2016-03-18 09:21:00

Flüchtlinge im Libanon: Den Kindern helfen, Kind zu sein


Die geschlossene Balkanroute und die Szenen am Grenzübergang Idomeni in Griechenland lassen in den Hintergrund rücken, dass die meisten Flüchtlinge sich gar nicht auf den Weg nach Europa machen, sondern in ihrer Heimatregion bleiben. Aus Syrien wie auch aus dem Irak leben weit über eine Million Menschen in einem Land, das selber nur 4,5 Millionen Einwohner hat, im Libanon. Viele Flüchtlinge sind Kinder, die dringend Bildung und Ausbildung brauchen. Und weil der Libanon alleine das nicht schaffen kann, springen NGOs ein. Eine davon ist der Jesuitenflüchtlingsdienst JRS, dessen Leiter in Beirut, Pater Stefan Hengst, von den wachsenden Schulprojekten für die Kinder-Flüchtlinge berichtet.

Im Augenblick arbeitet der JRS im Libanon an vier Orten, dabei sei vor allem das Bekaa-Tal sehr wichtig, berichtet Hengst. An jedem dieser Orte ist eine Schule und ein Kindergarten. „Wir haben ungefähr 3.000 Kinder, die uns täglich dort besuchen, teilweise in zwei Schichten, am Morgen und am Abend. Da gibt es Sprachunterricht, Englisch und Französisch, teilweise Hausaufgabenhilfe, im Kindergarten sind das natürlich andere Aktivitäten wie Kunst, Musik und Sport.“

Angefangen hat man 2012 mit Lebensmittelhilfen, schnell kam eine Schule hinzu, dann eine zweite, die aber aufgegeben werden musste. Aber gewachsen sei das Projekt immer, vor allem im vergangenen Jahr mit großen Schritten, man habe im Bekaa-Tal angefangen, sechs Schulen zu übernehmen.

„In jeder Schule gibt es einen Sozialarbeiter, der sich um die Kinder kümmert, weil wir festgestellt haben, dass viele Kinder aus schwierigen Haushalten kommen. Gerade im Kindergarten, wo die Kinder maximal sechs Jahre alt sind, das heißt alle Kinder sind während des Krieges in eine Fluchtsituation oder eine Situation von Gefahr hinein geboren, was Spuren hinterlässt.“

Viele autistische Kinder habe man, berichtet Pater Hengst, viele Familien mit häuslicher Gewalt, Eltern sind oft nicht in der Lage, ihre Kinder zu unterstützen. Die Menschen brächten ihre Fluchtsituation mit in den Libanon. „Was uns hilft ist, dass wir die Kinder malen lassen und sie über ihre Familien und Erfahrungen berichten lassen. Es werden viele Helikopter gezeichnet, enthauptete Leute, Blut, Waffen, das alles ist sehr, sehr präsent für die Kinder.“ Auch in den Familien spiele der Krieg die überwältigende Rolle. „Im Fernseher oder im Radio ist eigentlich das einzige Programm der Krieg.“

Ganz wichtig sei deswegen der Sozialarbeiter, und auch eine Pädagogik, die auf Lautstärke und Gewalt völlig verzichte. Eltern berichteten ihnen, wie sehr sich die Kinder schon nach wenigen Monaten veränderten, so Hengst, die Gewalt unter den Kindern, immer auch Ergebnis der traumatischen Erlebnisse, nehme ab. „Wir helfen Kindern, wieder Kind zu sein, Abstand zu nehmen von der Gewalt.“ Und was die älteren Kinder angeht: da vermittle man „life-skills“, also Sprachen und Computer, damit Chancen auf dem Arbeitsmarkt entstehen.

 

Heikle Situation Libanon

Weil die Grenzen Europas de facto geschlossen sind, bleiben jetzt die Flüchtlingsfamilien im Land, auch wenn es kaum eine berufliche Perspektive für sie gibt. Den Kinder immerhin bringt das ein wenig Stabilität, erklärt Hengst, „wir haben eine relativ geringe Mobilität der Flüchtlinge im Moment.“

Etwas heikel ist das Thema Religion, berichtet der JRS-Leiter, aber weniger mit den Flüchtlingen, die seien fast alle Muslime. „Im Bekaa-Tal haben wir Kooperationen mit zwei muslimischen NGOs, wir haben da keinerlei Berührungsängste, mit den Muslimen zusammen zu arbeiten. Manchmal ist es einfacher mit denen als mit den Christen.“

Das wiederum liege an der komplexen Lage im Libanon. Das Land – viereinhalb Millionen Staatsbürger - verleihe schon lange keine Staatsbürgerschaften mehr, seit 1948 und den Kriegen im Nahen Osten um die Entstehung Israels habe es immer Flüchtlinge im Land gegeben, die nicht heimisch werden sollten, weil das sonst die politische und religiöse Stabilität im Land gefährdet hätte. „Die Verfassung und die Parteien laufen stark entlang religiöser Grenzen, und wenn auf einmal eine Million extra Sunniten im Land leben, dann verschiebt sich alles. Der Libanon wird niemals den Flüchtlingen die Staatsbürgerschaft geben.“ Die Flüchtlinge blieben also auch heute noch ewige Fremde im Land.

Das Land bemühe sich zwar um die neu ankommenden Menschen, man öffne nachmittags die eigenen Schulen, aber der Libanon kommt schnell an seine Grenzen, berichtet Hengst. Über eine Million Flüchtlinge allein aus Syrien wurden bislang registriert, Schätzungen sprechen aber von mindestens noch einmal einer halben Million weiterer Syrer. „Der öffentliche Bereich ist überhaupt nicht in der Lage, Flüchtlinge aufzunehmen. Wir reden hier von 200.000 bis 400.000 Kindern, die zur Schule gehen sollten. Das kann der Libanon alleine nicht meistern.“

 

(rv 18.03.2016 ord)

 








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