2016-06-08 13:32:00

EU und Flüchtlinge: „Es braucht keine Revolution“


Für eine bessere europäische Flüchtlingspolitik braucht es keine Revolution, sondern bloß eine Umsetzung des geltenden EU-Rechts. Das sagt der Jesuitenflüchtlingsdienst Berlin im Gespräch mit Radio Vatikan. Schließlich halte das EU-Recht alle notwendigen Mittel bereit, um Flüchtlinge zu schützen und sicher nach Europa zu bringen. Das katholische Hilfswerk fordert vor allem legale Einreisewege für Schutzsuchende, um den Schleppern das Handwerk zu legen. Erst am Dienstag wurde ein wichtiger Schlepper-Boss aus Afrika nach Italien ausgeliefert. Immerhin ein kleiner Erfolg. Ein Gespräch mit Pater Stefan Kessler, Referent für Politik und Recht beim Jesuitenflüchtlingsdienst in Berlin.

Der Jesuitenflüchtlingsdienst (JRS) und die europäische Caritas kritisieren eine Politik der Abschreckung, zu der sie auch den EU-Türkei-Deal zählen. Diese Politik treibe Menschen in die Hände von Schleppern, heißt es in einer gemeinsamen Stellungnahme am Mittwoch. Allein in einer Woche seien 1.000 Flüchtlinge beim Fluchtversuch übers Mittelmeer gestorben. Dabei hat die EU alle Möglichkeiten und Werkzeuge im EU-Recht, um das zu verhindern. Etwa das Resettlement oder Erteilung von Visa für Schutzsuchende zur legalen Einreise.

„Es gibt zahlreiche Möglichkeiten, sie müssen alle nur genutzt werden. Wir fordern ja nicht die Revolution, sondern eine kohärente Politik, die das, was es bereits gibt, zusammenführt.“

Italien, wo nach der Schließung der Balkanroute wieder mehr Flüchtlinge ankommen, plant neben neuen Hotspots und mehr Abschiebehaftplätzen für Flüchtlinge auch EU-Gelder in Höhe von 500 Millionen Euro für Hilfsprojekte in Krisenländern in Afrika. Kessler sieht das eher kritisch.

„Ich glaube nicht, dass Geld allein eine Stabilität in bestimmten Herkunftsländern herstellt. Hier geht es vor allem um die Frage, wie gehe ich mit korrupten und menschenrechtsverletzenden Diktaturen wie in Eritrea um. Wie gehe ich mit von Bürgerkrieg und Gewalt geschüttelten Ländern wie Nigeria um. Das ist alles mit Geld nicht zu stabilisieren. Da braucht es andere Mittel aus der Außenpolitik, aus der Verteidigungspolitik und vor allem aus der Wirtschaftspolitik.“

Kessler weist darauf hin, dass rund 80 Prozent der Menschen, die aus ihren Herkunftsländern fliehen in der Nähe, zumeist in den Nachbarstaaten der Herkunftsländer bleiben. Auch wenn es legale Zugangswege nach Europa gäbe, hieße das nicht, dass ein exorbitant großer Teil dieser Menschen wirklich nach Europa kommen würde. Es würde aber verhindern, dass Schlepper sich am Leid dieser Menschen eine goldene Nase verdienen, meint Kessler.

„Um es brutal auf den Punkt zu bringen, werde ich als Schlepper bei jeder Verschärfung des europäischen Gesetzeslage eine Champagnerflasche öffnen, weil ich dann einen Grund habe, meine Preise nach oben zu treiben. Wohl wissend, dass die Menschen jeden Preis werden zahlen müssen, um in Sicherheit zu gelangen. Die Europäische Union macht ja gerade das Geschäft der Schlepper, wenn sie die Zugangsmöglichkeiten beschränkt. Wenn sie wirklich Schlepper bekämpfen will, dann muss sie mehr legale Zugangswege schaffen.“

Eine weitere Forderung von Caritas und JRS an die EU ist eine Erleichterung des Familiennachzugs. Rund 500.000 Menschen könnten so noch zusätzlich zu den Flüchtlingen nach Deutschland kommen. Der Vorteil?

„Die Erleichterung des Familiennachzugs ist die einzige Möglichkeit, um diesen Menschen auch eine Integration in Deutschland zu ermöglichen. Wenn ich ständig in Sorge um meine Angehörigen, um meine Mutter, meine Schwester, die noch in Gefahr sind, dann kann ich mich trotz eines sicheren Aufenthaltsstatus gar nicht auf die Integration konzentrieren. Die kämen auch nicht alle auf einen Schlag, sondern über einen gewissen Zeitraum verteilt. Das ist machbar, gerade auch angesichts der tollen Hilfsbereitschaft Ehrenamtlicher.“

(rv 08.06.2016 cz)








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