2016-04-19 14:04:00

Flüchtlinge: „Barrieren bringen gar nichts“


Rund 400 neue Opfer hat die gefährliche Fahrt über das Mittelmeer, die verzweifelte Menschen auf ihrer Flucht vor Krieg, Hunger und Gewalt unternehmen, an diesem Montag gefordert. Gleich vier vollbesetzte Boote, die von der ägyptischen Küste Richtung Süditalien aufgebrochen sind, sollen auf hoher See gekentert sein, genaue Informationen über das Unglück und seine Opfer gibt es bislang noch nicht. Christopher Hein ist Gründer und politischer Berater des Vorstands des Italienischen Flüchtlingsrates. Wir haben mit ihm über das erneute Anschwellen der Flüchtlingsbewegungen über die unsichere Route des Mittelmeeres gesprochen und ihn nach dem Sinn und Nutzen von Mauern und geschlossenen Grenzen gefragt.

„Meiner Ansicht nach – und das hat auch die Geschichte in Europa und in anderen Teilen der Welt gezeigt, erschweren solche Barrieren nur die Reise von Asylbewerbern und Flüchtlingen, ohne sie wirklich aufzuhalten. Wenn man sich vorstellt, dass die meisten dieser Menschen 3.000 Kilometer weit durch die Saharawüste gegangen sind und dass sie dann ihr Leben aufs Spiel gesetzt haben, um über das Mittelmeer nach Europa zu kommen – die werden sich von ein paar Grenzsoldaten oder Grenzpolizisten an der österreichischen Grenze sicherlich nicht davon aufhalten lassen, dorthin zu gehen, wo Familienmitglieder auf sie warten. Das wird die Zahlen nicht reduzieren, sondern vielmehr neue Risiken und Gefahren mit sich bringen und die Entstehung innereuropäischer Schlepperbanden begünstigen.“

Das Ansteigen der Flüchtlingsströme über das Mittelmeer habe viele und komplexe Ursachen. Darunter sei die Angst der Schlepper und Flüchtlinge, dass mit der Einheitsregierung in Libyen und den Abkommen, die diese mit der EU schließen könnte, um Aufbrüche von der Küste zu unterbinden, Fluchtwege abgeschnitten werden könnten. Das Wüten des Islamischen Staates im Osten des Landes tue ein Übriges, dass Flüchtlinge vom Horn von Afrika lieber direkt von Ägypten den Seeweg nähmen, als den Landweg durch das vom Islamischen Staat verseuchte Gebiet. Auch die günstigen Wetterbedingungen spielten letztlich eine Rolle. Um des Problems grundsätzlich Herr zu werden, brauche es ein mutiges Umdenken in der Politik. Die Plätze, die die Europäische Union angesichts der Dimensionen des Problems für Asylsuchende zur Verfügung stelle, sei geradezu lächerlich gering, betont Hein:

„Der wichtigste Schritt wäre, ein wirkliches europäisches Programm der humanitären  Aufnahme von Flüchtlingen und Asylbewerbern zu machen, damit die Menschen eine Alternative dazu haben, sich in die Hände der Schmuggler zu begeben und ihr Leben zu riskieren oder zu verlieren. Wenn wir es ernst meinen damit, dass wir das Schmugglerwesen bekämpfen wollen und die Zahl der Toten im Mittelmeer verringern wollen, dann müssen wir Brücken schlagen, damit es den Menschen unter bestimmten Voraussetzungen möglich ist, hier auf legale Weise anzukommen. Das wäre der Weg, der einzuschlagen wäre, aber davon sehe ich bislang in den Plänen der EU und den Vorschlägen des italienischen Ministerpräsidenten Matteo Renzis leider nichts konkretes.“

Noch habe das EU-Türkei-Abkommen kein Ansteigen der Flüchtlingsströme aus dem syrischen oder irakischen Raum über die Mittelmeer-Route gezeitigt, denn die Flüchtlinge, die diesen Weg wählten, stammten vor allem aus Afrika. Doch der Hauptgrund für die Flüchtlingsströme ist die nach wie vor instabile Situation in den betroffenen Ländern. Der Flüchtlingsrat selbst habe seine Projekte in Libyen trotz der unsicheren Lage soweit es ging aufrecht erhalten – denn die Hilfe vor Ort sei letztlich die wirksamste Waffe gegen den Exodus der verzweifelten Menschen.

(rv 19.04.2016 cs)








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