2015-12-03 11:58:00

Der Countdown in Westafrika läuft


Seit eineinhalb Jahren grassiert Ebola in Westafrika in den Ländern Sierra Leone, Guinea und Liberia. Mehrmals hat man bereits nach 42 Tagen ohne Neuinfektionen geglaubt, man habe die Epidemie überstanden, doch immer wieder gab es Rückschläge. In Liberia sind erst kürzlich drei Neuinfektionen entdeckt worden, ein Mann ist wieder an Ebola gestorben. Mehr als 28.000 Menschen sind an dem Virus erkrankt, 11.000  gestorben, auch Mitarbeiter von Ärzte ohne Grenzen. Eine Situation, die für die internationale Organisation „Ärzte ohne Grenzen“ auch neu war, wie der ehemalige Präsident, Tankred Stöbe im Interview mit Pia Dyckmans berichtet.

Tankred Stöbe: „Nie zuvor haben wir so viele Patienten, die zu uns kamen, dennoch verloren. Unter allen Medikamenten und Behandlungsmöglichkeiten, die es gibt, gibt es immer noch kein Medikamente, die direkt gegen Ebola wirken und die Hälfte der Patienten sterben. Das sind Erfahrungen, die wir sonst nicht machen. Wenn Patienten in allen Teilen dieser Welt zu uns kommen, werden sie in der Regel gerettet, aber hier war es oft nur ein Begleiten dieser Menschen in den Tod hinein. Wir wussten es ja nicht. Kein Mensch weiß, ob ein Ebola-Infizierter dies überleben wird oder nicht. Das hat eine unglaubliche Intensität in die Arbeit gebracht hat, aber auch viel Traurigkeit diese Menschen zu verlieren.“

Radio Vatikan: Kommen wir zum aktuellen Stand in den Ländern. Oft wurde bereits der Sieg über Ebola ausgerufen und schon mehrmals hat man sich getäuscht, der Virus kam wieder. Wo stehen die Länder aktuell?

Stöbe: „Wenn man sich die Zahlen anschaut, hat Liberia die meisten Ebola-Toten zu vermelden. In Sierra Leona gab es die meisten Infizierten. Aber am längsten hat diese Epidemie in Guinea gewütet, hat dort bis zum Schluss Menschenleben gefordert. Aber wir hatten nun auch ein schönes Beispiel. Die erste Krankenschwester, die Ebola überlebt hat in Guinea, war zugegen, als das letzte kleine Kind, die eine sehr schlechte Überlebenschance haben, Ebola überlebt hat. Als sie dieses überlebte Ebola Kind auf den Armen trug, war das ein sehr schönes und emotionales Ereignis, das wir feiern konnten. Es scheint wohl so zu sein, dass, wenn in Liberia die letzten drei Fälle nicht weitere nach sich ziehen, das Ebola dann in Westafrika besiegt ist. Aber solange nach 42 Tagen nach dem letzten Fall keine weitere Infektion auftritt, erst dann können wir Ebola für beendet erklären und das können wir nach wie vor nicht.“

RV: Sind denn die Länder Guinea und Sierra Leone bereits Ebolafrei?

Stöbe: „Sierra Leone ist bereits Ebola-frei, Guinea aber noch nicht. Dort zählen wir momentan den Countdown von 42 Tagen. Liberia war schon zwei mal Ebola-frei, aber da gab es jetzt den zweiten Rückfall. Wenn alles gut geht, kann es noch dieses Jahr so weit sein, aber es kann sich auch noch in das nächste Jahr hineinziehen und dann wäre es schon das dritte Jahr, in dem diese Epidemie wütet. Das zeigt eben, dass die Hilfsmechanismen nicht gut gegriffen haben.“

RV: Was sind in Bezug auf die Überlebenden die größten Herausforderungen, man spricht ja besonders von psychischen Folgeschäden.

Stöbe: „Die Menschen haben oft ihre ganze Familie verloren, sind einsam, werden von der noch übrigen Familie oder der Gemeinschaft verstoßen. Da gilt es nach wie vor noch aufzuklären, dass diese Menschen immun sind und das Virus nicht mehr weitergeben können. Aber wir müssen auch noch lernen, dass es manche Körperflüssigkeiten gibt, in denen der Virus sich noch weiter hält. Das muss weiter untersucht werden, auch die bleibenden körperlichen Schäden. Wir wissen, dass bei manchen Überlebenden das Augenlicht beeinträchtigt ist. Aber auch die seelischen Schäden müssen mitbegleitet werden in den sogenannten „Survivor Clinics“, von denen wir in den drei Ländern auch einige betreiben, wo die Überlebende medizinische Anlaufstellen finden. Das ist ganz wichtig. Aber auch die übrigen Gesundheitssysteme, die gar nicht mehr funktionieren, weil die Ärzte und Krankenhäuser erst wieder rehabilitiert und wieder eröffnet werden und normal funktionieren müssen.“

RV: Was brauch die drei betroffenen Ländern neben dem Schutz der Überlebenden und dem Wiederaufbau der Gesundheitssysteme noch, um sich wieder zu rehabilitieren?

Stöbe: „Diese drei Länder sind mit die ärmsten Länder überhaupt. Da fehlt es nicht nur im Bereich Gesundheit, sondern in vielen anderen Bereichen auch. Das heißt es geht um die Schulen, das öffentliche Leben, das wieder aufgebaut werden muss. Natürlich sind das sehr schwierige strukturelle Herausforderungen, die vor den Ländern liegen. Auch alles was mit Fremdenverkehr zu tun, ist auch zum Erliegen gekommen. Für uns als medizinische Organisation ist die Medizin natürlich im besonderen Fokus. Denn um die Menschen gesund zu behalten, um ihnen beim Überleben zu helfen, ist das Gesundheitssystem ein wichtiger Bestandteil und deswegen liegt darauf unser Fokus. Aber diese Epidemie hat alle Bereiche der frei westafrikanischen Länder stark getroffen.“

(rv 03.12.2015 pdy)








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