2016-01-09 08:00:00

Unser Buchtipp: Die eine Wahrheit?


Was ist „die eine Wahrheit"? Gibt es sie? Welche Antwort gibt uns die Wissenschaft, welche die Religion, welche die Philosophie auf diese Frage? Auf gut 100 Seiten versucht der Theologe und emeritierte Professor und Direktor des theologischen Seminar in Friedberg/Hessen Helmut Fischer eine 360-Grad Antwort zu geben. Informativ und nüchtern zieht er den Bogen von Philosophie, Sprache, Wissenschaften und Religionen und taucht ein in die Begrifflichkeit der „Wahrheit“. Nina Oezelt hat mit ihm über sein Buch gesprochen.

Radio Vatikan: In Ihrem Buch geht es um die vielleicht größte Frage der Menschheit. Im Namen der Wahrheit wurden und werden Kriege geführt, Menschen verurteilt, getötet, hingerichtet. Vielleicht ein Begriff, der in einer multireligiösen Gesellschaft und in einer angespannten Zeit wie dieser wichtiger ist als je zuvor. Was ist also die Wahrheit?

Helmut Fischer: „Diese Frage beantworte ich eigentlich nicht, denn ich stelle fest, dass man sie überhaupt nicht beantworten kann. Die Frage „Was ist Wahrheit?“ ist eine ontologische Frage (Anm. Redaktion: Frage nach dem Sein) und eine ontologische Frage, die kann man spekulativ beantworten. Ich versuche zu zeigen, was mit Wahrheit gemeint sein kann, damit man in Gesprächen, in denen zwei unterschiedliche Positionen aufeinander treffen, klärt, wo ist ein Dissens in der Sache und womit hängt dieser Dissens zusammen? Hängt er von den Aktionen ab, von welchen ich ausgehe oder sind es Sachargumente. Mein Buch ist als Hilfe für eine Dialogkultur geschrieben, die in unserer Welt, wo unterschiedliche Situationen aufeinander treffen, nötiger ist denn je.“

RV: Sie gehen ja in ihrem Buch auf die verschiedenen Ebenen der Sprache, der Philosophie, der Wissenschaft und der Religion ein. Es ist spannend wie gut man erkennt, wie diese unterschiedlichen Kategorien in einem Kulturkreis dennoch alle miteinander verbunden sind. Besonders interessant war auch die Entwicklung des Wahrheitsbegriffs in der Philosophie, den sie beschreiben. Was ist denn diese große Veränderung von Aristoteles, Platon bis hin zu Thomas von Aquin und der Entwicklung von Descartes?

Fischer: „Der wichtige Sprung an dieser Stelle ist der ,dass die alten Philosophen – wie Platon und Aristoteles – davon ausgehen, dass es so etwas wie eine Wahrheit „objektiv“ gibt. Das wird bei Descartes bereits bestritten. Bei ihm taucht eben der Gedanke auf, dass wir von objektiven Wahrheiten überhaupt nicht ausgehen können. Sondern, dass die Wahrheit in dem begründet ist, was der Mensch selber denkt und wofür sich eine Gemeinschaft entschließt, es als gültig anzusehen – für die Zeit, in der das definiert wird. Das ist der große Umbruch. Im Grunde ist es spätestens mit Descartes deutlich geworden, dass es die Möglichkeit von objektiven Wahrheitsaussagen gar nicht geben kann, sondern dass die Wahrheit in dem begründet ist, was der Mensch selber denkt.“

RV: Auch interessant ist der sprachliche Aspekt. Die deutsche Sprache hat in dem Zusammenhang einen besonderen Stellenwert, wenn es um den Zusammenhang von „Wahrheit“ und „Wirklichkeit“ geht?

Fischer: „Dass was wir als Welt verstehen, erschließt sich immer über die jeweilige Sprache, die wir haben. Das sind einerseits die Wörter, mit denen wir Einheiten aus der Fülle der Erscheinungen ausgrenzen und andererseits die Satzstrukturen. In diesen Satzstrukturen - das ist das sehr Typische in den indoeuropäischen Sprachen - wird richtig festgeschrieben, wie die Welt zu verstehen ist. Im Deutschen ist dies besonders gut zu erkennen – aber auch im Griechischen, Lateinischen, Französischen, in allen indoeuropäischen Sprachen. Bei jedem Satz, den wir äußern, wenn wir von einem Ereignis oder Geschehen ausgehen, müssen wir immer sagen, wer es verursacht hat. Das liegt an der Satzstruktur: über das Subjekt muss vom Prädikat her immer etwas gesagt werden: Was geschieht und wer hat es getan? Und wenn ich nicht weiß, wer es getan hat, dann steht immer ein „es“ davor und das „es“ wird dann schnell in der Mythologie umgebildet zu einer festen Personalität.

