2016-01-16 11:26:00

Europa: „Flüchtlingskrise ist Lackmustest für die EU"


Eine Ausweitung der „Willkommenskultur" statt des neuen „Wettbewerbs der Unattraktivität", sichere Einreisemöglichkeiten für Flüchtlinge sowie ihre solidarische Verteilung in Europa: Das fordern rund neunzig Flüchtlingsorganisationen und NGOs, die sich unter dem Dach des „Europäischen Flüchtlingsrates" (ECRE) organisiert haben und derzeit zu einer Tagung in Wien zusammengekommen sind. Sie stellen sich entschieden gegen die herrschende Politik in Europa, hielten ECRE-Vertreter am Freitag bei einer Pressekonferenz in Wien fest. Ein Lob gab es für die Anstrengungen der Kirche, die in der kommenden Woche auch ihren Welttag des Flüchtlings und des Migranten begeht.

„Die Flüchtlingskrise ist der Lackmustest für die EU." Es brauche eine „Koalition der Wohlmeinenden", um die Flüchtlinge zu retten und zugleich Europa zu stabilisieren, so ECRE-Vorstand Karl Kopp von der deutschen Menschenrechtsorganisation „Pro Asyl". Um ein Kollabieren des Systems zu verhindern, müssen „die starken Staaten in Vorleistung gehen" und europäische Gemeinsamkeiten stärken.

Christoph Riedl vom Flüchtlingsdienst der Diakonie erinnerte daran, dass Österreich lange Zeit sehr stolz auf seine humanitäre Tradition gewesen sei - und darauf, ein „sicherer Hafen" für Flüchtlinge gewesen zu sein. Riedl: „Nun zu glauben, man kann mit der Schließung von Grenzen den Flüchtlingsstrom zum Versiegen bringen, ist eine Illusion und wird nur dazu führen, dass es immer mehr Tote auf der Strecke gibt." Riedl warnte davor, dass immer mehr Menschen erfrieren und verhungern werden.

Eine Obergrenze bei der Aufnahme von Flüchtlingen, wie sie ÖVP-Innenministerin Johann Mikl-Leitner vorschlägt, kommt für ihn nicht in Frage: „Es gibt ja auch keine Obergrenze bei fluchtauslösenden Momenten." Derzeit entstehe der Eindruck, dass einige europäische Staaten sich in einem „Wettbewerb der Unattraktivität" befänden. Riedl: „Das ist keine Lösung für Menschen, die auch ihren Tod in Kauf nehmen, wenn sie sich auf die Flucht begeben. Von ein paar Maschendrahtzäunen mehr werden sich diese Menschen nicht aufhalten lassen."

Das Erstaufnahmesystem sei zusammengebrochen: „Es herrscht Chaos und Zufall bei der Auswahl, wer überhaupt noch in Versorgung genommen wird." Das Problem müsse solidarisch gelöst werden. Er forderte neue Schutzmaßnahmen und einen sicheren Zugang nach Europa für Flüchtlinge.

Kirche hilft, Willkommensstruktur zu schaffen

Im Gespräch mit der Agentur Kathpress unterstrich ECRE-Vorstand Karl Kopp die Rolle der Kirche in der Flüchtlingskrise. Er verwies auf die Aufforderung von Papst Franziskus an die Kirche, ihre Häuser für die Flüchtlingsfamilien zu öffnen. Das sei ein wichtiges Signal: „Die Kirche und ihre Wohlfahrtsverbände spielen in Deutschland und Österreich eine vitale Rolle um die Zivilgesellschaft zu stärken und Willkommensstruktur zu schaffen." Diese Struktur beinhalte Verfahrensberatung, Unterbringung und Hilfe bei den ersten Integrationsproblemen. Kopp: „Die Kirche ist ganz zentral in diesem Kontext."

Kritik an ungarischer Lösung

„Ungarn hat gezeigt, wie man so eine Krise am schlechtesten lösen kann." Das sagte Gabor Gyulai vom ungarischen Helsinki-Komitee. Das ungarische Asylsystem sei absichtlich zerstört und durch ein anderes ersetzt worden, welches den Asylsuchenden keinerlei Schutz biete. Durch den Zaun an der ungarisch-serbischen Grenze habe sich die Situation verändert, der Weg der Flüchtlinge führe nun nicht mehr durch Ungarn, sondern in Richtung Kroatien und Slowenien. Dieser Versuch, die Flüchtlinge zu entmutigen, sei in Ungarn von einer fremdenfeindlichen Kampagne begleitet worden. Von den Steuerzahlern finanziert, habe die ungarische Regierung die Botschaft verbreitet, dass die Flüchtlinge nur illegale Migranten und vielleicht sogar Terroristen seien. Von 177.000 Menschen, die im letzten Jahr in Ungarn als Asylsuchende registriert wurden, hätten nur 300 Asyl bekommen, berichtete Gyulai.

Deklaration

Bei dem Pressegespräch „Menschen schützen, nicht nur Grenzen" am Freitag in Wien präsentierte der europäische Flüchtlingsrat ECRE auch eine gemeinsame Deklaration. Fünfzehn Flüchtlingsorganisationen aus neun Ländern (Kroatien, Slowenien, Tschechien, Slowakei, Polen, Ungarn, Schweiz, Österreich, Deutschland) treten in dieser Erklärung für eine EU ein, die sich auf die Sicherung der Menschenrechte verpflichtet.

(kap 16.01.2016 ord)

 








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