS fliegen.

Die Sprache und die ersten Reaktionen sprechen die Sprache des Krieges und des Militärs, hilft uns das im Umgang mit solchen Tragödien? Eine Frage an den Psychiater Manfred Lütz.

Lütz: „Möglicherweise ist das ein erster Impuls, um den Menschen Sicherheit zu vermitteln. Das hat sich ja mittlerweile auch ritualisiert, so dass es irritierend wirkt, wenn man es nicht tut. Aber natürlich ist es so, dass man aufpassen muss, dass man nicht einen Menschen zu einer kriegsführenden Macht stilisiert, damit macht man ihn zu groß.“

RV: In Brüssel, in Paris und auch hier in Rom steht überall Militär herum, junge Menschen mit schweren Waffen, das soll wohl Schutz vermitteln. Ist es für unsere Angst hilfreich, alles martialischer und soldatischer zu machen?

Lütz: „Ich glaube schon, dass das ein Gefühl von Sicherheit gibt, obwohl man natürlich nüchtern feststellen muss, dass man jemanden, der wirklich sein Leben einsetzen will, kaum bremsen kann. Das erleben wir ja auch immer wieder. Aber die Bevölkerung hat ein sichereres Gefühl, wenn sie Sicherheitskräfte sieht. Und für die Politik gibt es ja auch einen Handlungszwang, wenn sie gar nichts tun würde, würde ihr das, wenn wieder etwas passiert, schlecht ausgelegt.“

RV: Aber es gibt doch einen Unterschied zwischen Sicherheitsmaßnahmen verstärken und Soldaten in die Straßen stellen. In Deutschland gibt es ja zum Beispiel keine Soldaten in den Straßen, und zwar aus guten Gründen. Ist es dann sozusagen nur ein ‚psychologischer Trick‘, diese jungen Menschen mit den schweren Waffen in den Straßen zu haben?

Lütz: „Ich glaube schon, dass sie eine gewisse Wirkung haben, das will ich gar nicht bestreiten. Ich würde das in so einer Situation nicht kritisieren.“

RV: Die Angst schleicht sich in die Gesellschaft, erst Paris, dann Brüssel, nun Nizza, dazwischen immer wieder Meldungen von möglicherweise verhinderten Anschlägen. Verändert diese schleichende Angst unsere Gesellschaft? Müssen wir lernen, mit der zu leben?

Lütz: „Das glaube ich schon. Ich glaube, dass das eine Globalisierung dieser Situation ist. Man muss sich ja klar machen, dass im Irak, in Syrien, in anderen Ländern wie in Pakistan Menschen dauernd und immer wieder Anschläge erleben und da haben wir uns inzwischen dran gewöhnt, weil es wie ein Kinofilm wirkt. Aber inzwischen ist das auch vor Ort bei uns so, das ist etwa Beunruhigendes, da verändert sich die Gesellschaft, da muss man aufpassen, dass keine politischen Radikalismen entstehen und dass man einigermaßen einen kühlen Kopf behält. Dazu sind die Politiker natürlich aufgefordert.“

RV: Was raten Sie aus Ihrer Perspektive als Professioneller im Umgang mit inneren Seelenzuständen den Menschen, wenn sie etwa Angst vor Versammlungen oder Menschenmengen haben? Wie kann man mit dieser Angst umgehen?

Lütz: „Erstmal kann man von Ländern wie Israel lernen, wo ja immer wieder Terroranschläge stattgefunden haben, so dass man dort vielleicht aufmerksamer ist, aber trotzdem sein Leben lebt. Dabei ist es sicherlich wichtig, dass die Medien über diese Dinge informieren, aber sich dann zurückhalten bei der Produktion von zu viel Information, von zu viel Bildern, von zu viel Suggestion. Indem man über das Thema redet, macht man die Wirklichkeit des Terrors noch wirklicher, also noch effektiver sozusagen, und tut gerade das, was die Terroristen wollen. Das heißt, berichten ist gut, aber dann muss man auch wieder zur Tagesordnung übergehen.“

(rv 15.07.2016 ord)








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