2015-10-12 13:22:00

Jerusalem: „Beide Wege noch offen – weitere Eskalation oder Frieden“


Die angespannte Lage im Heiligen Land muss nicht zwangsläufig weiter eskalieren. Das denkt der Direktor des Österreichischen Hospizes in Jerusalem, Markus Stephan Bugnyar. In der Jerusalemer Altstadt, auch im Umkreis der traditionsreichen Pilgerherberge, entlädt sich seit Tagen eine aufgestaute Spannung, es kommt zu Rangeleien und auch Attacken gegen israelische Polizisten. Stimmen des Friedens gebe es zwar im Heiligen Land nach wie vor, aber in einer angespannten Lage wie dieser übertönten die Scharfmacher die gemäßigten Stimmen, erklärte uns Bugnyar. Der österreichische Priester hält sich dieser Tage in Rom auf, um ein von ihm mitherausgegebenes Buch vorzustellen: „Im Orient zu Hause. Das Österreichische Hospiz in Jerusalem“. Wir nutzten die Gelegenheit, Markus Bugnyar zum Gespräch zu bitten.

Bugnyar: Die Ausschreitungen sind mehr geworden, wir haben allein um das Österreichische Hospiz Anschläge und Versuche aus nächster Nähe miterleben müssen – ja, man hat den Eindruck, dass sich hier etwas zusammenbraut; nein, ich glaube nicht, dass es zwangsläufig weiter eskalieren muss. Denn es gibt auch Anzeichen, dass Politiker auf beiden Seiten versuchen zu beruhigen so gut es geht. Allerdings ist schon viel Öl ins Feuer gegossen worden und man wir sehen müssen, ob es gelingt. Im Moment sind beide Wege noch offen, der einer weiteren Eskalation und der zum Frieden.

RV: Mittelfristig betrachtet: wo sind diese Strömungen und Gruppen, die darauf hoffen lassen, dass es noch einmal zu einer Wende zum besseren kommt?

Bugnyar: Friedensinitiativen und Persönlichkeiten, die in Netzwerken und Zeitungen auftreten und gegen die Krise anschreiben, die gibt es nach wie vor. Sie melden sich nach wie vor zu Wort, allerdings in einer Situation, die dermaßen angespannt ist wie soeben, hört man diese Stimmen weniger. Weil sich zunehmend mehr Menschen um ihre eigene Sicherheit Sorgen machen und dann natürlich - ein vollkommen normaler Instinkt - dazu neigen, die Sicherheit in den Vordergrund zu stellen auch auf Kosten individueller Freiheit und auf Kosten dass im Moment kein Friedensdialog zustande kommen kann, das wird auch weiterhin zu sein. Das ändert nichts an den Initiativen, die im Raum stehen, bloß, sie können sich im Moment kein Gehör verschaffen.

RV: In anderen Worten, hüben und drüben wollen die Menschen dasselbe – in Sicherheit leben. Gibt es eine Antwort auf die Frage, warum das nicht klappt?

Bugnyar: Die überwiegende Mehrheit der Israelis und der Palästinenser wollen definitiv Frieden haben und in Frieden leben. Ob sie miteinander in Frieden leben wollen, ist ein weiterer Aspekt, über den man nachdenken muss, wenn es um politische Lösungen im Sinn einer Zweistaatenlösung oder Einstaatenlösung geht, das ist auf einer anderen Ebene. Auf einem persönlichen Lebensfeld will die überwältigende Mehrheit der Menschen im Heiligen Land definitiv Frieden haben. Wir haben allerdings auf beiden Seiten eine kleine, aber sehr sehr potente und wortgewaltige Minderheit, die die letzten Wochen und Monate dazu genützt haben, tatsächlich immer mehr Emotionen zu schüren und immer mehr Themenbereiche in die öffentliche Debatte, in den öffentlichen rhetorischen Kampf einzubringen, der die extremistischen Kreise natürlich anstachelt. Ich habe nicht den Eindruck, dass diese Scharfmacher mehr werden, das Problem ist, dass immer mehr Leute schweigen und sich deswegen Scharfmacher mehr Gehör verschaffen können.

Anschläge auf christliche Einrichtungen: Die Hemmschwelle ist gesunken

RV: Wir haben in den vergangenen Monaten immer mehr Anschläge gegen christliche Einrichtungen gesehen. Woran liegt das?

