2016-07-12 13:46:00

Südsudan: „Das war schon ein Schock für uns“


Seit etwa zwanzig Jahren ist der Verband „Malteser International“ auf dem Gebiet des heutigen Südsudan aktiv – und hat in der Zeit „schon einiges mitgemacht“: Bürgerkrieg zwischen Nord und Süd, Massaker, Flüchtlingsströme, und dazu (nach der Unabhängigkeit des Südsudan vor fünf Jahren) den blutigen, politisch-ethnischen Machtkampf zwischen Ende 2013 und Anfang 2016. Jetzt schien eigentlich Ruhe zu herrschen – eigentlich. Denn am Wochenende, genau zum 5. Unabhängigkeitstag, kam es wieder zu Gefechten mit schweren Waffen.

„Es spitzte sich in den Regionen ein bisschen zu; außerhalb von Juba hatten wir mehrfach schon massive Probleme und mussten dort Personal abziehen und in Sicherheit bringen.“ Das berichtet Roland Hansen, Afrika-Experte bei den Maltesern, an diesem Dienstag im Interview mit Radio Vatikan. „Aus Juba hatten wir eigentlich noch vor wenigen Tagen positive Signale erhalten; vor einer guten Woche hatte ich noch mit der südsudanesischen Botschafterin in Berlin gesprochen – alle zuversichtlich… Und dann plötzlich das – also, das war schon ein Schock für uns.“

In Juba, der Hauptstadt des jungen und bettelarmen Staates, arbeiten notgedrungen genau die zwei Männer zusammen, die noch vor einem Jahr die Waffen gegeneinander sprechen ließen: Salva Kiir, der Präsident, und Riek Machar, jetzt wieder sein Vize-Präsident. Ethnische Konflikte zwischen den verschiedenen Volksgruppen im Land lagen dem Bürgerkrieg zugrunde. Auch die beiden Spitzenpolitiker gehören rivalisierenden Volksgruppen an. Ein Friedensabkommen nötigte die beiden seit ein paar Monaten zur Zusammenarbeit.

„Kiir und Machar haben vielleicht die eigenen Leute nicht im Griff“

„Also, wahrscheinlich hat nicht jeder dieser beiden hohen Herren seine eigenen Generäle und Soldaten voll im Griff… Ich vermute mal, daher rührt das. Sie müssen sich vorstellen: Der Staat ist im Prinzip pleite, weil die Öleinnahmen, von denen der Südsudan im Wesentlichen lebt, radikal in den Keller gegangen sind. Dem stehen die Unkosten für das Militär gegenüber – wahrscheinlich sind Militärs teilweise nicht bezahlt worden. Dadurch kann man sich vielleicht erklären, woher die grundsätzliche Unzufriedenheit rührt.“

Als humanitäre Organisation will sich „Malteser International“ allerdings nicht allzu sehr auf politische Erläuterungen einlassen. Der Verband will, dass seine Projekte nicht gefährdet werden: die Ernährungsprogramme in Wau und Maridi, die Sanitäranlagen und Küchengärten in Juba, die Schule für Krankenpfleger und Laborassistenten in Rumbek, das Dorf mit Leprakranken in der Nähe von Rumbek.

Völkermord-Gefahr „nicht von der Hand zu weisen“

Warum aber war es mit dem Frieden in Südsudan ausgerechnet am 5. Jahrestag der Unabhängigkeit vorbei? Hansen vermutet dahinter eine Absicht: Die Kämpfer wollten sich größtmögliche Aufmerksamkeit sichern. „Hinzu kam dann die Ankündigung des Präsidenten, dass man den Feiertag aus Kostengründen ausfallen lassen wolle. Darüber waren natürlich viele ehemalige Kämpfer, die damals die Unabhängigkeit erkämpft haben, nicht glücklich; die hatten dann angekündigt, sozusagen etwas Eigenes zu veranstalten.“

Eine kirchliche Quelle aus Juba hat zur vatikanischen Missionsnachrichtenagentur fides gesagt: „Wir riskieren hier einen Völkermord!“ Darum solle die Staatengemeinschaft unverzüglich eingreifen. Hansen zögert beim Wort „Völkermord“, meint dann aber, das sei „nicht völlig von der Hand zu weisen“. „Es gibt wohl tatsächlich Andeutungen, dass die ganzen anderen ethnischen Gruppen sich gewissermaßen gegen die Hauptgruppe, die Dinka – im Wesentlichen die Regierungs-Volksgruppe – verschwören. Das wäre dann so eine Art Racheakt für vorherige gefühlte schlechte Behandlung, was auch sicher nicht von der Hand zu weisen ist, weil viele Regionen abseits der großen Städte schon vernachlässigt worden sind. Das könnte jetzt dazu führen, dass es zu Racheakten kommt.“

Bemühungen um Evakuierung ausländischer Mitarbeiter

Dass der Südsudan so kurz nach seiner Unabhängigkeit in Krieg und Chaos versinken würde, „hätte keiner gedacht“, sagt Hansen; das sei „drastisch“ und „traurig“. „Wir haben eigentlich zwischendurch mal ganz gut arbeiten können – immer mit erhöhten Vorsichtsmaßnahmen. Wie gesagt, in den Provinzen mussten wir mehrfach zwischendurch evakuieren, aber es waren nie wirklich unsere internationalen Mitarbeiter bedroht. Das ist jetzt zur Zeit etwas anders. Die letzten Tage waren eine große Aufregung. Wir haben zur Zeit acht internationale Mitarbeiter im Land, die natürlich alle nach Hause wollen, und das ist natürlich nicht so leicht. Im Augenblick laufen die ersten Evakuierungs-Bemühungen an, aber wir wissen noch nicht, ob das funktionieren wird.“

Dass der Südsudan im Sommer 2011 seine Unabhängigkeit proklamiert hat und sich damit der ärmste Staat der Welt bildete, hält Roland Hansen im Rückblick nicht für einen Fehler. Immerhin sei damit die jahrzehntelange, bewaffnete Auseinandersetzung zwischen Nord und Süd im Sudan zu Ende gegangen. „Ich fände es sehr wichtig, dass man einem so jungen Staat, der praktisch aus Kriegswirren heraus entstanden ist und ökonomische Schwierigkeiten hat, massive Unterstützung gibt, damit er eine richtige Nation werden kann. Und um der Bevölkerung, die jahrzehntelang gelitten hat, eine Chance zu geben, in einem neuen Staat wirklich eine Zukunft aufzubauen.“

(rv 12.07.2016 sk)








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