Das Flüchtlingsproblem in Deutschland und Österreich ist „nur die Spitze des Eisbergs"
einer globalen Migrationsbewegung, gegen die keine Abschottung hilft, sondern die
offensiv gesteuert und genutzt werden muss. Diese Überzeugung äußerte der scheidende
Flüchtlingsberater der Bundesregierung und frühere Leiter des größten Flüchtlingslagers
in Nahost, Kilian Kleinschmidt, bei einer „Kathpress"-Veranstaltung im Rahmen der
„Langen Nacht der Kirchen" in Wien. Das Podiumsgespräch in der Deutschordenskirche
hatte das Thema „Flucht und Vertreibung".
Weltweit, besonders in Afrika, aber auch im dicht bevölkerten Pakistan, finde eine
gewaltige Menschenbewegung statt, die zu einem großen Teil im Klimawandel und in der
in Mitleidenschaft gezogenen Umwelt ihre Ursache habe. Kleinschmidt, Wahlwiener seit
zwei Jahren, erwähnte die Austrocknung großer Gebiete, aber auch Flutkatastrophen
wie jene in Pakistan 2010, durch die zehn Millionen Menschen ihre Häuser verlassen
mussten.
Menschen seien gezwungen, ihre Heim hinter sich zu lassen - ob sie als Flüchtlinge
anerkannt würden oder nicht. Viele davon versuchten, in stabilere Länder zu kommen.
Europa müsse das akzeptieren und könne sich durch keine Zäune schützen. Vielmehr brauche
es Zuzug, denn „jede Festung verhungert, wenn man die Zugbrücke hochzieht".
Die österreichische Flüchtlingspolitik erkenne das bedauerlicherweise nicht, und dies
führe im Ausland „zu großem Kopfschütteln". Was vor allem fehle, sei ein Plan zur
Integration und ein Plan zum generellen Umgang mit dem Phänomen Migration und Flucht.
Es müsse legale Wege geben, auf denen sich Vertriebene bewegen können, so Kleinschmidt;
es könne nicht sein, dass Reisefreiheit „nur für jene gelten soll, die reich sind,
oder die einen österreichischen oder deutschen Pass haben". Der UN-Flüchtlingsexperte
wies darauf hin, dass es Ansätze zu Antworten gebe. Es gebe vorausschauende Politiker
und Experten, die brauchbare Konzepte erarbeitet hätten.
Hoffnung auf Flüchtlingsgipfel
Kleinschmidt setzt in diesem Zusammenhang Hoffnungen auf den Flüchtlingsgipfel im
Rahmen der UN-Vollversammlung Anfang September. Der dort zur Besprechung kommende
Plan sehe die legale Umsiedlung von zwei Millionen Menschen aus Flüchtlingslagern
vor. Diese Zahl entspreche zehn Prozent aller registrierten Flüchtlinge. Für sie solle
es humanitäre Korridore in westliche Staaten geben.
Wie Kleinschmidt weiter hervorhob, müsse es darüber hinaus aber auch zu einer Erweiterung
der 70 Jahre alten Genfer Flüchtlingskonvention kommen: „Denn was ist mit den Millionen
Menschen, die nicht als Flüchtlinge registriert sind, die aber keinen Zugang zu Wasser
und keine Arbeit haben?"
Migrationsforscher sähen auch für diese Menschen Chancen, ohne dass es zu einer Belastung
der Aufnahmeländer kommen müsse. Der UN-Experte erinnerte an den Entwicklungshilfeeffekt
von Migration: Migranten überwiesen im Vorjahr 900 Milliarden Euro zurück in ihre
Heimatländer; ganze Dorfgemeinschaften lebten davon. Ein wichtiger Punkt sei die Ausbildung.
Das habe etwa Jordanien erkannt, wo massiv in IT-Schulung investiert werde.
Außerdem müsse früh begonnen werden, Flüchtlingslager in selbst verwaltete städtische
Strukturen umzuwandeln. „Das Schlimmste ist, wenn ein Lager 30 Jahre in den Händen
einer humanitären Organisation ist." Das habe er etwa in Kenia erlebt, so Kleinschmidt.
In diesem Zusammenhang äußerte er Lob für die Arbeit von Caritas und Diakonie in Österreich,
hob aber gleichzeitig die Gefahr einer zu späten Selbstständigkeit der Menschen hervor.
Dazu komme auch das Problem, dass die Spendenfreudigkeit nicht gleich hoch bleiben
werde.
(kap 12.06.2016 gs)
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