2015-11-13 10:07:00

Papst an Guardini-Stiftung: „Den Fremden aufnehmen“


Drei Jahrzehnte ist es her, dass der Jesuit Jorge Mario Bergoglio ein paar Monate in Frankfurt verbrachte, um über den Theologen Romano Guardini zu promovieren. Aus dem Vorhaben wurde nichts, Bergoglio kehrte unverrichteter Dinge nach Argentinien zurück. Sein besonderes Interesse an Guardini ist aber geblieben – und zeigte sich auch an diesem Freitag. Da empfing Papst Franziskus im Vatikan die Mitglieder der Romano-Guardini-Stiftung und sagte ihnen: „Ich bin überzeugt, dass Guardini ein Denker ist, der den Menschen unserer Zeit, nicht nur den Christen, viel zu sagen hat.“

Priester, Rechtsphilosoph, Pädagoge, Ökumeniker, Schriftsteller, Erneuerer der Liturgie: Der Wahl-Münchner Guardini war einer der großen katholischen Denker des 20. Jahrhunderts, er hinterließ an die 2.000 Schriften. Papst Franziskus ging am Freitag bei seiner Würdigung von Guardinis Buch „Der Mensch und der Glaube“ aus. Darin behandelt der Theologe eine Episode aus Dostojewskijs Roman „Die Brüder Karamasoff“. „Es ist der Moment, wo das Volk zum Starez Sossima kommt und die Menschen ihm ihre Sorgen und Nöte vorlegen, auf dass er für sie bete und sie segne. Schließlich tritt eine ärmliche blasse Frau an ihn heran, um zu beichten. Flüsternd berichtet sie, dass sie ihren kranken Mann, der sie früher sehr gequält hat, umgebracht hat.“ Der Starez habe, so referierte Franziskus, gemerkt, dass die Frau sich für von Gott „verworfen“ hielt. Aber er habe ihr „einen Ausweg gezeigt“, nämlich die Reue in der Beichte.

„’Fürchte nichts, und fürchte dich niemals, sagt der Starez. Wenn nur die Reue in dir nicht verarmt, wird Gott dir alles verzeihen. (…) Kann doch der Mensch nie und nimmer eine so große Sünde begehen, dass sie die endlose Liebe Gottes ganz erschöpfte.’ In der Beichte wird diese Frau verwandelt und erhält wieder Hoffnung. Gerade die einfachsten Menschen verstehen, um was es hier geht. Sie werden erfasst von dem Großen, das in der Weisheit und Liebeskraft des Starez aufleuchtet. Sie erhalten einen Sinn dafür, was Heiligkeit bedeutet, nämlich groß gelebte gläubige Existenz.“ Das öffne „den Blick dafür, dass Gott den Menschen nahe ist“, führte der Papst aus. Und er zitierte Guardini mit den Worten: „Im schlichten Entgegennehmen des Daseins aus Gottes Hand vollzieht sich der Umbruch aus dem eigenen Willen in den Willen Gottes hinüber; so wird, ohne dass das Geschöpf aufhörte, nur Geschöpf, und Gott aufhörte, wirklich Gott zu sein, lebendige Einheit.“

Diese „lebendige Einheit“ des Menschen mit Gott sei aber kein Selbstzweck: Darum ging es Papst Franziskus. Nein, sie sei „in den konkreten Austausch der Personen mit der Welt und den Mitmenschen eingebettet“. „Der Einzelne erfährt sich verwoben mit einem Volk, einem „ursprünglichen Zusam­menhang von Menschen, die nach Art, Land und geschichtlicher Entwicklung eins sind“. Guardini versteht den Begriff „Volk“ in Abgrenzung zu einem auf­klärerischen Rationalismus, der nur das als Wirklichkeit akzeptiert, was rational erfasst werden kann, und den Menschen zu isolieren versucht, indem er ihn den natürlichen Zusammenhängen des Lebens entreißt. Das Volk hingegen ist „der Inbegriff alles menschlich Echten, Tiefen und Tragenden“. Wir können im Volk wie in einem Spiegel das Kraftfeld des göttlichen Wirkens erkennen. Das Volk „fühlt, wie in allem von Gott her etwas vor sich geht. Es ahnt das Geheimnis dieses Geschehens, seine Nähe, seine Unruhe.“

Guardini, gedeutet aus dem Heute: die Flüchtlingsfrage

So weit, so akademisch. Aber Franziskus schlug auch den Bogen in unsere Gegenwart. Er wolle einmal versuchen, Guardinis Überlegung „auf unsere Zeit anzu­wenden, indem wir im aktuellen Geschehen die Hand Gottes aufzuspüren ver­suchen“. „Dann werden wir vielleicht erkennen, dass Gott in seiner Weisheit uns im reichen Europa gerade heute den Hungrigen geschickt hat, damit wir ihm Essen geben, den Durstigen, damit wir ihm zu trinken geben, den Fremden, damit wir ihn aufnehmen, und den Nackten, damit wir ihm Kleidung geben. Die Geschichte wird es dann zeigen: Wenn wir ein Volk sind, werden wir ihn sicher aufnehmen. Wenn wir nur noch eine Gruppe von Individuen sind, werden wir versucht sein, zunächst unsere Haut zu retten, aber wir werden keinen Bestand haben.“

Aus der gelehrten Rede über einen Denker des letzten Jahrhunderts war ein Blick auf die Flüchtlingskrise in der EU geworden – ein Beleg für die Ansicht des Papstes, dass Guardini der Welt von heute viel zu sagen hat. „Die Beschäftigung mit dem Werk Guardinis mache Ihnen immer neu verständlich, was die christlichen Fundamente für unsere Kultur und Gesell­schaft bedeuten.“

(rv 13.11.2015 sk)








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