2016-01-29 08:32:00

Weltkirchliches Lernen: Kirche sein in Wien à la Philippinen


Wie sieht die Kirche der Zukunft aus? Wie organisiert sich die immer kleiner werdende deutschsprachige Kirche neu? Wie wird Pastoral aussehen? Diese Fragen sind nicht neu, stellen sich aber immer wieder, ob im Erzbistum Wien im Diözesanen Entwicklungsprozess oder im Dialogprozess oder der Synode des Bistums Trier. Antworten darauf müssen aber nicht unbedingt nur bei uns gefunden werden - sie können auch woanders her kommen.

Kirche hatte bislang immer eine Richtung: Vom Zentrum, vom Ursprung Europa aus in die Welt. Dass sich das umgekehrt hat, kann man in vielen Bistümern und Pfarreien sehen, wenn dort Aushilfspriester aus Asien oder Afrika arbeiten. Dass nun aber auch ganz bewusst Hilfe aus anderen Teilen der katholischen Welt für die Ausrichtung der eigenen Pastoral gesucht wird, das ist eher noch neu. Zur Zeit geht das Erzbistum Wien diesen Weg, seit fast zwei Wochen ist eine Gruppe von dort auf den Philippinen, um zu lernen.

Sechzehn Personen vor allem aus der Leitung des Bistums sind vor Ort, berichtet Veronika Prüller-Jagenteufel, Pastoralamtsleiterin des Erzbistums und Teil der Lerngruppe. Sie besuchen auf den Philippinen ein pastorales Ausbildungszentrum, Bukalngtipan, das sich darauf spezialisiert hat, Erfahrungen mit Pfarrei-Organisatioin und pastoralen Initiativen zu reflektieren und weiterzugeben. Erste Kontakte hat es mit der Kirche in Deutschland gegeben, zuerst mit dem Bistum Hildesheim, dann waren Vertreter dieses Zentrums auch in Deutschland selber zu Gast.

Dabei ist neben dem Generalvikar und einem Weihbischof eben die Pastoralamtsleiterin und die Leiterin des diözesanen Entwicklungsprozesses, „es ist gedacht für Leitungspersonen, die sich bestimmte Haltungen und ein bestimmtes Kirchenmodell anschauen“, berichtet Prüller-Jagenteufel. „Es ist als Pilotgruppe gedacht, und dann wird sich während der Reise zeigen, ob sich das bewährt und ob das Erfahrungen sind, die wir mehr Leuten ermöglichen wollen.“ Das Erzbistum Berlin ist zum Beispiel diesen Weg gegangen, von dort aus sind bereits drei Gruppen auf den Philippinen gewesen, um sich die kirchlichen Erfahrungen vor Ort konkret anzuschauen, auch wenn es ein völlig anderer Kontext ist. Verfolgen kann man die Wiener Erfahrungen auch über einen Blog.

Beginn in Hildesheim

Blick zurück: Der Kontakt, berichtet Veronika Prüller-Jagenteufel, war über das Bistum Hildesheim zustande gekommen; dort war Christian Hennecke, Regens des Priesterseminars, auf das Projekt aufmerksam geworden. „Es hat mit einem Projekt von Missio begonnen, ‚Spiritualität und Gemeindebildung’. Dort haben wir uns als Bistum sehr engagiert, es ging um kleine christliche Gemeinschaften, und im Hintergrund stand da die Frage, welche Art von Kirchesein steckt dahinter“, so Hennecke. Der Orden, der das Zentrum betreibe, habe viele Erfahrungen in der Entwicklung von Kirche gesammelt, beginnend in einer Pfarrei und dann später in über dreißig Bistümern auf den Philippinen. „Wir haben festgestellt: Das Spannende bei denen ist, dass wir eine hohe Kompatibilität zu dem entdecken, was wir in unserem Bistum voran gebracht haben und voranbringen wollten.“

Das Team von Bukalngtipan hat Modelle von Kirchenentwicklung vorangetrieben, von denen Kirche in Europa lernen könne, berichtet Hennecke. „Ich erinnere mich, dass wir sie zu einem Symposion bei uns eingeladen hatten. Damals erzählte uns die im Zentrum mitarbeitende Theologin ‚Ihr Deutschen müsst das deutsche Gesicht Jesu finden’. Wir müssen also genau hinschauen, wie unsere Kultur ist und wie sich das Christliche in unserer Kultur zeigt.“

Dort auf den Philippinen hat man, berichtet Hennecke, ein Bistumsmodell entwickelt und gefunden, das es wert ist, weitergegeben zu werden. Die Erfahrungen sollten nicht verloren gehen. „Es ist eine weltkirchliche Lerngemeinschaft, die wir da eingegangen sind,“ so Hennecke.

