2016-04-01 11:23:00

D: Arme sterben früher


Arme Menschen haben weniger Chancen auf ein langes Leben als wohlhabende. Das zeigt eine Daten-Auswertung, die die Bundestagsabgeordnete Sabine Zimmermann von der Linkspartei vorgenommen hat. Peter Neher ist Präsident des Deutschen Caritasverbands. Er spricht sich im Interview mit dem Domradio dafür aus, schon bei jungen Menschen für bessere Chancen zu sorgen.

„Zunächst einmal gibt es einen politischen Konsens, dass gesundheitliche Chancengleichheit ein Menschenrecht ist, das ist unbestritten. Es ist, glaube ich, richtig, dass neben dem individuellen Verhalten auch andere Faktoren von Bedeutung sind, die den Unterschied ausmachen. Ich nehme mal das Wohnumfeld oder den Arbeitsplatz, soziale Beziehungen, Bildungsstand: Wer zum Beispiel an einer lauten Straße wohnt oder eine körperlich anstrengende Arbeit hat, der wird viel eher Auswirkungen auf seine Gesundheit bemerken. Prekäre Beschäftigungsverhältnisse mit viel Unsicherheit und Zukunftssorgen ziehen gesundheitliche Belastungen oder das Gefühl der Perspektivlosigkeit nach sich. Gleiches gilt für Menschen, die eine Arbeit haben, die sie nicht erfüllt, die eher mühsam ist. Mit diesen Gründen hängt es zusammen, dass die Unterschiede zwischen Menschen mit besseren und schlechteren Lebensverhältnissen in einem Maße auseinanderfallen, das im Grunde nicht akzeptabel ist.“

Seit Sommer 2015 gebe es ein Präventionsgesetz, das eine Intervention bereits in frühen Lebensstadien vorsehe. Doch da es erst seit kurzer Zeit in Kraft sei, könne man über die Wirkung und selbst die Umsetzung des Gesetzes noch wenig sagen. Es sei vor allem wichtig, „dass das Lebensumfeld stärker in den Blick genommen wird – und das schon ganz früh: In Kindergärten und Schulen, was gesundes Essen angeht, oder dass Präventionsmaßnahmen am Arbeitsplatz entsprechend praktiziert werden, Früherkennungsuntersuchungen von Kindern und Jugendlichen. Diese Maßnahmen zeigen in die richtige Richtung, können aber nicht erzwungen werden. Daher brauchen sie noch einiges an Initiative, damit sie lebensnah sind und Menschen in schwierigen Lebensverhältnissen erkennen, wie gesünderes Leben gehen kann und so bessere Lebensperspektiven bekommen."

Statistisch gesehen seien vor allem Männer gegenüber Frauen schlechter gestellt. Dafür gebe es mehrere Gründe, so Neher: „Männer scheinen sich für gesundheitliche Zusammenhänge weniger zu interessieren. Sie machen auch Kummer und Sorgen lieber mit sich selber aus, fressen es gerne in sich hinein. Aber auch körperlich haben sie Berufe, wo sie stärker gefordert sind, etwa im Straßenbau oder im Baugewerbe.“ Dies seien durchaus Faktoren, die bei dem deutlichen Unterschied zwischen Männern und Frauen eine Rolle spielten.

Deutschland stehe im internationalen Vergleich zwar besser da als viele andere. Doch das sei noch lange kein Grund dafür, zufrieden zu sein, betont Neher: „Wenn es dermaßen große Unterschiede zwischen Gutverdienern und Schlechtverdienern gibt, darf uns das nicht gleichgültig sein, unabhängig von der Situation in anderen Ländern. Wichtig scheint mir, deutlich zu machen, dass Gesundheit ein Zusammenspiel von vielen Faktoren ist: Arbeitsbedingungen, sprachliche Kenntnisse und der Bildungsstand spielen eine erhebliche Rolle für Lebensperspektiven. Arbeit ist ganz entscheidend, aber es muss Arbeit sein, die einen erfüllt. Wir müssen aufpassen, dass wir Menschen in prekären Lebenslagen nicht leichtfertig abwerten und sagen: „Die sind ja selber schuld – Alkoholkonsum, Zigarettenkonsum“. Denn wir wissen, dass diese Themen nicht an Schichten und Einkommensgruppen gebunden sind. Aber offenbar haben Menschen mit höherem Verdienst und einem besseren Arbeitsplatz andere Formen, das zu kompensieren. Darum: Es auf Alkohol oder Rauchen zu reduzieren, würde an der Realität vorbei gehen. Ich glaube, es ist das gesamte Lebensumfeld und da müssen wir früh beginnen.“

(domradio 01.04.2016 cs)








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