2016-05-27 09:57:00

Tod eines großen Kardinals


Es ist nicht nur der älteste Kardinal, der da am Donnerstag im norditalienischen Bergamo gestorben ist – obwohl auch das schon beeindrucken kann: Immerhin hundert Jahre ist Loris Capovilla alt geworden. Aber viel wichtiger und interessanter ist seine Biografie. Denn Capovilla war einst der Privatsekretär von Johannes XXIII. und bis in jüngste Zeit so etwas wie der Lordsiegelbewahrer des heiligen Konzilspapstes.

Geboren in der Nähe von Padua 1915, hatte Capovilla 1940 in Venedig die Priesterweihe empfangen. Während des Zweiten Weltkriegs war er Militärkaplan, danach gab er die Kirchenzeitung des Erzbistums Venedig heraus, die „Stimme von San Marco“. In dieser Funktion lernte er Angelo Giuseppe Roncalli kennen, als dieser 1953 zum Patriarchen von Venedig ernannt wurde. Capovilla wird sein Privatsekretär – und soll von da an Roncalli nicht mehr von der Seite weichen, auch als dieser 1958 zum Papst gewählt wird.

Capovilla erlebt nicht nur aus der Nähe die historische Öffnung im Vatikan nach dem Pontifikat von Pius XII. mit. Er wird in einer oft schwierigen, ja feindseligen Umgebung zu einem engen Vertrauten von Papst Johannes, wie sich aus dessen Aufzeichnungen ergibt. Und er gewinnt durchaus auch Einfluss auf dessen Politik.

„Dass sich die Beziehungen zwischen Israel und der Kirche verändert haben, ist vor allem dem Geschick zu verdanken, mit dem es Capovilla gelang, an allen Filtern vorbei (den französischen jüdischen Historiker) Jules Isaac direkt mit dem Papst sprechen zu lassen“, notiert der Kirchenhistoriker Alberto Melloni. „An Capovilla ging der Brief von Bischof (Pietro) Pavan, aus dem dann später „Pacem in terris“ hervorging“, die große Friedensenzyklika des Roncalli-Papstes. Er ist es, dem Papst Johannes diesen Satz diktierte – „Nicht das Evangelium ändert sich, sondern wir fangen an, es besser zu verstehen“ –, in dem wir die ganze Unterordnung der Lehre unter die Pastoral haben, nach neun Jahrhunderten. Er ist es, der am Pfingstabend 1963“ nach dem Tod von Papst Johannes XXIII. „im Sterbezimmer das Licht anmacht“, eine Geste, die weltweit wahrgenommen wird.

Was tun mit einem solchen Papstsekretär, wenn ein neuer Bischof den Stuhl des Petrus besteigt? Paul VI. behält Capovilla zunächst bei sich im Apostolischen Palast – auch weil Johannes, entgegen allen Gepflogenheiten, seine zahlreichen Papiere und Aufzeichnungen allesamt Capovilla hinterlassen hat. Auch ernennt Paul Capovilla zum Konzilsberater und später zum Erzbischof von Chieti.

Doch 1988 – da ist längst das Pontifikat von Johannes Paul II. angebrochen – zieht sich Capovilla in den Ruhestand nach Sotto il Monte zurück, also in den Geburtsort von Papst Johannes. Hier betreut er das Roncalli-Geburtshaus und gibt die Schriften des Konzilspapstes heraus, vor allem das geistliche „Tagebuch einer Seele“, das das Papsttum (eine Formulierung Mellonis) „zum ersten Mal seit Gregor dem Großen beim Buchhändler wieder ins Spiritualitäts-Regal bringt“. In Büchern, Interviews und Gesprächen verteidigt Capovilla das Erbe „seines“ Papstes, ungeachtet der jeweiligen vatikanischen Konjunktur. Im Jahr 2000 kann er auf dem Petersplatz an der Seligsprechung von Johannes XXIII. teilnehmen.

Im Februar 2014 erhebt Papst Franziskus ihn schließlich in seinem ersten Konsistorium zum Kardinal; Titelkirche wird Santa Maria in Trastevere. Wegen seines biblischen Alters kann Capovilla zum Konsistorium nicht nach Rom reisen, darum lässt ihm der Papst den Kardinalsring in Sotto il Monte überreichen. „Nach so vielen Manövern und Intrigen gegen ihn wirkt diese Kardinalserhebung mehr als Wiedergutmachung denn als Anerkennung“, kommentiert Melloni. Eine Genugtuung ist es für Capovilla auch, dass Johannes XXIII. durch Papst Franziskus feierlich heiliggesprochen wird.

Mit dem Tod Lori Capovillas besteht das Kardinalskollegium nun aus 213 Mitgliedern. Davon wären derzeit 114 berechtigt, an einer Papstwahl teilzunehmen.

(rv/repubblica 27.05.2016 sk)








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