Und wir müssen in der deutschen Sprachen – ob wir wollen oder nicht – angeben, wer etwas getan hat. Wir müssen sagen: „Der Mond scheint.“ Obwohl er gar nichts tut, er reflektiert ja nur das Sonnenlicht, aber in unserer Sprache wird selbst das Reflektieren dargestellt als etwas, was der Mond tut. Es ist immer ein Aktionssubjekt im Hintergrund. Und hinter diesem Aktionssubjekt können sich Geister, Dämonen, alles Mögliche verbergen, bis hin zu Gott. Die Gottesfrage taucht ja in der Religionsgeschichte ganz spät auf, im letzten Tausendstel der Menschheitsgeschichte.

Aber in der Sprache sind wir festgelegt, immer zu benennen, wer etwas tut und auf diese Weise haben wir immer einen Verursacher und die Wahrheitsfrage ist hier die, dass wir die Wahrheit ebenfalls zu einer festen Größe gemacht haben. Die Wahrheit wird zu einem Aktionssubjekt, die Wahrheit hilft uns, die Wahrheit macht uns frei, die Wahrheit ist das Höchste.

Wir können plötzlich dem einen Wort, wie die Wahrheit als objektive Größe, als Hypostase, ihr Eigenschaften, Tätigkeiten etc. zuordnen. Das sind Konstrukte des menschlichen Denkens, die notwendig sind, aber die eben keinen absoluten Wert haben, weil sie, wie wir aus der Geschichte wissen zeitgebunden sind.“

RV: Die Wahrheit in der Religion – ist natürlich äußerst komplex, aber liegt vielleicht auch Ihnen als Theologe besonders am Herzen. Was ist denn der Wahrheitsanspruch der Religionen?

Fischer: „Der Wahrheitsanspruch in den Religionen liegt in ihrem Grundkonzept. Also zum Beispiel der Wahrheitsanspruch im Buddhismus, in der Karma-Lehre und dass ich zu meinem Heil, den Versuch machen muss, da heraus zu kommen und mich davon abzulösen und so weiter. Im Islam ist es einfach die klare Behauptung, dass der eine Gott Allah ist und Mohammed sein Prophet und im Christentum ist es die Grundüberzeugung, dass sich in Jesus Gott in seinem Wesen offenbart hat.

Aber diese Grundüberzeugungen – in dem Moment in dem sie einfach nur Satzaussagen sind – werden eigentlich aus dem religiösen schon herausgelöst. Denn wenn sie das Christentum hernehmen, so hat Jesus nirgendwo eine Lehre über Gott vorgetragen, er hat nicht Satzwahrheiten ausgesprochen, sondern er hat einen Lebensweg gezeigt , in dem sich das erfüllt, was er mit dem Wort Gott verbindet. Das heißt, es ist ein Geschehen und keine Abstraktion, ein Geschehen, auf welches ich mich einlassen muss.

Die Frage nach der Wahrheit stellt sich also in der Religion nicht: Was ist Gott? Wer ist Gott? Sondern was geschieht, wenn das Wort Gottes einen Sinn haben soll. Also es geht um den Prozess und die Hypostasierungen, die sind eben der intellektuelle Ausdruck, das ist legitim.“

RV: Was bedeutet das heute für uns – alle Religionen wollen die einzige Wahrheit kennen?

Fischer: „Dialogbasis ist eigentlich das passende Wort: Denn die eigentliche Wahrheit zu schinden, wäre wieder der antike ontologische Versuch in der Konstruktion des Denkens etwas zu finden, was hinter diesen einzelnen Ausdrucksformen von Religion die reine Wahrheit ist. Das wird ja von jüdischer, von christlicher und von muslimischer Seite so ausgedrückt, nach dem Motto, wir haben doch alle den gleichen Gott und der zeigt sich auf unterschiedlich Weise. Ich glaube, es ist eine Wunschvorstellung; sie ist nicht realisierbar, denn von dem, was ich dahinter konstruiere, ist meine Konstruktion. Es hilft keinem und wird uns im Dialog nicht helfen – die Dialogbasis muss sein: Wir haben wirklich verschiedene Religionen. Und diese Verschiedenheiten können wir nicht wegretuschieren oder uns gegenseitig dabei belügen, dass wir uns alle ähnlich sind. Sondern wir müssen uns fragen, was sind die Möglichkeiten, die wir gemeinsam haben, um dafür zu sorgen, dass unsere Welt friedlich bleibt, dass wir in unserer Welt mit unseren Verschiedenheiten miteinander leben lernen, ohne uns zu sagen, wer richtig und wer falsch liegt.

Eine Dialogbasis im praktischen Bereich: Ich sehe persönlich keine Möglichkeit, dass man jenseits der konkreten Ausdrucksformen der Religionen, so eine gemeinsame Realität auch finden könnte, auch nicht philosophisch. Es ist ein schöner Gedanke, aber es ist ein Wunsch und es wird so bleiben. Wo sind die Gemeinsamkeiten, die in uns helfen in unserer pluralistischen Welt miteinander auszukommen – das halte ich für das Optimum und das ist praktikabel.“

Zu dieser Dialogbasis versucht der Theologe und Autor Helmut Fischer mit seinem Buch beizutragen.

 

Helmut Fischer: Die eine Wahrheit? Wahrheit in Philosophie, Wissenschaft und Religion. Erschienen im Theologischen Verlag Zürich; Euro 14,90.

(rv 09.01.2015 no)

 








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