Eine Woche vor der Bundestagsentscheidung über eine mögliche rechtliche Regelung der Beihilfe zur Selbsttötung positionieren sich Spitzenpolitiker und Kirchenvertreter. Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) und SPD-Chef Sigmar Gabriel treten für ein Verbot der geschäftsmäßigen Beihilfe zum Suizid ein. Der Bundestag will am Freitag darüber abstimmen. Vier Gesetzentwürfe liegen vor. In dieser ethisch brisanten Frage ist der Fraktionszwang aufgehoben.
Der Mainzer Kardinal Karl Lehmann forderte ebenfalls ein solches Verbot. „Man muss im Sterben helfen, aber nicht zum Tod verhelfen“, sagte er am Freitag der Katholischen Nachrichten-Agentur. Eine geschäftsmäßige und wiederholte Tötung müsse angesichts der „heute durchaus gegebenen Vermarktung der Selbstmordbeihilfe“ unbedingt verboten werden. Die bisherige Regelung reiche nicht aus.
Auch der Wiener Erzbischof Christoph Schönborn warnte vor der Zunahme eines „Sterbens nach Plan“ in Europa. Eine Folge der Verdrängung des Todes aus dem Alltag sei, dass viele Menschen einsam, unbegleitet und abgestellt in einem Krankenhauszimmer sterben müssten, schreibt er in einem Beitrag für die Tageszeitung „Heute“.
Vizekanzler Gabriel hat den Gesetzesantrag der Abgeordneten um Michael Brand (CDU) und Kerstin Griese (SPD) bereits unterzeichnet, wie Griese in Berlin bestätigte. Merkel hatte sich schon im Sommer positioniert und will den Antrag nach einem Bericht des Magazins „Focus“ am Dienstag formal unterzeichnen. Dieser tritt für ein Verbot der organisierten und auf Wiederholung angelegten Beihilfe zur Selbsttötung ein.
Unterdessen verschärfte sich der Ton in der Sterbehilfedebatte. Brand beklagte einen Niveauverlust. Er wandte sich gegen den Vorwurf, sein Gesetzentwurf führe zu einer Kriminalisierung von Ärzten. Dies sei klar widerlegt. Dennoch werde aus taktischen Gründen ein Zerrbild gezeichnet, was dem hohen Niveau der bisherigen Debatte nicht angemessen sei.
Den Vorwurf erheben vor allem die Abgeordneten Peter Hintze (CDU) und Karl Lauterbach (SPD), die Ärzten die Beihilfe unter bestimmten Bedingungen ausdrücklich erlauben wollen, sowie Parlamentarier der Gruppe um Renate Künast (Grüne) und Petra Sitte (Linke). Sie wollen allein auf Gewinn angelegte Suizidbeihilfe verbieten, ansonsten aber günstige Rahmenbedingungen für die Beihilfe schaffen. Brand warb dafür, zum Ausgangspunkt der Debatte zurückzukehren, nämlich der Forderung nach einem Verbot von Anbietern, „die geschäftsmäßig für Suizidassistenz werben und damit den Suizid fördern“. Nur dieses Anliegen verfolge seine Vorlage.
Gegen weitreichende Gesetzesänderungen bei der Suizidbeihilfe sprach sich Ex-Bundesjustizministerin Herta Däubler-Gmelin (SPD) aus. Statt strafrechtlicher Veränderungen brauche es eine Stärkung des Vertrauensverhältnisses zwischen Patient und Arzt, sagte sie im Südwestrundfunk. Alte und Kranke dürften sich nicht als Last für die Gesellschaft fühlen.
Die Vorsitzende des Deutschen Ethikrats, Christiane Woopen, hält eine gesetzliche
Regelung der Suizidbeihilfe in Deutschland für unnötig. Die Bundestagsabgeordneten
sollten es „bei der Straflosigkeit der Beihilfe zu einem frei verantwortlichen Suizid
belassen“, sagte Woopen im „Focus“. In Deutschland gebe es derzeit „keinen dringenden
Gesetzesbedarf“, weil keine „gravierenden Missstände“ existierten.
Ängsten vor einer quälenden medizinischen Behandlung am Lebensende begegnete Woopen
mit dem Hinweis auf Patientenverfügung und Vorsorgevollmacht. „In einem einwilligungsfähigen
Zustand hat in Deutschland jeder jederzeit das Recht, eine medizinische Behandlung
abzulehnen“, erklärte die 52 Jahre alte Kölner Medizinethikerin. „Es gibt keinen Zwang
zum Weiterleben.“ Andererseits sei die in den Niederlanden und Belgien erlaubte Tötung
auf Verlangen in Deutschland verboten. Dies solle auch so bleiben.
(kna 01.11.2015 sk)
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