2015-10-02 14:29:00

Neustestamentler: Ein Bibelzitat ist noch kein Argument


Was sagt eigentlich die Bibel, genauer das Neue Testament, zu den Themen Ehe und Familie? Pater Bernd Hagenkord sprach anlässlich der am Sonntag beginnenden Familien-Bischofssynode mit einem Fachmann für das Neue Testament, dem deutschen katholischen Theologen Thomas Söding von der Ruhr-Universität Bochum. Söding betont, dass es für gute Argumente in den Beratungen nicht ausreiche, einfach aus der Bibel zu zitieren. Man müsse Jesu Worte zu Ehe und Familie auch einordnen und aus heutiger Sicht deuten können.

Wenn ich das Neue Testament lese, habe ich den Eindruck, Jesus sei nicht gerade ein Familienmensch. Die Aussagen, die er über seine eigene Familie macht, sind nicht einfach zu verstehen. Er selbst lebt ehelos. Wie wird Jesus zu einem Vorbild für die Familie von heute?

Söding: Dadurch, dass er sie nicht heiligspricht. Die heilige Familie, das ist ja eigentlich eher – wenn man einmal von der Familie Jesu absieht – eine Vorstellung der Römer. Also die natürlichen Bande seien das Letzte der Beziehung. Das ist bei Jesus entschieden nicht, sondern Gott beginnt etwas ganz Neues. Aber was Gott beginnt ist eben kein Zerstörungswerk, sondern Verwandlungswerk. Deswegen sind die Eheleute ganz gut beraten, wenn sie sich auch in Richtung Jesus orientieren.

Wir sprechen immer wieder von einem „Evangelium von der Familie“. Gibt es das denn? Oder ist es vielmehr das auf die Familie angewendete Evangelium Jesu Christi? 

Söding: Das Evangelium ist sehr gut für die Familie. Weil es den Glauben, die Liebe und die Hoffnung zusammenbringt. Jesus hatte ja auch ein Herz für Kinder und forderte deren Aufwertung, etwa mit dem Satz im Matthäusevangelium: „Wenn ihr nicht umkehrt und werdet wie die Kinder, werdet ihr nicht ins Himmelreich kommen.“ Von daher ist das Evangelium nicht exklusiv ein Evangelium der Familie aber demgegenüber positiv.

Die Aussagen Jesu über die Scheidung sind auch relativ deutlich, da ist auch von Hartherzigkeit die Rede. Wenn ich diese Stellen heute als Exeget lese, wie muss ich da herangehen, um sie zu verstehen?

Söding: Auf jeden Fall muss ich mir die Lebenssituationen der Menschen damals vorstellen. Das hat mit der heutigen Pluralität wenig zu tun, auch nicht mit einer Gleichberechtigung zwischen den Geschlechtern. Jesus arbeitet - mit heutiger Sprache gesprochen - sehr stark an einer Pflege der Beziehungen. Er geht nicht von einem funktionalen Beziehungsverständnis aus, sondern zurück zu den Anfängen und sagt: Gott hat es so gewollt, dass Mann und Frau zusammen sind und ein Fleisch werden und zusammenhalten. Das ist zunächst mal ein Appell. Und das Kommen der Gottesherrschaft zerstört diese Beziehungen nicht, sondern verbindet die Eheleute miteinander, wenn sie den Weg des Glaubens und der Nachfolge gehen.

Eine mögliche Antwort lautet ja oft: Jesus hat es so gesagt, wir und die Kirche dürfen daran nichts ändern. Ist das die richtige Lesart des Neuen Testaments?

Söding: Das Neue Testament ist nicht geschrieben worden, damit man keine Fragen mehr stellen darf. Sondern man soll dadurch überhaupt erst einmal in die richtige Richtung des Denkens hineinkommen. Ich sehe das, was Jesus zur Ehe sagt, wie eine Art Kompass: Die Richtung ist vorgegeben. Jesus setzt – wie damals im Judentum üblich – über die Auslegung der Schrift Recht. Das ist alles richtig, aber das, was Jesus zur Ehe sagt, ist erst einmal ein Anfang, mit dem man etwas machen muss. Und da darf es in der Kirche keine Denkverbote geben. Ehe und das Reich Gottes gehören zwar zusammen. Die Auslegung muss einerseits treu, aber auch kreativ sein. Sie muss immer die jeweiligen Situationen bedenken, und da hat sich in der Geschichte der Kirche doch gewaltig etwas getan und wird es auch weiterhin tun.

Gibt es denn für normale Bibelleser ein paar Daumenregeln, welche Bibelstellen kreativ zu lesen sind und welche treu?

Söding: Intelligentes Lesen wird immer vorausgesetzt. Wenn es eine Regel gibt wie ‚ was Gott verbunden hat, das soll der Mensch nicht trennen’, dann ist damit ein Kriterium für die eigene Moralität, die Partnerwahl und die Beziehungspflege gegeben. Was in diesem Wort nicht steht, ist, was passiert, wenn jemand diesem Gebot widerspricht. Was sind mögliche Sanktionen? Und was die Begrenzungen der Sanktionen? Wie kann man also die Sache wieder geraderücken? Da beginnt das Neue Testament ein Resonanzboden für Auslegung zu werden. Die Geschichte der Auslegung zeigt, dass man sich eigentlich immer um eine sachgerechte und situationsgerechte Exegese bemüht hat. Das darf man in der Gegenwart nicht abbrechen.

Spätestens seit der Rede von Kardinal Kasper beim Konsistorium vor über einem Jahr findet in der Kirche eine große Debatte über Ehe und Familie statt. Was nehmen Sie diese als Exeget wahr?

Söding: Ich habe den Eindruck, dass das Neue Testament häufig instrumentalisiert wird, um eine Debatte abzubrechen. Das halte ich für falsch. Ein Wort aus der Heiligen Schrift zu zitieren ist noch kein Argument. Ich muss das einordnen und auslegen können. An dieser Stelle ist theologische Intelligenz gefragt. Man muss den Zusammenhang zwischen dem gelebten Leben und dem Reich Gottes herstellen können. Auch wenn es nie eine ideale Beziehung sein wird, kann man in der Liebe zwischen Mann und Frau und einer Familie mit Kindern den Atem der Liebe Gottes selbst spüren. Das ist ein ungeheuer kostbarer Gedanke. Bei all den Debatten über das Scheitern von Beziehungen würde ich viel positiver darüber sprechen, als das in der Vergangenheit und auch heute noch der Fall ist.

Was erhoffen Sie sich als Exeget von der Synode?

Söding: Erstens, dass heute das positive Zeugnis der Ehe stärker wird. Das geht nicht nur mit Vergangenheitsbetrachtungen, sondern man muss das in die Gegenwart hineintragen. Mit allen kultur-, sozial- und humanwissenschaftlichen Veränderungen. Etwa der Gleichberechtigung der Geschlechter. Zweitens sollte man erkennen, dass die Ehe keine andere Lebensform diskriminiert. Sondern von der Ehe her ist die Fähigkeit gegeben, Glaube und Liebe, dazu gehört auch körperliche Liebe, in ein inneres Verhältnis zueinander zu bringen. Da ist nicht jeder auf dem Königsweg, das bedeutet aber nicht, dass sie schon im Abgrund sind.

(rv 2.10.2015 ord)








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