2016-02-16 05:11:00

Mexiko: „In Chiapas hat der Papst alle gewonnen"


Papst Franziskus hat einen Tag seiner Mexikoreise im südlichen Bundesstaat Chiapas zugebracht, der an der Grenze zu Guatemala liegt. Dort feierte er die Messe mit Indigenen und traf sich am Nachmittag mit Familien. Wir fragten unsere Kollegin Gudrun Sailer nach ihren Eindrücken von diesem Tag in Chiapas.

Gudrun Sailer: „Wäre Franziskus im Wahlkampf wie derzeit die US-Präsidentschaftskandidaten, würde ich sagen, er hat sie heute alle gewonnen. Die Leute waren von Haus aus ja schon einmal glücklich, dass ein Papst sie besucht. Chiapas ist Mexikos ärmster Bundesstaat, acht von zehn Kindern dort leben in extremer Armut, der Anteil an Indigenen ist der höchste in Mexiko. Und nun kommt zu ihnen ein Papst, ein Mann, von dem sie wissen, dass er die Armen und die Letzten liebt, einer, der Spanisch spricht und die Messe zusätzlich in drei Indigenensprachen feiert. Die Leute wissen, dass sie höchstwahrscheinlich nie wieder im Leben einen Papst sehen werden, schon gar keinen lateinamerikanischen. Für sie war es Seligkeit, einen solchen Gast zu haben, auf den die Welt blickt.“

Radio Vatikan: Was waren denn seine Kernbotschaften an die Menschen in Chiapas?

Sailer: „Bei der Messe in San Cristobal hat der Papst den Indigenen für ihren Einsatz für die Schöpfung gedankt. Die jungen Leute heute, die in einer Wegwerfkultur großwerden, brauchen die Weisheit eurer Alten, die mit der Natur leben und sie respektieren, hat Franziskus gesagt. Er hat den Umstand kritisiert, dass andere von außen kommen und den Indigenen ihr Land stehlen oder es verseuchen – eine unverhohlene Kritik an Großkonzernen und ihren Helfershelfern in Mexiko. Er hat indirekt eingestanden, dass auch in der Kirche die Indigenen viel zu lange nicht für volle Menschen genommen wurden, wofür er sich ja auch schon einmal entschuldigt hat. Und er hat ihren Blick auf die Befreiung gelenkt, die von Gott kommt, wobei der Papst interessanterweise nicht nur die Bibel zitiert hat, sondern auch ein heiliges Buch der Maya-Kultur, das Popol Vuh, wo es heißt: die Morgendämmerung brach herein über allen Stämmen gemeinsam, das Angesicht der Erde wurde geheilt durch die Sonne. Das ist nicht Synkretismus, was der Papst da gemacht hat, sondern ein geradezu leuchtendes Bild der Inkulturation, also der Tatsache, dass das Evangelium in allen Kulturen der Welt Gestalt annehmen kann.“

RV: Besonders lebendig war das Treffen mit Familien in Tuxtla Gutierrez. Ist da der Funken sofort übergesprungen?

Sailer: „Ja, das war zum ersten Mal, dass der Papst systematisch von seinem vorbereiteten Text abgewichen ist. Er variiert dann Aussagen, die er schon öfter getätigt hat, aber eben noch nie vor Menschen in Chiapas, einem Teil der Welt, wo eben nicht jeder Zugang zu Internet oder auch nur Fernsehen hat und von daher weiß, was der Papst sonst so sagt. Und was sagte Franziskus den Mexikanern: dass auch in der besten Familie einmal die Teller fliegen können, Hauptsache, vor dem Einschlafen versöhnt man sich wieder, sonst wacht man im kalten Krieg auf. Oder folgendes Bild: dass ihm eine von Narben der Treue gezeichnete Familie lieber ist als die dicke Schminke einer kalten kinderlosen Gesellschaft, die sich mit Fernreisen und Parties im Landhaus vergnügt statt an Kinder zu denken. Nebenbei hat Franziskus dabei eine in Europa weitverbreitete Mentalität vorgeführt und abermals den Ausdruck „ideologische Kolonialisierung“ benutzt: die mexikanischen Familien sollen sich doch bitte nicht von solchen Lebensmodellen vereinnahmen, eben kolonialisieren lassen. Das sitzt. Das braucht keine Übersetzung.“

RV: In San Cristobal besuchte der Papst die Kathedrale und hielt kurz zum Gebet am Grab von Bischof Samuel Ruiz inne. Ist damit eine völlige Rehabilitierung dieses Bischofs verbunden, der ja im Vatikan nicht immer wohlgelitten war?

Sailer: „Zunächst, es war ein kurzes Gebet im Vorbeigehen, kein wirklicher Programmpunkt. Aber es ist richtig: Papst Franziskus hat das Grab des Bischofs auf diese Weise geehrt, und das hat er sicherlich mit vollem Bewusstsein getan. Bischof Ruiz hat die Option für die Armen in seinem Episkopat umgesetzt. Die Armen in Chiapas, das meint: die Indigenen, für die hat er sich eingesetzt, damit sie die die befreiende Botschaft Christi erreicht. Franziskus hat sein Wirken spätestens bei der Bischofsversammlung von Aparecida 2007 wahrgenommen, und zwar als segensreich wahrgenommen. Ich meine, der Papst hat tiefe Bewunderung für das Wirken von Bischof Ruiz, weil der in seinem Einsatz für die Indigenen kreative pastorale Wege entwickelte – wie das Franziskus gerne anregt.“

(rv 16.02.2016 gs)








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