2015-12-06 08:38:00

Heiliges Jahr: Was es ist und was es will


Das Jubiläumsjahr der Barmherzigkeit aus vatikanischer Sicht, was daran überraschend und neu ist und wie sich diese Neuheit in die Vision des Papstes einer Kirche des 21. Jahrhunderts einreiht: darüber sprachen wir mit Bruder Helmut Rakowsi. Der deutsche Kapuziner wirkt am Päpstlichen Rat zur Förderung der Neuevangelisierung, der das Heilige Jahr auf vatikanischer Seite vorbereitet. Gudrun Sailer wollte zunächst von Bruder Helmut wissen, was einen sogenannten Fernstehenden unserer Breitengrade an diesem Heiligen Jahr interessieren könnte. 

„Ich glaube, das Thema Barmherzigkeit ist ein interessantes Thema, auch für viele Menschen, die der Kirche fern stehen. Papst Franziskus findet Gehör mit diesem Wort, das gegen den Strom läuft. Er sagt, da läuft gerade ein dritter Weltkrieg, ein Krieg auf Raten, und andere Nationen, Regierungen, setzen auf kriegerische Mittel zur Lösung. Der Papst lädt demgegenüber ein, sich auf die Barmherzigkeit zu besinnen. Ich glaube, damit spricht er vermutlich ganz viele Menschen an. Ob sie jetzt deswegen alle während des Heiligen Jahres zur Kirche kommen, ist eine andere Frage. Aber ich denke, er löst Überlegungen aus. Und er lädt die Kirche selbst dazu ein, sich anders zu zeigen, nämlich als barmherzige Mutter gegenüber den Gläubigen, und nicht als strenge Institution, die auf die Einhaltung von Regeln pocht, sondern die zunächst einmal die göttliche Barmherzigkeit weitersagt, sie vermittelt und die Menschen spüren lässt.“

Welche Gesten wird er da während des Heiligen Jahres setzen?

„Der Papst wird ja ein paar Zeichen setzen, wir wissen noch nicht, was das sein wird, aber wir können uns bei Papst Franziskus vorstellen, es könnte Flüchtlinge, Kranke, Hospize, Obdachloseneinrichtungen betreffen; und die Einladung ist ja, dass in den Diözesen etwas Ähnliches gemacht wird. Der Bischof solle auch so etwas kopieren. Der Pfarrer sollte es wieder vom Bischof kopieren, sodass wir eine Bewegung bekommen: eine Kirche, die nicht nur auf die Menschen wartet, sondern eine Kirche, die aus sich herausgeht, die auf die Menschen zugeht. Und da wird das Heilige Jahr denke ich schon ein wichtiger Impuls der Neuevangelisierung sein.“

Stichwort Dezentralisierung, die Papst Franziskus im Zug seiner Kirchenreform anstrebt und betreibt. Das lässt sich gerade auch am Heiligen Jahr ablesen. Eröffnet hat er es, in einer überraschenden, aber geplanten Geste, weit weg von Rom, in Zentralafrika. In jeder Diözese der Weltkirche soll es eine Heilige Pforte geben, in den Gefängnissen der Welt kann eine jede Zellentür zur Pforte der Barmherzigkeit werden. Gewinnt das Heilige Jahr damit einen neuen Zuschnitt? Denn das alles gab es noch nie in den 700 Jahren seit dem ersten Jubiläum, das 1300 gefeiert wurde.

„Ich denke, der Papst reagiert damit auch auf eine völlig veränderte Weltlage und eine völlig veränderte Lage der Kirche. wir sind eine globale Kirche, die Mehrheit der Katholiken lebt im Süden dieser Welt. Und während es für uns vielleicht selbstverständlich ist, dass wir aus Deutschland, Frankreich, England mit einem Billigflieger schnell für wenig Geld nach Rom fliegen können, ist das für die Menschen in Afrika, Lateinamerika oder Asien eine andere Herausforderung, fast unmöglich, außer ich gehöre zu einer bestimmten Klasse. Das Heilige Jahr vor Ort zu bringen, ist ein Anliegen des Papstes, das alle die einbezieht, die nicht die Möglichkeiten haben, nach Rom zu kommen. So wird das Heilige Jahr vielleicht auch herausgenommen aus einem gewissen Event-Charakter; „das machen wir jetzt auch mal, da gehen wir auch mal hin“, und sobald man wieder ins Flugzeug steigt, ist dieses Heilige Jahr vorüber. Wenn es aber bei mir zu Hause stattfindet, verbunden mit einer Wallfahrt zur Bischofskirche, zu einem Wallfahrtsort, wo eine Heilige Pforte der Barmherzigkeit eröffnet wird, dann weiß ich, dass ich dieses Thema auch zu Hause fortsetzen muss.“

Welche Rolle spielt bei diesem inneren Prozess die Pforte?

„Es geht letztlich nicht um eine Tür, durch die wir gehen. Diese Tür ist ein Symbol, das Symbol des offenen Herzens Gottes, das auf uns wartet. Die deutschen Bischöfe haben gesagt, die Tür ist das Symbol, dass man in die Barmherzigkeit hineinschreitet, aber durch diese Tür geht man auch wieder hinaus. Das heißt, man nimmt die Barmherzigkeit mit und trägt sie hinaus in die Welt, und das ist der Alltag zu Hause, das Umfeld, in dem ich lebe und meine Barmherzigkeit leben darf, soll oder muss – je nachdem.“

Von alters her ist die größte Attraktion beim Heiligen Jahr der Vollkommene Ablass, den die Kirche dabei gewährt. Wird die Sache mit dem Ablass – bei aller historischen Befrachtung, die der Begriff erlebt hat – wird der Ablass heute überhaupt noch verstanden und gutgeheißen?