Das Gesicht Jesu in der eigenen Kultur

Nun ist Manila nicht Hildesheim und auch nicht Wien, es ist eine andere Kultur, eine andere Sprache, eine andere Form von Beteiligung. Was also kann man dort lernen? „Was das Zentrum uns mit auf den Weg gibt, ist weniger eine Kopie einer Pfarrei dort als vielmehr eine Art Grundarchitektur, wie man miteinander Kirche verstehen und dann auch konkret entwickeln kann, zusammen mit den Menschen“, so Hennecke. Ob das auf dem Land oder in der Stadt, ob in Europa oder in Asien ist, sei dann eine Inkulturationsfrage. „Dieser Hintergrund, diese Architektur, die theologisch im Zweiten Vatikanischen Konzil sehr gut gegründet ist, hat uns fasziniert. Dort werden zugleich Spiritualität, Liturgie, Theologie und sehr praktische Methoden in ein Gesamt gegossen.“

Die Bistümer Berlin, Hildesheim und Wien haben Kontakte, Hennecke berichtet aber auch, dass aus Deutschland alleine über 200 Verantwortliche aus der Pastoral dort auf den Philippinen gewesen sind: Erfurt, Dresden, Limburg, Münster, Paderborn, Hamburg und Osnabrück waren dabei. Das sind alles eher Bistümer aus dem Norden, also dort, wo der Katholizismus in der Minderheit und die kirchlichen Strukturen noch stärker dem Wandel unterworfen sind, als das in traditionell katholischen Teilen der deutschsprachigen Kirche der Fall ist.

Kirche der Beteiligung

Und was lernt man nun dort? „Was uns hier angeboten wird hat viel mit Beteiligung zu tun“, berichtet Veronika Prüller-Jagenteufel. Die Menschen verstehen sich als Kirche und tragen das kirchliche Leben, sie wollen sehen, wie das vor Ort gemacht wird, ohne dass da immer ein Hauptamtlicher oder ein Priester steht.

Völlig revolutionär klingt das nicht: Das ist Zweites Vatikanisches Konzil und findet sich auch in jeder Menge Text wieder, den die Kirchen hier bereits verfasst haben, ‚Gemeinsam Kirche sein’ der deutschen Bistümer fällt dazu ein. Also, muss man dazu unbedingt auf die Philippinen fahren? „Nein, man muss dazu nicht unbedingt auf die Philippinen fahren, aber man kann dazu auf die Philippinen fahren. Dort gibt es dieses Institut, das auf diese Ausbildungsvorgänge spezialisiert ist und das für uns ein spezielles Programm entworfen hat.“ Es habe den hilfreichen Effekt, dass man in einer fremden Kultur manches leichter sehen und diskutieren könne, als wenn man zu sehr im eigenen Kontext bleibe, so Prüller-Jagenteufel.

Die Fremdheit hilft also; der Umweg über eine andere Kultur kann den Blick freier machen und dazu beitragen, sich selber und die eigene kirchliche Situation mit etwas Distanz zu betrachten, darin sind sich Veronika Prüller-Jagenteufel und Christian Hennecke einig. Es geht aber nicht so sehr darum, nun abstrakt Konzepte zu erlernen, fügt die Wiener Pastoralamtsleiterin an. „Das Gehen in einen fremden Kontext hat dafür ein großes Potential. Im eigenen Kontext kann man dem ausweichen. Das kann man zwar hier auch, und das klassische Ausweichen ist, zu sagen, dass das bei uns nicht funktioniert. Das stimmt natürlich, unsere Situation ist ganz anders - aber es geht darum, die Haltungen und Zugangsweisen herauszufinden, die wir in der Weltkirche auch gemeinsam haben. Ein markiger schöner Spruch ist uns in der Vorbereitung mitgegeben worden: Es geht nicht darum, irgendetwas zu kopieren, sondern es geht darum, etwas zu kapieren. Also es geht darum, den Effekt der Verfremdung ganz bewusst zu nutzen.“

 

(rv 19.01.2016 ord)








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