2016-03-31 10:41:00

Türkei: „Verstaatlichung von Kirchen ist kein Drama“


Die türkische Regierung hat alle Kirchen in der historischen Altstadt von Diyarbakir in Südostanatolien verstaatlicht. Damit ist in der mesopotamischen Metropole, die auf eine lange christliche Tradition zurückblickt, nun keine einzige Kirche mehr zum Gottesdienst geöffnet. Doch die Verstaatlichung hat auch Vorteile, findet Nikolaus Wyrwoll, Direktor des Ostkirchlichen Instituts in Istanbul. Denn ohne staatliche Hilfe würden viele der Kirchen mangels Nutzung verfallen.

Verstaatlicht werden soll in Diyarbakir die armenische Surp-Giragos-Kirche, bei der es sich um eine der größten Kirchen im Nahen Osten handelt, sowie je eine protestantische, chaldäische, syrisch-orthodoxe und armenisch-katholische Kirche. Laut Behörden dient die Verstaatlichung dem Schutz und dem Erhalt der historischen Bauten. Denn die „Kurdenmetropole“ ist in den vergangenen Monaten Schauplatz von schweren Gefechten zwischen der kurdischen Bevölkerung und türkischem Militär geworden. Christen gibt es in der Stadt ohnehin kaum noch welche, weiß Nikolaus Wyrwoll. „Christen vor Ort gibt es nicht, außer denen, die jetzt wieder zurückkommen. Aber die verantwortlichen Christen für Diyarbakir, denen diese Kirchen gehören, die sitzen in Istanbul. Am Mittwoch hatten sie Bischofskonferenz und die reagieren gelassen und sagen: ‚Jetzt schauen wir mal, wenn der Staat da mitmacht, umso besser. Gerade jetzt, wo das mit den PKK-Komplikationen wieder losgeht.“

Die türkische Regierung hatte kürzlich angekündigt, die von den Kämpfen verwüstete Altstadt von Diyarbakir komplett neu aufbauen und restaurieren zu wollen. Diyarbakir werde „so schön wie Toledo“, hatte Ministerpräsident Ahmet Davutoglu laut Medienberichten angekündigt. Derzeit wird in Diyarbakir allerdings immer noch gekämpft. Außer den Kirchen sind auch 6.300 weitere Grundstücke in der Altstadt betroffen, die nach monatelangen Kämpfen zwischen kurdischen Rebellen und türkischen Sicherheitskräften schwer zerstört ist. Unter den eingezogenen Bauten sind demnach auch Hotels und Kulturdenkmäler.

Weil die christlichen Gemeinden und Kirchen in der Türkei keinen geregelten Rechtsstatus haben, waren die betroffenen Kirchen bisher überwiegend im Besitz von zweckgebundenen Stiftungen. Die Leiterin des Kulturamtes der Stadt Diyarbakir, Nevin Solukaya, rief die Stiftungen auf, Rechtsmittel gegen die Verstaatlichung einzulegen. Wyrwoll aber sieht die Vorteile des Schritts der Behörden, die Kirchen zu verstaatlichen: „Es ist ganz gut, weil die Gemeinden haben nicht die Kraft, die Kirchen zu erhalten“, so der Ostkirchenexperte. „Die sind geschlossen und verfallen so wie viele Synagogen in Izmir. Es ist natürlich gut, wenn der Staat in dieser großen Kampagne der Erhaltung von alten Kirchen als Museum auch diese Kirchen in den Blick nimmt. Wie lange das dauert und wie weit das geht, das muss man sehen.“

Rund 100.000 Christen leben in der Türkei, der Bevölkerungsanteil liegt bei etwa 0,2 Prozent. Durch den Bürgerkrieg in Syrien und dem Irak wächst jedoch ihre Zahl. Die meisten Christen leben in der Region von Istanbul, aber auch in Anatolien kommen Christen an. Auch sie, die noch weniger zum Erhalt und der Instandsetzung von Kirchen beizutragen haben, könnten von den staatlichen Restaurierungen profitieren, so Wyrwoll. „Wenn jetzt wieder mehr Christen kommen, ist das gut, wenn die Kirchen restauriert werden oder wieder neu gemacht werden. Das ist an sich ideal, dass sich der Staat darum kümmert und das nicht den Gemeinden überlässt und denen, die zurückkehren und auch nicht so viel Geld und Kraft haben, um alles wieder aufzubauen.“

Dass der islamisch geprägte Staat die Kirchen in Besitz nimmt, sieht Wyrwoll nicht als Anmaßung. Vielmehr sei die von der Regierung unter Recep Tayyip Erdoğan beförderte Rückkehr des Islam in die türkische Politik und Gesellschaft in gewisser Weise auch ein Befreiungsschlag für das Christentum. Zumindest, wenn man die Situation mit der laizistischen Zeit unter Mustafa Kemal Atatürk vergleicht: „Bei den Minderheiten merkt man es am deutlichsten, weil wir so wenige sind“, sagt Wyrwoll. „Da sieht man eben, wie die Kirchen so fantastisch restauriert sind und wie die Leute kommen und die Prozessionen wieder über die Straßen gehen. Das war ja alles verboten unter Atatürk. Also im Vergleich zu der Atatürkzeit - ich bin ja seit 1960 regelmäßig hier - ist das einfach ein Paradies mittlerweile.“

 

(rv/kna 31.03.2016 cz)








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