„Beim Thema Ablass würde ich noch weiter zurückgehen in die Geschichte. Es gibt ja als Vorbild das biblische Jubeljahr in der Geschichte, das Jobel, wo das Wort Jubiläum auch herkommt. Das kennt das Alte Testament, alle 50 Jahre gibt es ein Jubeljahr, und das bedeutet einen vollkommenen Neufanfang. Die Sklaven werden befreit, Schulden werden vergeben, sogar das Ackerland wird ein Jahr ruhen gelassen, damit es sich erholen kann. Es ist die Chance eines Neuanfangs. Dafür steht auch der Ablass, der in dieser Form, wie wir ihn kennen, vielleicht auch einfach eine zeitbedingte Schöpfung ist. Ob der Ablass heute noch leicht zu verstehen ist? Ich habe da vielleicht auch meine Fragen und Probleme. Wir sehen, dass der Papst den Ablass nennt, aber es steht nicht an erster Stelle in diesem Heiligen Jahr: da steht die Barmherzigkeit - die sich allerdings auch wieder im Ablass zeigt. Es ist letztlich klar, das ist Gottes Gnade.“

Wie würden Sie den Begriff abstecken?

„Ich versuche den Ablass gerne mit einem Beispiel aus jüngster Zeit zu erklären. Vielleicht erinnern sich alle noch an den jungen afroamerikanischen Mann, der in den USA von einem Polizisten erschossen wurde, wohl ohne Anlass, es gab Unruhen viele Tage und Wochen hin in dieser Kleinstadt im Süden der USA. Und es war ganz interessant, dass die Eltern dieses Jungen gesagt haben, wir verzeihen dem Mörder. Es gibt verzeihen, und trotzdem muss der Staat, zum Beispiel, so ein Vergehen ahnden und sühnen, wenn es dann auch als schuldhaft vom Richter eingestuft wurde. Und dafür wird jemand vermutlich ins Gefängnis gehen. Wir kennen die Vergebung, so wie die Eltern das gemacht haben, in der Beichte. Da erfahren wir die Vergebung der Schuld. Das Erlassen der Strafe aber, dafür steht in etwa der Ablass. Es ist sozusagen wie eine Amnestie für die, die guten Willens sind, für die, die sich bekehren und sich vornehmen, nicht mehr so zu handeln, wie sie das bisher getan haben.“

Der Papst lässt im Jubeljahr Missionare der Barmherzigkeit ausschwärmen, die mit besonderen Lossprechungs-Vollmachten ausgestattet sind. Das ist innovativ. Wird das ankommen?

„Dem Heiligen Vater ist die Beichte ein ganz großes Anliegen, und dahinter steckt eine persönliche Lebenserfahrung, die er gerade auch wieder erzählt hat im Interview mit der Zeitschrift „Credere“. Ich glaube es war der 21. September 1953, und er kennt dieses Datum noch heute so genau, weil er sagt, da kam meine Berufung zum Priester. Da erzählt er, wie er zu einem Studentenausflug wollte und an seiner Pfarrkirche vorbeikommt, das Gefühl hat, er müsse da hineingehen, drinnen trifft er einen Priester, den der nicht kennt und beichtet bei ihm. Und er ist völlig berührt und getroffen und sagt: da habe ich etwas erfahren, das mein Leben verändert hat. Deswegen zeigt er auch, dass er selbst beichten geht, und er lädt die Menschen ein und sagt, das ist nicht etwas, das dir Angst machen soll, sondern es ist etwas Befreiendes, eine wunderbare Erfahrung der Barmherzigkeit und der Gnade Gottes. Dieses Anliegen möchte er jetzt auch mit den Missionaren der Barmherzigkeit weitertragen. Er stattet sie aus mit den Vollmachten, (solche Sünden zu vergeben), die nur dem Heiligen Stuhl zustehen, das sind an sich nur fünf Sünden; und im deutschsprachigen Raum ist es jedem Priester erlaubt, von der Sünde der Abtreibung loszusprechen, das ist bei uns keine Besonderheit, in anderen Ländern schon. Die anderen Sünden sind Anlässe, die die wenigsten Menschen betreffen: etwa wenn ich den Papst tätlich angegriffen habe, wenn ich die Eucharistie tätlich angegriffen habe, das kann schon einmal wenn, auch bei satanischen Kulten, wenn ich die Hostie mitnehme, aber doch eher wenige. Solche Themen.“

Was ist der tiefere Sinn hinter der Entsendung dieser speziellen Missionare der Barmherzigkeit?

„Was der Papst eigentlich damit sagen möchte: es gibt nichts, was Dich hindern kann, Gottes Barmherzigkeit zu suchen. Komm. Es gibt nichts, was zu schlimm wäre, es zu sagen. Und wir sind ja oft selber unsere schlimmsten Richter. Dass wir uns sagen, mein Gott, damit kann ich nicht vor einen Priester gehen, das kann ich Gott gar nicht mehr zumuten, denn dafür schäme ich mich. Und der Papst möchte die Botschaft übergeben: es gibt keinen Grund dafür. Ob das jetzt auf Antwort stößt, kann ich schlecht sagen. Es wird sicherlich wenn, dann diejenigen ansprechen, die ohnehin zur Kirche gehen. Wobei man sagen kann, dass der Beichtbesuch auch bei den praktizierenden Katholiken und sogar unter den Priestern eher gering ist. Vielleicht ist es in dem Bereich ein Anlass, dass wir uns alle doch nochmal sagen, wenn dieser Papst, der uns so gefällt, der uns anspricht, uns sagt, das ist eine gute Sache – ich probiers mal!“ 

(rv 06.12.2015 gs)

 








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