2016-04-28 11:08:00

Venezuela am Abgrund: „Die Leute haben Angst“


In Venezuela gehen die Lichter aus: buchstäblich. Wegen der schweren Energiekrise ist die Arbeitswoche der im öffentlichen Dienst Beschäftigten auf zwei Tage zusammengeschnurrt. Man könnte darüber schmunzeln, wenn die Lage nicht so verzweifelt wäre. Ein Land bricht zusammen. Seit Montag haben die Haushalte in den zehn bevölkerungsreichsten Bundesstaaten nur noch wenige Stunden am Tag Strom.

Der französische Priester Georges Engel arbeitet seit dreizehn Jahren in einer Pfarrei in Caracas; er erlebt mit, was die Menschen angesichts der Krise fühlen. „Die leiden sehr darunter! Zum einen, weil es schwierig ist, an Medikamente oder Lebensmittel heranzukommen. Es kann Stunden dauern, bis man schließlich ein Hühnchen oder etwas Zucker ergattert. Grundlegende Medikamente sind überhaupt nicht mehr zu haben. Wer zum Beispiel Krebs hat, bleibt ohne Medikamente. Im Augenblick gibt es ja die Zika-Epidemie, aber Medikamente dafür lassen sich nicht finden.“

Die Stimmung unter den Menschen in seiner Pfarrei werde immer aggressiver; es komme manchmal zu einem Handgemenge und zu Gewalt, wenn jemand sich in einer Warteschlange vordrängelt, so der Priester. Er fürchte, so sagt er im RV-Interview mehrmals, eine „Explosion“. „Wissen Sie, die Lage war schon vor zwei Jahren schwierig. Aber in diesen letzten beiden Jahren ist es noch schlimmer geworden, und seit im letzten Dezember das Parlament an die bisherige Opposition gegangen ist, kann man sich wirklich fragen, ob nicht die Regierung alles versucht, um eine Explosion herbeizuführen.“

Das Militär stehe ja auf der Seite Maduros: „Die Soldaten müssen nicht Schlange stehen, die haben alles. Die essen, kaufen Autos usw. Er hat alles getan, um das Militär auf seiner Seite zu haben!“

Pater Georges Pfarrei liegt im Barrio „23 de Enero“ der venezolanischen Hauptstadt. Hier war eines der Machtzentren von Hugo Chavez, dem vor drei Jahren verstorbenen Präsidenten. Der begnadete Populist hatte das Land nach seinen Vorstellungen zu einer „Bolivarischen Republik“ umgemodelt. „In meiner Pfarrei wählten die meisten bis vor zwei Jahren Chavez bzw. die Mehrheitspartei. Heute sind sie gegen die regierende Partei!“ Und das liegt an der schweren Krise Venezuelas. „Es gibt die Krise natürlich wegen der zurückgehenden Öl-Einnahmen, aber vor allem steckt die kommunistische Ideologie hinter der Krise. Alle produktiven Unternehmen sind von Chavez verstaatlicht worden; dazu kommt kräftige Korruption bei den Machthabern.“

In dieser verfahrenen Lage ist die Kirche eine der letzten Einrichtungen, in die die Menschen im Land noch etwas Vertrauen setzen. Die Kirche würde gerne wieder alle verfeindeten Gruppen, vor allem Präsident Maduro und das von der Opposition dominierte Parlament, an einen Runden Tisch bringen. Das sagte der Vorsitzende der Bischofskonferenz, Diego Padrón, vor ein paar Tagen in „Radio Occidente“ aus Mérida.

„Schon mehrmals hat die Bischofskonferenz in Dokumenten oder Erklärungen darauf aufmerksam gemacht, dass der Weg, der zu Lösungen für unsere Probleme in Venezuela führt, nur der Dialog sein kann. Dialog zwischen Regierung, Opposition und den verschiedenen Institutionen des Landes. Leider ist ein solcher nötiger Dialog bisher nicht voll verwirklicht worden; es gab zwar einen Anlauf dazu, aber er blieb stecken. Echter Dialog führt nun mal zu Änderungen, zu Resultaten!“ Das hört sich so an, als wären nicht alle Teilnehmer des zusammengebrochenen Dialogs wirklich an Ergebnissen interessiert gewesen. Tatsächlich hatte sich das Regime Maduro am Runden Tisch als völlig unbeweglich erwiesen.

Eine richtiggehende Vermittlung der Kirche zwischen Maduro und dem Parlament schließt Bischof Padrón aus. „Das Wort Vermittler hat, wenn es um Dialog geht, einen sehr spezifischen, technischen Sinn. Solche Vermittler wollen wir nicht unbedingt sein – aber doch „facilidadores“, also Ermöglicher des Dialogs zwischen den verschiedenen Institutionen des Landes und der Regierung. Wir werden am Monatsende ein Treffen der Bischöfe haben, für die Arbeit in Kommissionen, und dabei werden wir die Lage des Landes und die Antwort der Kirche darauf besprechen.“

Der Bischof weist darauf hin, dass Papst Franziskus die Situation in Venezuela sehr genau verfolgt – und er hofft, der lateinamerikanische Papst könnte vielleicht selbst nach Caracas kommen. „So wie es schon früher einen Papstbesuch in Venezuela gegeben hat und so wie dieser Papst konkret einige Länder besucht hat, die sehr nah an uns liegen – Kuba vor allem –, so hofft das venezolanische Volk auch auf eine Papstreise zu uns! Dem Papst geht es ja immer darum, die Christen in verschiedenen Ländern auf ihrem Weg zu unterstützen, und wir in Venezuela legen gerade einen sehr schwierigen Weg zurück – also, da würde uns eine solche Visite sicher helfen. Allerdings hängt eine Papstreise von vielen Faktoren ab – auch davon, dass die Regierung dazu bereit wäre, ihn zu empfangen.“

Hört man allerdings Pater Georges Engel zu, dann hat man nicht den Eindruck, als wäre er jetzt in erster Linie an einem Papstbesuch interessiert. Er sieht die Kirche des Landes einigermaßen unter Beschuss. „Die Kirche Venezuelas hat zum Glück einen Kardinal, der für die Christen und für den Frieden im Land kämpft und der gleichzeitig offen anprangert, was falsch läuft. Dagegen insinuiert die Regierung, die Kirche stehe nur im Dienst der Bourgeoisie und ausländischer Interessen. Die Leute haben Angst. In meinem Bezirk sind die Colectivos sehr präsent: bewaffnete Brigaden, die Chavez aufgestellt hat. Man muss sehr vorsichtig sein.“

(rv 28.06.2016 sk)








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