Bugnyar: Wir haben solche Phänomene in den letzten Jahren immer gehabt. Man muss sich in Jerusalem überlegen, wenn man als Kleriker erkennbar unterwegs ist, wo geht man hin. Es gibt Routen, wo die verschiedenen Religionen zwangsläufig aufeinander treffen, und da kann s sein, dass man auf fundamentalistische Kreise trifft, jeglicher Richtung, möchte ich sagen, die mit der Anwesenheit des jeweils anderen ein Problem haben. Die Reaktionen sind unterschiedlich. Das konnte in der Vergangenheit dazu führen, dass wenn man vom Jaffa-Tor kommend durch das armenische Viertel Richtung Klagemauer geht, als orthodoxer Priester – dort leben eher Armenier oder auch Griechen, die diesen Weg benutzen, da konnte es in der Vergangenheit vorkommen, dass man bespuckt worden ist, wenn man sichtbar ein Kreuz getragen hat. Das ist nicht weniger geworden, sondern eher mehr. Allerdings glaube ich auch da, dass es nicht mehr Menschen geworden sind, die so etwas tun, es ist möglicherweise bei denen, die dazu bereit sind, die Hemmschwelle abgesunken, weil es in der öffentlichen Meinung wenig Gegenwehr gibt. Weil es auch – ich darf das so offen sagen – wenig deutliche Gegenwehr von einer christlichen Weltöffentlichkeit gibt, die sich hier eindeutig zu Wort meldet. Das ist wichtig in einem orientalischen Zugang, dass die Christenheit geschlossen auftritt, jegliches Fragmentieren schadet unserer eigenen Glaubwürdigkeit. Was dann in den letzten Wochen und Monaten dazugekommen ist, die Graffiti auf Klöstern und Kirchen bis hin zu dem Brandanschlag auf das Benediktinerpriorat in Tabgha, das ist schon eine andere Eskalationsstufe. Wir haben allerdings gesehen, dass die, die dafür verantwortlich gemacht worden sind, genau in jenes Milieu gehörten, das man schon kannte. Was man allerdings christlicherseits immer noch vermisst, ist, dass diese Menschen tatsächlich auch zur Verantwortung gezogen werden, so wie man sich das von einem Rechtsstaat wünscht. Was im Moment passiert, weiß ich nicht. Für unser subjektives Empfinden könnte es  vor Ort natürlich schneller gehen.

RV: Würde es Jerusalem helfen, einen internationalen Sonderstatus zu haben, den etwa der Heilige Stuhl immer wieder vorschlägt?

Bugnyar: Ein Sonderstatus für Jerusalems Altstadt erinnert, wenn man darüber spricht, an den alten Vorschlag eines Corpus separatum, das es nicht nur die Altstadt von Jerusalem umfassen soll, sondern in so einem Landstrich-Korridor auch die Altstadt von Betlehem und die Heiligen Stätten dort mit einbegreifen hätte sollen, schon in den 40er und 50er Jahren. Das ist immer noch ein brauchbarer Vorschlag, und viele Menschen vor Ort – da nehme ich mich nicht aus – haben den Eindruck, dass die Fronten zwischen den Konfliktparteien vor Ort so verhärtet sind, dass eine dritte Kraft von außen natürlich eine Lösung darstellen kann. Mein Problem mit dem Vorschlag ist natürlich, dass die Konfliktparteien vor Ort, Pals wie Israelis, eine dritte Kraft von außen wahrscheinlich nicht als eine neutrale Kraft von außen wahrnehmen würden, weil diese – nehmen wir an, es würde sich um UN-Einheiten halten, die zwangsläufig aus irgendeinem Land kommen müssen und irgendeinem mehrheitlichen Religionsbekenntnis angehören würden – ob man das als neutrale Kraft sehen würde, das wage ich zu bezweifeln, wie der Orientale in anderen Bahnen denkt als wir es in einem säkularisierten Westen gewohnt sind.

RV: Das Österreichische Hospiz zur Heiligen Familie in Jerusalem ist seit mehr als 150 Jahren „im Orient zu Hause“. Sie leiten dieses Pilgerhaus seit zwölf Jahren. welchen Stellenwert nimmt das Hospiz im Spektrum des Pilgerwesens im Heiligen Land ein?

Bugnyar: Das Hospiz hat ein rein objektiv betrachtet den Vorteil zu anderen christlichen Gästehäusern, dass wir tatsächlich in der Altstadt von Jerusalem liegen, an der 3. Station der Via Dolorosa. Das macht einen Unterschied aus, darüber freuen wir uns. Das ist einem historischen Zufall rund um unsere Gründung zu verdanken, weil dieses Gelände damals noch unterbaut war und wir es problemlos erwerben konnten. Das ist ein Unterschied zu anderen, denn wenn Menschen nach Jerusalem pilgern, möchten sie gerne so nahe wie möglich bei den Heiligen Stätten sein, und man kann alles fußläufig von uns erreichen. Wir haben den Vorteil, dass wir uns nicht in die Quere kommen mit anderen Gästehäuser, denn sobald die politischen Rahmenbedingungen passen, sind alle Gästehäuser voll, und wir konzentrieren uns, wenn wir konzentrieren uns auf unsere primäre Gruppe, das sind Pilger aus dem deutschsprachigen Raum.

Im Orient zu Hause: Das Österreichische Hospiz in Jerusalem. Farbbildband, 320 Seiten, zahlreiche Farbfotos und zeitgenössische SW-Fotos. Herausgeber: Markus Stephan Bugnyar und Helmut Wohnout. Verlag Geschichte & Kunst, rund 40 Euro.

(rv 12.10.2015 gs)








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