2015-10-27 14:52:00

50 Jahre Aussöhnung deutsch-polnischer Kirche


„Wir vergeben und bitten um Vergebung“ – diese Worte richtete die polnische Kirche am 18. November 1965 in einem Brief an die Deutschen. Das Schreiben schlug große Wellen: Die Bitte um Vergebung rief starke, mitunter gegensätzliche Reaktionen unter der Bevölkerung hervor. Auf der einen Seite machte sich Empörung breit, auf der anderen Bewunderung: Die Kirche einer Nation, die von Nazi-Deutschland überfallen und unterdrückt wurde, bittet die Kirche Deutschlands um Vergebung. Der Vorsitzende der polnischen Bischofskonferenz, Stanisław Gądecki, ist damals gerade in das Priesterseminar eingetreten. In einem Interview am Rande einer Ausstellungseröffnung über eben diesen Briefwechsel in den Vatikanischen Museen schildert der Erzbischof, wie die Bevölkerung auf das Schreiben reagierte:

„Dieser Funke hat große Emotionen erweckt. Sowohl positive, als auch negative. Es war sicherlich ein Schock, nicht so sehr für uns Kleriker, denn wir gingen von der Botschaft des Evangeliums aus, dass es gilt, jegliche Grenzen zu überschreiten und allen mit Barmherzigkeit und Vergebung gegenüberzutreten, ohne Rücksicht auf die Umstände. Wir haben diesen Brief unterstützt. Aber es gab Menschen, die sich sehr gut an den Zweiten Weltkrieg erinnerten. Sie hatten Ermordete unter ihren Angehörigen, daher war es für sie gar nicht so leicht, Vergebung in dieser Form anzunehmen.“

Der Satz „Wir vergeben und bitten um Vergebung“ stand in einer Einladung zu den Feierlichkeiten anlässlich des 1000-jähirgen Jubiläums der „polnischen Taufe“ im Jahr 1966. Das Jahr der Christianisierung Polens, 966 nach Christus, wird als Gründung Polens gesehen. Aus diesem Anlass verfassten die polnischen Bischöfe im Rahmen des Zweiten Vatikanischen Konzils 56 Einladungen an die nationalen Bischofskonferenzen. Eine davon war die unter der Leitung des Breslauer Erzbischofs und Kardinals Bolesław Kominek verfasste Einladung an die Deutschen, der sogenannte „Hirtenbrief der polnischen Bischöfe an ihre deutschen Amtsbrüder“, wo sich auch eben dieser bekannte Satz fand. Für Gądecki hat die Erinnerung an den Brief eine große Bedeutung, auch für die heutige Zeit:

„Die Aussage zeigt, dass man große Wunden erleiden und dennoch eine freundschaftliche Zukunft aufbauen kann, dass man das Kreuz des Leidens hinter sich tragen kann – denn dies lässt sich auf keine Weise auslöschen, die Vergangenheit kann man nicht ausstreichen. Wenn es die Wahrheit in Bezug auf die Vergangenheit nicht gäbe, hätte die Botschaft keinen Wert. Weil sie aber auf der Wahrheit über die Vergangenheit gebaut wurde, hat sie solch einen authentischen Wert angenommen und kann auch Vorbild für die heutige Zeit sein, wo Menschen gerne schnell und schmerzlos Werke vollbringen möchten, die sich ohne das Kreuz nicht ausführen lassen. Damals war keine Rede von irgendwelchen Kontakten. Erst Recht war auch keine Rede von irgendwelchen Einigungsprozessen. Es geschah alles unter ungünstigen Umständen. Und trotz all dem zeigte es die Größe der Kirche“.

Im Rahmen einer von der polnischen Botschaft im Vatikan veranstalteten Konferenz hat sich am Montag auch die deutsche Botschafterin beim Heiligen Stuhl, Annette Schavan, über die Wichtigkeit dieses Schreibens, nicht nur für die deutsch-polnische Beziehung, sondern auch für ganz Europa, geäußert:

„Polen und Deutschen sind Freunde, das ist ein großes Geschenk, vor allem für uns in Deutschland. Europa ist wiedervereinigt. Wir in Deutschland wissen, diese Wiedervereinigung wäre nicht möglich gewesen, ohne viele inspirierende Impulse, vor allem nicht möglich gewesen ohne den heiligen Papst Johannes Paul II., ohne seine Ermutig: „Habt keine Angst“ Das, was er ausgelöst hat, hat eine friedliche Revolution in Europa ermöglicht. Und wir wissen heute, 25 Jahre später, wie wenig selbstverständlich friedliche Revolutionen sind. Wie sehr wir deshalb von einem Wunder der Wende sprechen.“

(rv 27.10.2015 vs)








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