2016-05-09 09:34:00

Nahost: „Die Gewalt war viel schlimmer als erwartet“


Erneute Gewalt in Gaza, Hamas-Raketenangriffe in Richtung Israel, die Luftwaffe fliegt Vergeltungsschläge: Hört sich alles eigentlich an wie immer und schockiert keinen mehr. Ist ja auch weit weg. Aber wenn man in Israel oder dem Westjordanland selbst arbeitet, dann hören sich solche Nachrichten ganz anders an. Irene Benitez Moreno ist das so gegangen: Die Wienerin, die gebürtig aus Kolumbien stammt, hat dieses Frühjahr als Menschenrechts-Beobachterin in Hebron verbracht.

Hebron ist Westjordanland: Palästina, aber mit vielen israelischen Siedlern, rund um das sogenannte Patriarchengrab. Im Interview mit der Nachrichtenagentur kathpress berichtet Moreno von einem unglaublich großen Gewaltpotenzial in der Region, das wenig Hoffnung auf eine positive Zukunft mache.

Seit 2010 unterstützt der Ökumenische Rat der Kirchen in Österreich aktiv Friedensbemühungen im Heiligen Land. Im Rahmen der Beteiligung am sogenannten „Ökumenischen Begleitprogramms in Palästina und Israel“ des Weltkirchenrates werden Freiwillige entsandt, die sich zusammen mit Friedensaktivisten aus aller Welt für ein Ende der Gewalt und ein friedliches und gerechtes Zusammenleben von Palästinensern und Israelis einsetzen. So kam Moreno an die sogenannten Checkpoints: Teil eines fünfköpfigen Teams, das die Lage beobachtet, um Gewalt einzudämmen und einen möglichst respektvollen Umgang des israelischen Militärs mit den Zivilisten zu gewährleisten.

„Die Stimmung an den Checkpoints ist unglaublich aggressiv und emotional aufgeladen“, so Moreno. An den vom israelischen Militär bewachten Kontrollstellen müssten die Zivilisten oft stundenlang warten, bis sie diese passieren können. Alleine dieser Umstand mache einen geregelten Alltag für die Menschen in Hebron unmöglich.

Als Beobachterin habe man zwar rechtlich keinerlei Befugnisse, bei Menschenrechtsverletzungen einzuschreiten, aber allein durch die Anwesenheit könne man schon einiges erreichen, zeigte sich Moreno überzeugt. In persönlichen Gesprächen mit Palästinensern habe sie außerdem eine unglaubliche Dankbarkeit für ihre Tätigkeit erfahren: „Das Feedback von der Bevölkerung war unheimlich gut, sie grüßen dich freundlich, erzählen dir ihre Geschichte und wollen selbst alles von dir erfahren.“ Von Seiten der israelischen Soldaten sei die Situation ambivalent gewesen: Während manche durchaus freundlich und kooperativ waren, seien andere ablehnend bis aggressiv aufgetreten.

Besonders das Los der Schulkinder erschüttert

Besonders das Schicksal der Schulkinder, die täglich die Checkpoints passieren müssen, habe sie erschüttert. Diese würden bereits auf ihrem Schulweg von den Soldaten drangsaliert. Dies beginne mit wüsten Beschimpfungen und gehe bis hin zu Schlägen und Rempeleien. „Die Gewalt war viel schlimmer, als ich es erwartet hatte. Das hat mich doch sehr getroffen“, berichtet Moreno. Trotzdem bereue sie es nicht, an dem Einsatz teilgenommen zu haben. Die Kultur- und Sozialanthropologin hatte sich bereits während ihres Studiums besonders mit Konfliktforschung auseinandergesetzt. Einen solch tiefgreifenden Konflikt unmittelbar mitzuerleben, sei eine unglaublich starke und schockierende Erfahrung gewesen, so Moreno.

Die Menschen vor Ort würden mit dem Konflikt alleine gelassen, und ohne Hilfe von neutraler Seite sehe sie keinerlei Chance auf eine friedlichere Zukunft in der Region, sagte die Friedensaktivistin: „Es wurden in den Jahrzehnten wechselseitig so viele Ungerechtigkeiten begangen, dass die Bevölkerung mittlerweile viel zu sehr emotionalisiert ist.“ Besonders die internationale Gemeinschaft habe durch die ihre von Eigeninteressen geleitete Nahostpolitik in den vergangenen Jahren immer wieder Öl ins Feuer gegossen, anstatt an einer echten Lösung des Konflikts mitzuarbeiten. Eine Mitschuld an der Situation sieht sie auch am internationalen Diskurs über das Thema. „Ich würde mir wünschen, dass die Debatte mehr in die Tiefe geht und nicht nur einseitig an die Sache herangeht“, beklagt Moreno.

Friedensprojekt seit 2002

Das „Ökumenische Begleitprogramm in Palästina und Israel“ ist eine Organisation des Weltkirchenrates mit Sitz in Genf. Es setzt sich vor Ort für ein friedliches Zusammenleben zwischen Palästinensern und Israelis ein. Seit seiner Gründung im Jahr 2002 haben sich bereits mehr als 1.500 Freiwillige aus aller Welt an verschiedenen Orten in Israel und Palästina für den Frieden eingesetzt.

(kap 09.05.2016 sk)








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